Das Rotkäppchen-Syndrom
Im Kölner „Tatort“geht es um Brieffreundschaften zwischen Häftlingen und Frauen.
KÖLN Ein Mann im Kapuzenpulli verfolgt eine Krankenschwester auf dem Parkdeck. Über seine Kopfhörer hört er einen Song der Band Cigarettes after Sex. Doch den Refrain von „Nothing’s Gonna Hurt You Baby“scheint er nicht so ganz richtig verstanden zu haben. Jedenfalls tötet er die Frau mit zahlreichen Messerstichen. Anschließend bindet er dem Opfer einen Gürtel über die Augen.
Für die Kölner Ermittler Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) scheint der Verdächtige schnell ausgemacht zu sein. Das Opfer war erst seit Kurzem verheiratet. Ihr Mann Tarek (Sahin Eryilmaz) ist ein verurteilter GewaltvCerbrecher, den sie während seiner Zeit hinter Gittern über eine Brieffreundschaft kennengelernt hatte. Tarek kämpft seit Jahren gegen seine Wutausbrüche, die er trotz Therapie nur schlecht kontrollieren kann.
Doch Polizei-Assistent Jütte (Roland Riebeling) hat einen anderen VCerdacht. Der Gürtel erinnert ihn an einen Fall aus seiner beruflichen Vergangenheit, an dem er seelisch lange zu knabbern hatte. Treibt in Köln etwa ein Serienmörder sein Unwesen? Im Gefängnis bereitet sich indes Häftling Basso Sommer (Torben Liebrecht) auf seine Freilassung vor. In Freiheit wartet seine Freundin Ines (Picco von Groote) auf ihn, die den fiesen Typen abgöttisch zu lieben scheint. Das ungleiche Paar war sich ebenfalls durch eine Brieffreundschaft näher gekommen.
Im Kölner Fall „Der Reiz des Bösen“geht es um das sogenannte Rotkäppchen-Syndrom, das Wissenschaftler
lieber Hybristophilie nennen. Es beschreibt das Phänomen, dass sich einige Frauen von gewalttätigen Männern angezogen fühlen. Für Außenstehende ist dies schwer zu verstehen. Eine halbwegs plausible Erklärung geht so, dass einige Frauen aus eigener Schwäche hoffen, aggressive Männer könnten sie in einer brutalen Welt besser beschützen. Eine weitere Erklärung ist das sogenannte „Amiga“-Syndrom. Die Frauen wissen zwar, dass der Mann schwere Verbrechen begangen hat, schreiben dies aber unglücklichen Umständen zu und denken sich: „Aber Meiner Ist Ganz Anders“, daher Amiga. Berüchtigte Beispiele aus der Geschichte gibt es einige. Beim Prozess gegen den
Sektenführer und Mörder Charles Manson standen Frauen vor Gericht Schlange, um den kleingewachsenen, erfolglosen Ex-Musiker einmal live zu sehen. Auch dass sich Manson später im Gefängnis ein Hakenkreuz auf die Stirn tätowierte, änderte nichts daran, dass weibliche Fans ihm weiter zärtliche Briefe schrieben.
Das Phänomen ist also altbekannt, und Neues hat auch dieser Köln- „Tatort“nicht zu berichten. Es ist ein konventioneller Krimi mit recht erwartbaren Wendungen und teils länglichen Dialogen. Und überhaupt ist in Köln wieder alles, wie es eben in Köln so ist: Schenk fährt einen schick polierten Ferrari. BallauffragtSchenk,woerdenWagen denn nun wohl wieder her ha:t (Spoiler: aus der Asservatengarage!). Ballauf ist sauer auf Jütte, der mal wieder verschwunden ist. Schenk versteht nicht, warum Ballauf schon wieder sauer ist auf Jütte. Am Ende gibt es ein klärendes Gespräch unter Männern mit Bier am Rhein. Nett war’s wieder. Fans der Kölner werden das bestimmt gerne sehen. Allen anderen sei vielleicht die NetflixSerie „Aquarius“empfohlen, in der David Duchovny Jagd auf die Manson-Family macht. Was nette Frauen denn nun wirklich an fiesen Typen finden, wird da aber auch nicht zufriedenstellend erklärt.