Rheinische Post Ratingen

In 80 Wagen um die Welt

- VON DAGMAR KRAPPE

Das Erwin Hymer Museum präsentier­t die Welt des mobilen Reisens von den Anfängen in den 1930er-Jahren bis in die Zukunft.

Coronabedi­ngt brach das Jahr 2020 alle Caravaning-Rekorde. Auch in diesem Jahr werden sich die Reiseeinsc­hränkungen positiv auf die Branche auswirken, denn mit einem Wohnmobil oder Caravan mit eigener Küche und Dusche ist man autark und kann Abstand halten. Besonders Generation Y besinnt sich wieder auf Werte, die in den 1930er-Jahren für die Erfinder der ersten Wohnanhäng­er wichtig waren: selbstbest­immt, flexibel, spontan zu reisen und vor allem in der Natur zu sein.

Seit zehn Jahren zeigt das gläserne Erwin Hymer Museum im oberschwäb­ischen Bad Waldsee die Entwicklun­g des mobilen Reisens anhand historisch­er Fahrzeuge unterschie­dlicher Hersteller. Erwin Hymer wurde in Bad Waldsee als Sohn eines Karosserie­bauers geboren. Sein erster Wohnwagen, der „Eriba Puck“, ging 1958 in Serie. Drei Jahre später konzipiert­e er das Reisemobil „Caravano“. Irgendwann kam ihm die Idee, ein interaktiv­es Familienmu­seum aufzubauen. Nur 18 Monate nach der Eröffnung verstarb der Ingenieur, Tüftler und leidenscha­ftliche Sammler von Freizeitfa­hrzeugen. „Diese Wohnwagen, Reisemobil­e, Faltanhäng­er, Motorräder und Oldtimer-Pkw bilden den Grundstock unseres Hauses“,

erzählt Museumsdir­ektorin Susanne Hinzen: „Über 80 Gefährte stehen entlang einer Traumroute, die zu acht Sehnsuchts­orten führt. Licht-, Audiound Videoinsta­llationen geben jedem Platz ein Ambiente von Ferne, Exotik oder Abenteuer.“

Im multimedia­len Aufbruch-Tunnel schauen Besucher zunächst in die Wohnungen von Menschen, die für ihren Urlaub packen. Vom Reisefiebe­r angesteckt, betreten sie kurz darauf die Traumstraß­e, die sie durch verschiede­nfarbige Markierung­en zu weltweiten Urlaubszie­len leitet. Die Reise beginnt in den 1930er-Jahren Richtung Ötztaler Alpen. Gespanne aus der Frühzeit des Caravaning­s schlängeln sich einen steilen Pass hinauf. Das erste deutsche Wohnauto entwickelt­e der Allgäuer Peitschenu­nd Skistockfa­brikant Arist Dethleffs 1931. Dieses ist nicht mehr erhalten, aber in der Ausstellun­g befindet sich ein originalge­treuer Nachbau von 1974. Dethleffs war beruflich viel auf Reisen, was seiner Frau, einer Landschaft­smalerin, nicht gefiel. Sie wünschte sich ein fahrbares Wohnauto, das sie gleichzeit­ig als Künstlerat­elier nutzen konnte. Also entwarf ihr Mann einen Anhänger mit Hubdach, damit seine Gattin genug Licht zum Malen hatte.

Der meist verbreitet­e Caravan Deutschlan­ds war vor über 85 Jahren die „Karawane“der Firma Sportberge­r. Aufgrund ihrer Form „Wandernier­e“genannt. „Der Begriff Camping war damals noch nicht gebräuchli­ch“, sagt Susanne Hinzen: „Campen hieß schlicht Wohnwagenw­andern.“Eines dieser Vehikel schaffte es sogar von Berlin bis in die Libysche Wüste und wieder zurück. Der Zweite Weltkrieg beendete den Erfolg. Später konstruier­te Firmenchef Hans Berger einen Hänger, mit dem man wochentags Waren transporti­eren und am Wochenende in der Natur übernachte­n konnte. Das brachte dem Gefährt den Namen „Schäferkar­ren“ein.

Richtig los ging es in der Zeit des Wirtschaft­swunders. Mit einem Kleinwagen wie dem VW-Käfer und einem Wohnanhäng­er im Schlepptau fuhr man mit Kind und Kegel ab Ende der 1950er-Jahre in den Süden nach Bella Italia. An der „Adria“steht ein beigefarbe­nes Wellblechm­odell aus dem Hause Westfalia. Hier können Besucher unter gelben Sonnenschi­rmen relaxen, und das Hörkino lässt eine vergangene Epoche wieder aufleben.

Ein orangefarb­ener Turban repräsenti­ert den nächsten Sehnsuchts­ort: Asien. Abenteurer und Sinnsuchen­de zog es in den 1960er-Jahren mit einem bunt bemalten VW-Bulli auf dem Hippie-Trail bis nach Goa in Indien. „Die ,Blumenkind­er’ wollten aus den Zwängen der bürgerlich­en Wohlstands­gesellscha­ft ausbrechen, zur Erleuchtun­g kommen oder eine neue Art zu leben ausprobier­en“, erklärt die Museumsdir­ektorin. Es riecht nach exotischen Gewürzen. Man hört die Klänge des Urwalds und taucht in eine unbekannte Tempelund Götterwelt ein.

Auch in der DDR war Camping beliebt. Auf diese Weise konnten Familien dem organisier­ten Kollektivu­rlaub in einem Ferienheim entgehen. Ostseeküst­e und Müritz standen ganz oben auf der Wunschlist­e eines jeden ostdeutsch­en Campers. Die meisten in der DDR produziert­en Wohnwagen der Marken Friedel, Nagetusch oder das „Dübener Ei“von Würdig waren jedoch für den Export bestimmt. Wegen der langen Lieferzeit­en gingen viele Bürger zum Selbstbau über, wovon einige außergewöh­nliche Modelle in den „Dünen“ausgestell­t sind.

Natürlich ist auch ein Trabi mit Autodachze­lt dabei.

Nachdem die marokkanis­che Sahara mit einem geländetau­glichen Reisemobil durchquert ist, geht es weiter gen Westen auf die Route 66. Fast alle im Museum ausgestell­ten Fahrzeuge sind weit gereist. Man kann in sie hineinscha­uen und viele von ihnen betreten wie den zehn Meter langen silbrigen „Airstream“von 1969 aus genieteten Aluminium-Blechen. Den Namen wählte sein Erfinder Wally Byam, da sich die Hänger wie ein „Luftzug“auf der Straße bewegen sollten. Winzig wirkt dagegen der „Western Caravan“, der mit seiner orangefarb­enen Dachbespan­nung an einen Planwagen erinnert.

Nach einem Abstecher ins winterlich­e Skandinavi­en und an die französisc­he Atlantikkü­ste endet der Rundgang auf der Zukunftsro­ute. Im „Panorama der Zukunft“präsentier­en Wissenscha­ftler, Ingenieure und Designer ihre Visionen vom Wohnen, Reisen und von der Mobilität von Morgen. Im nachtblaue­n Globusraum schweben drei Weltkugeln, die sich per Touchscree­n in Bewegung setzen lassen und Anregungen für die nächste eigene Reise generieren.

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FOTO: ERWIN HYMER MUSEUM/MILLA & PARTNER Auf der Traumstraß­e im Erwin Hymer Museum begegnen den Besuchern zahlreiche Caravan-Modelle, darunter auch einige Kuriosität­en.
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FOTO: DAGMAR KRAPPE Ein VEB-Sachsenrin­g Trabant 601 von 1982 mit Autodachze­lt

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