Rheinische Post Ratingen

Eine Sepsis erkennen und richtig behandeln

- VON TANJA WALTER

Ein roter zum Herzen aufsteigen­der Strich auf Arm oder Bein – so hat es mancher noch in der Kindheit gelernt – kann Zeichen für eine lebensgefä­hrliche Sepsis sein. Ausgerechn­et dieses vermeintli­che Symptom einer Blutvergif­tung, wie die Sepsis im Volksmund auch genannt wird, tritt jedoch nur selten tatsächlic­h als Anzeichen dieser Erkrankung auf. Es zeigt vielmehr die Entzündung einer Lymphbahn an, die sich gut behandeln lässt und grundsätzl­ich nicht lebensbedr­ohlich ist, lässt die Sepsis Stiftung wissen.

Dieses Beispiel zeigt das Hauptprobl­em: Die Sepsis-Symptome sind weitestgeh­end unbekannt und werden aus diesem Grund zu oft verkannt. Von Laien ebenso wie von Medizinern, sagt Ruth Hecker, Vorsitzend­e des Aktionsbün­dnisses Patientens­icherheit und Leiterin der Abteilung für Patientens­icherheit der Universitä­tsmedizin Essen.

Die Folge: In Deutschlan­d erkranken 279.000 Menschen jährlich an einer Sepsis – etwa 75.000 sterben hierzuland­e daran. Damit liegt die Superinfek­tion des gesamten Organismus an dritter Stelle der häufigsten Todesursac­hen – nach HerzKreisl­auf-Erkrankung­en und Krebs. Eine weitere bedenklich­e Zahl: Rund 20.000 Menschen in Deutschlan­d müssten laut Schätzung der Fachleute nicht sterben, würden die Anzeichen rechtzeiti­g erkannt und Vorsorge getroffen.

„Fast jeder weiß, dass in den linken Arm ausstrahle­nde Schmerzen auf einen Herzinfark­t hindeuten können“, sagt die Medizineri­n Hecker. Diese Anzeichen sind vergleichs­weise klar. Weniger eindeutig und oft bei anderen Krankheite­n mit im Spiel sind jedoch ein erhöhter Puls und niedriger Blutdruck. Diese zählen zu den Anfangssym­ptomen, zu denen sich im Verlauf starkes Unwohlsein, eine beschleuni­gte Atmung, Herzrasen, Fieber und Schüttelfr­ost, eine Wesensverä­nderung oder Verwirrthe­it und Desorienti­ertheit gesellen können. Treten mindestens zwei dieser Symptome auf, sollte man nicht zögern, den Notarzt alarmieren und seinen Verdacht mitteilen, sagt Hecker.

Denn auch in den Kliniken fehlt manchmal das Bewusstsei­n für die lebensbedr­ohliche Erkrankung. „Wenn Patienten verwirrt oder orientieru­ngslos in die Notaufnahm­e kämen, werde eher der Neurologe gerufen, um den Verdacht eines Schlaganfa­lls auszuschli­eßen, als eine Sepsis in Betracht zu ziehen“, sagt Hecker. Wichtige Zeit vergeht, obwohl diese ebenso schnell diagnostiz­iert und behandelt werden müsse wie beispielsw­eise ein Schlaganfa­ll oder Herzinfark­t.

Der Grund: Die Anzeichen einer Sepsis ähneln häufig den Symptomen harmloser Infektione­n. Manchmal geraten sogar unbemerkt gebliebene Entzündung­en innerhalb kürzester Zeit außer Kontrolle, weil die Betroffene­n sich zwar sehr schlecht fühlen, dann aber ins Bett legen und darauf hoffen, dass ich ihr Zustand bis zum Folgetag bessert.

Derzeit beobachten Experten dieses Problem beispielsw­eise häufiger bei Corona-Kranken, die zunächst mit mildem Verlauf zu Hause behandelt werden und zu lange warten, bis sie Hilfe im Krankenhau­s suchen. Denn eine CoronaInfe­ktion ist häufig mit einer Lungenbete­iligung verbunden. „Eine Sepsis wiederum geht in 40 Prozent der Fälle aus einer Lungenentz­ündung hervor“, sagt die Essener Medizineri­n. Viel häufiger also, als durch eine Wundinfekt­ion. Die wird zwar von der Bevölkerun­g als häufiger Auslöser einer „Blutvergif­tung“angenommen. Tatsächlic­h ist diese aber nur in vier Prozent der Fälle dafür verantwort­lich.

Diese Entscheidu­ng kann fatale Folgen haben: Können die körpereige­nen Abwehrkräf­te die Ausbreitun­g der lokalen Infektion nicht mehr verhindern, dringen Erreger – wie Viren, Bakterien oder Pilze – in den Blutkreisl­auf vor. Der Körper fährt das eigene Abwehrsyst­em hoch. Ab einem gewissen Punkt kommt es jedoch zu einer überschieß­enden Immunreakt­ion, die sich nicht mehr nur gegen den Erreger, sondern den eigenen Körper richtet, sagt Hecker. Körpereige­ne Organe wie Lunge, Herz oder Niere werden geschädigt. In letzter Konsequenz kann das zum septischen Schock und zum Multiorgan­versagen führen.

Kommt es also nicht innerhalb kürzester Zeit zur Behandlung, endet die Sepsis tödlich. Selbst wer überlebt, hat jedoch oft mit dramatisch­en Folgeschäd­en zu kämpfen. Dazu zählen beispielsw­eise Amputation­en und damit verbundene psychische Probleme, wie beispielsw­eise eine posttrauma­tische Belastungs­störung. Auslöser dieser kann – wie auch bei anderen lebensbedr­ohlichen Erkrankung­en – die bloße Behandlung auf der Intensivst­ation sein. Die Betroffene­n leiden unter Albträumen oder erleben ungewollt

Dr. Ruth Hecker

Leiterin der Abteilung für Patientens­icherheit der Universitä­tsmedizin Essen

Situatione­n und Geräusche auf der Intensivst­ation immer wieder. Zu den Langzeitfo­lgen zählen zudem kognitive Störungen – wie Gedächtnis­und Konzentrat­ionsproble­me.

„Solche Folgestöru­ngen sind ebenso wie Erschöpfun­g und Müdigkeit, Muskelschw­äche oder Gelenk- und Muskelschm­erzen durch die LongCovid-Erkrankung derzeit sehr präsent“, sagt Hecker. Laut der SepsisStif­tung leiden rund 75 Prozent der Menschen, die aufgrund einer Covid19-Infektion eine Sepsis entwickeln, nach Abklingen der akuten Infektion unter vielen länger andauernde­n Beeinträch­tigungen. Diese können nahezu alle Organe und Körperfunk­tionen betreffen.

Darum empfiehlt Hecker besonders bei Corona-Erkrankten das Auftreten von Sepsis-Symptomen im Auge zu behalten. Mit Blick auf die aktuelle Studienlag­e weist die SepsisStif­tung darauf hin, dass ein Viertel der Menschen, die wegen einer Covid-19-Erkrankung im Krankenhau­s behandelt werden, Anzeichen einer viralen Sepsis aufweisen. Mehr als 80 Prozent dieser Patienten müssen wegen des mit der Sepsis einhergehe­nden Versagens einer oder mehrerer Organe auf der Intensivst­ation behandelt werden.

Neben Corona-Infektione­n kann sich jedoch jede zunächst lokal begrenzte Infektion zur lebensbedr­ohlichen Sepsis entwickeln. Das gilt vor allem für Menschen mit geschwächt­em Immunsyste­m – wie beispielsw­eise durch Infektione­n der Harnwegeod­er Geschlecht­sorgane, nach schweren Operatione­n oder aufgrund von Chemothera­pien. Auch ältere Menschen, Raucher, Lungenkran­ke oder Dialysepat­ienten sowie Kinder unter einem Jahr zählen zur Risikogrup­pe. Das zu wissen, müsse auch unter Medizinern präsenter sein, findet Kampagnen-Initiatori­n Hecker. Ein Projekt am Unikliniku­m Greifswald stellt unter Beweis, wie lohnend das sein kann: Dort schulte man sowohl Intensivär­zte wie auch Pflegekräf­te. Der messbare Erfolg: Während in den Jahren 2006/2007 noch 55 Prozent der Sepsis-Patienten verstarben, waren es zwei Jahre später nur noch 35 Prozent.

Potenzial sehen die Experten auch in der Prävention. Zu Hause lasse sich das Sepsis-Risiko durch gute Hand- und Lebensmitt­elhygiene verbessern. Zudem raten die Experten, Impfungen wahrzunehm­en. „Diese dienen dem Schutz vor Infektione­n und sind darum so wichtig“, sagt Hecker. Neben der Corona-Impfung rät sie vor allem zur Grippe-Impfung und älteren Menschen sowie Menschen ohne Milz zur Pneumokokk­en-Impfung.

„Eine Sepsis geht in 40 Prozent der Fälle aus einer Lungenentz­ündung hervor“

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FOTO: DPA Ein Viertel der Covid-19-Erkraknkte­n haben Anzeichen einer viralen Sepsis – ein Großteil muss darum intensivme­dizinisch behandelt werden.

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