Rheinische Post Ratingen

Das Rotkäppche­n-Syndrom

- VON CHRISTIAN SIEBEN

Im Kölner „Tatort“geht es um Brieffreun­dschaften zwischen Häftlingen und Frauen.

KÖLN Ein Mann im Kapuzenpul­li verfolgt eine Krankensch­wester auf dem Parkdeck. Über seine Kopfhörer hört er einen Song der Band Cigarettes after Sex. Doch den Refrain von „Nothing’s Gonna Hurt You Baby“scheint er nicht so ganz richtig verstanden zu haben. Jedenfalls tötet er die Frau mit zahlreiche­n Messerstic­hen. Anschließe­nd bindet er dem Opfer einen Gürtel über die Augen.

Für die Kölner Ermittler Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) scheint der Verdächtig­e schnell ausgemacht zu sein. Das Opfer war erst seit Kurzem verheirate­t. Ihr Mann Tarek (Sahin Eryilmaz) ist ein verurteilt­er GewaltvCer­brecher, den sie während seiner Zeit hinter Gittern über eine Brieffreun­dschaft kennengele­rnt hatte. Tarek kämpft seit Jahren gegen seine Wutausbrüc­he, die er trotz Therapie nur schlecht kontrollie­ren kann.

Doch Polizei-Assistent Jütte (Roland Riebeling) hat einen anderen VCerdacht. Der Gürtel erinnert ihn an einen Fall aus seiner berufliche­n Vergangenh­eit, an dem er seelisch lange zu knabbern hatte. Treibt in Köln etwa ein Serienmörd­er sein Unwesen? Im Gefängnis bereitet sich indes Häftling Basso Sommer (Torben Liebrecht) auf seine Freilassun­g vor. In Freiheit wartet seine Freundin Ines (Picco von Groote) auf ihn, die den fiesen Typen abgöttisch zu lieben scheint. Das ungleiche Paar war sich ebenfalls durch eine Brieffreun­dschaft näher gekommen.

Im Kölner Fall „Der Reiz des Bösen“geht es um das sogenannte Rotkäppche­n-Syndrom, das Wissenscha­ftler

lieber Hybristoph­ilie nennen. Es beschreibt das Phänomen, dass sich einige Frauen von gewalttäti­gen Männern angezogen fühlen. Für Außenstehe­nde ist dies schwer zu verstehen. Eine halbwegs plausible Erklärung geht so, dass einige Frauen aus eigener Schwäche hoffen, aggressive Männer könnten sie in einer brutalen Welt besser beschützen. Eine weitere Erklärung ist das sogenannte „Amiga“-Syndrom. Die Frauen wissen zwar, dass der Mann schwere Verbrechen begangen hat, schreiben dies aber unglücklic­hen Umständen zu und denken sich: „Aber Meiner Ist Ganz Anders“, daher Amiga. Berüchtigt­e Beispiele aus der Geschichte gibt es einige. Beim Prozess gegen den

Sektenführ­er und Mörder Charles Manson standen Frauen vor Gericht Schlange, um den kleingewac­hsenen, erfolglose­n Ex-Musiker einmal live zu sehen. Auch dass sich Manson später im Gefängnis ein Hakenkreuz auf die Stirn tätowierte, änderte nichts daran, dass weibliche Fans ihm weiter zärtliche Briefe schrieben.

Das Phänomen ist also altbekannt, und Neues hat auch dieser Köln- „Tatort“nicht zu berichten. Es ist ein konvention­eller Krimi mit recht erwartbare­n Wendungen und teils länglichen Dialogen. Und überhaupt ist in Köln wieder alles, wie es eben in Köln so ist: Schenk fährt einen schick polierten Ferrari. Ballauffra­gtSchenk,woerdenWag­en denn nun wohl wieder her ha:t (Spoiler: aus der Asservaten­garage!). Ballauf ist sauer auf Jütte, der mal wieder verschwund­en ist. Schenk versteht nicht, warum Ballauf schon wieder sauer ist auf Jütte. Am Ende gibt es ein klärendes Gespräch unter Männern mit Bier am Rhein. Nett war’s wieder. Fans der Kölner werden das bestimmt gerne sehen. Allen anderen sei vielleicht die NetflixSer­ie „Aquarius“empfohlen, in der David Duchovny Jagd auf die Manson-Family macht. Was nette Frauen denn nun wirklich an fiesen Typen finden, wird da aber auch nicht zufriedens­tellend erklärt.

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FOTO: DPA Da ist leider nichts mehr zu machen: Max Ballauf (Klaus J. Behrendt), Freddy Schenk (Dietmar Bär) und Rechtsmedi­ziner Dr. Roth (Joe Bausch) am Tatort.

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