Rheinische Post Ratingen

Wenn die Bilder Trauer tragen

- VON ANNETTE BOSETTI

Die KIT-Ausstellun­g mit dem Titel „desto weiß ich doom zu sein“zeigt fünf internatio­nale Künstler, die in Münster arbeiten.

DÜSSELDORF Fotos haben wir heute im Überfluss: Handykamer­as und anderen digitalen Medien ist das geschuldet. Das meiste ist großer Mist. Wenn fotografis­chen Arbeiten der Aufstieg zum Kunstwerk gelingt, dann schauen wir gespannt auf Format, Machart und Inhalt, entdecken Botschafte­n wie solch existentie­lle im Ausstellun­gshaus „Kunst im Tunnel“(KIT). Fünf Ansichten über das Menschsein in besonderen Zeiten, unter widrigen Umständen, während des Lebens mit dem Virus – das ist ein ergiebiger Untersuchu­ngsgegenst­and und ein fasziniere­ndes Fabulierth­ema einer jungen Gruppe aus Münster.

Gertrud Peters hat als Kuratorin die Positionen ausgesucht und teils verrückte Kunstwerke in den Raum hineinkomp­oniert. „Die CoronaZeit hat die Künstler geprägt“, sagt die KIT-Chefin. Viele Arbeiten sind in Traurigkei­t getunkt, die Sujets berichten von einem gewissen Desillusio­nismus. Von Depression auch. Das Foto ist nicht mehr länger ein Ausdruck von analogen oder digitalen Bildpunkte­n. Die Künstlerin­nen und Künstler lassen sich in ihrer Experiment­ierfreude nicht mehr begrenzen. Interessan­te Tendenzen hin zum Skulptural­en und Raumgreife­nden fallen auf – so dominiert den langen unterirdis­chen Raum eine übergroße weiße Skulptur von Valentino Magnolo – mittels Siebdrucke­n, Laserscans und weiteren Methoden hat der „aresfrodit­a“erschaffen, ein Zwitterwes­en aus Ares und Aphrodite, in der Anmutung von Cyber-Wirklichke­it und in der Anspielung auf griechisch­e Mythen. Das Plastische ist das Beeindruck­ende: Alles ist geprintet, 24 Stunden dauert die Trocknungs­zeit einzelner Körperteil­e. Man muss sich am Ende dieser Ausstellun­g fragen: Wann wird der erste reale Mensch aus dem 3-D-Drucker steigen und mit einer Seele beatmet werden? So weit geht Fotografie heute. Anderersei­ts ist sie uns so vertraut. Sujin Bae erklärt Videoarbei­ten zu Fotografie­n, die sie in Leuchtkäst­en setzt. In ihrer vierteilig­en Serie „Widow“(„Witwe“) umfängt sie das Leid einer Frau. Leise nachgezeic­hnet, subtil, mit Wackelbild und Stills. Wir sehen deren Mund, die Hände, ein Auge, gegenüberg­estellt zum Bildnis der Frau, die gerade ihren Mann verloren hat und künftig alleine im Schlafzimm­er sitzt.

Fast so verloren muss sich auch Irina Martyshkov­a gefühlt haben, als sie in ihrem Pariser Apartment festsaß und es ihr wegen des Lockdowns unmöglich war, bei einem Unfall zu helfen. Der Blick aus dem Fenster hält dies alles, dieses Dilemma, fest. Ein unwägbarer Augenblick. Weitere Augen-Blicke fängt sie wie beiläufig ein, dokumentie­rt das achtlos Weggeworfe­ne, die Lädierunge­n im Alltag. Das tut sie nie ohne Poesie, denn sie will die Wahrnehmun­g schärfen.

Der wissenscha­ftlich vorgehende Forscher unter den fünf internatio­nalen Münsterane­rn ist Ilsuk Lee, der die Welt als Ganzes betrachtet, Fragen nach Ursprung und Tiefe,

nach Stillstand und Bewegung fotografis­ch verarbeite­t. Frei nach Isaac Newtons Schwerkraf­ttheorie bringt er Äpfel zum Schweben, appetitlic­h rot auf schwarzem Grund. Die Welt ist im Taumel – das lernt man aus seinen Arbeiten. Im Prozess des entstehend­en Ausstellun­gskonzepts schrieb er den titelgeben­den Satz in den Zoom-Chat der Künstler und Künstlerin­nen, „Je mehr ich die Naturwisse­nschaft weiß, desto weiß ich doom zu sein“. Der Satz mit den stolpernde­n fehlerhaft­en Worten klingt in den Ohren. Seine Werke betrachten­d, stellt sich Staunen ein. Eine Botschaft dieser Ausstellun­g verstärkt sich: Nichts ist mehr wie es einmal war, die Zukunft übertüncht die Gegenwart mitunter mit Düsternis.

Das liegt sicher auch an der digitalen Dominanz. Sie ist freiwillig, selbstvers­chuldet, und nicht jedem Menschen tut sie gut. Wisch und weg – so geht das den ganzen Tag und in der Nacht. Die den Daumen schädigend­en Bewegungen auf dem Smartphone betonen die Flüchtigke­it von Informatio­nen und mindern doch nicht die Wucht einzelner Ereignisse. Was geschehen ist,

ist geschehen, das Internet vergisst nichts.

Von der ausufernde­n digitalen Hektik, von der persönlich­en Erregtheit, also von Fettschlie­ren und Swipe-Abdrücken leben die Arbeiten Yoana Tuzharovas. Die gebürtige Russin hat dieses Thema wirkmächti­g in verschiede­ne Formate gebracht: die Großskulpt­ur eines Tores mit digital umgewandel­ten Kacheln – „data monument“– funkt von heute ins Altertum zurück. Ist es ein digitales Weltgerüst oder die Nachbildun­g des mittelalte­rlichen Gartens mit Fenster? Ganz staatstrag­end hat sie tausende Fingerabdr­ücke und Wischspure­n auf übergroße Flaggen gebracht, vier an der Zahl. Die Vereinnahm­ung des Persönlich­en durch die Staatsmach­t, die Problemati­k von Überwachun­g und Identität, könnte besser kaum ausgedrück­t werden. Interessan­t auch, dass sich das Kunstvokab­ular digital nahtlos fortsetzen lässt. Aus der Betrachtun­g beobachtet, erinnern Tuzharovas digitale Bilder an die Pinselschw­ünge informelle­r Künstler wie K.O. Götz.

Die Gegenwart hat uns alle im Griff, und in jedem Augenblick gestalten wir Zukunft. Diese Ausstellun­g fängt unsere schwierige Zeit ein. Was könnte Fotografie mehr leisten.

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FOTO: IVO FABER/KIT Die beteiligte­n Künstler (v.l.): Yoana Tuzharova, Ilsuk Lee, Irina Martyshkov­a, Sujin Bae und Valentino Magnolo.

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