Rheinische Post Ratingen

„Ich bin kein Ideologe“

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Der SPD-Vizechef über die Rote-SockenKamp­agne der Union, mögliche Bündnisse und seine Kritik an der Schuldenbr­emse.

Herr Kühnert, schon vor knapp zwei Jahren haben Sie beim SPDParteit­ag vor der Rote-SockenKamp­agne der Union gewarnt, die nun potenziell­e SPD-Wähler verunsiche­rt. Warum lassen Sie die beim Thema Linksbündn­is im Unklaren?

KÜHNERT Ich habe nicht den Eindruck, dass Menschen, die uns gerne wählen möchten, verunsiche­rt wären. Das ist nur der erkennbar letzte Versuch der Union, enttäuscht­e Stammwähle­r doch noch zu mobilisier­en. Aber diese Angstkampa­gne ist doch nicht neu. Die Wiederholu­ng der immer gleichen Leier ändert nichts daran, dass wir in Deutschlan­d keine Koalitione­n wählen, sondern Parteien. Je stärker die SPD wird, desto weniger Koalitions­partner werden benötigt. So einfach ist das.

Beim Parteitag sagten Sie außerdem, dass die Union mit der Kampagne davon ablenken will, dass sie ihr Verhältnis nach rechts nicht ordentlich geklärt hat. Ist das heute klarer?

KÜHNERT Nein, ganz im Gegenteil. Wir erleben eine Union in Aufruhr, in der der rechte Parteiflüg­el langsam aber sicher zum bestimmend­en Faktor wird. Hans-Georg Maaßen ist dabei übrigens nur eine von vielen treibenden Figuren. Mit der MerkelCDU hat das nicht mehr viel zu tun.

Die Union bemüht Sie und SPDChefin Saskia Esken als Schreckges­penster.

KÜHNERT Diese Kampagne der Union war in der ersten Woche vielleicht noch ganz lustig für die eigenen Leute, in der zweiten Woche war sie dann schon peinlich für die Konservati­ven, und jetzt ist sie einfach nur eine intellektu­elle Beleidigun­g. Wenn alles, was die Union noch zusammenhä­lt, der Hass auf Saskia Esken und mich ist, dann sollten die Leute von CDU und CSU sich Gedanken um die Tragfähigk­eit ihrer beiden einst staatstrag­enden Parteien machen.

Ist ein weiteres Bündnis mit der Union für Sie ausgeschlo­ssen? KÜHNERT Wenn wir betonen, dass Demokraten grundsätzl­ich zu Gesprächen

miteinande­r in der Lage sein müssen, dann tun wir das aus Respekt vor unserer Demokratie. Aber wir betonen im selben Atemzug unsere feste politische Überzeugun­g, und die lautet wie folgt: Wir wollen unter allen Umständen eine erneute Regierungs­beteiligun­g der Union verhindern, weil sinnvolles Regieren mit denen nicht mehr möglich ist. Die Union ist leer und entkernt, sie gehört in die Reha.

Würden Sie denn dieses Mal eine linke Mehrheit, sofern sie kommt am Sonntag, für eine Regierungs­bildung nutzen wollen?

KÜHNERT Wir sind jetzt in der spannenden Situation, dass es durchaus noch für eine rot-grüne Mehrheit reichen kann. SPD und Grüne sind den Umfragen zufolge die einzigen beiden Parteien mit kräftigen Zuwächsen im Vergleich zu den Ergebnisse­n vor vier Jahren. Rot-Grün unter einem Kanzler Scholz, das würde der Stimmung im Land am nächsten kommen. Und dafür kämpfe ich. Als linker Sozialdemo­krat kann ich auch nur davon abraten, die Stimme auf gut Glück der Partei Die Linke zu geben. Denn am Sonntag geht es um Scholz oder Laschet, es geht um die Führung im Land. Wer jetzt taktiert, kann sich schnell verkalkuli­eren.

Wie sehr freuen Sie sich auf Christian Lindner als möglichen Partner in einer Ampel?

KÜHNERT Christian Lindner ist ein Luftikus. Er hat sich in diesem Wahlkampf schon auf Laschet als Kanzler festgelegt, auf das Finanzmini­sterium für die FDP und auf eine klare Absage an eine grüne Kanzlerin. Jede Woche eine neue Parole. Lindner ist ein Spieler, der sogar Superreich­e steuerlich entlasten will, gleichzeit­ig aber kein seriöses Finanzkonz­ept hat. Ich frage mich, mit welcher Partei er auf dieser windigen Grundlage zusammenar­beiten möchte.

Was ist jungen Menschen wichtiger: ein ausgeglich­ener Haushalt mit Abbau der Corona-Schulden, oder Schulden ohne Ende und ein stark investiere­nder Staat?

KÜHNERT Natürlich muss der Staat kräftig investiere­n, weil wir in Bund, Ländern und Kommunen einen riesigen Investitio­nsstau haben. Und weil staatliche Investitio­nen eine lenkende Wirkung für Investitio­nen der Wirtschaft haben. Es ist schön zu sehen, dass die Autoindust­rie sich reichlich spät doch noch für die EMobilität entschiede­n hat – aber es brauchte eben auch die Ansage des Staates, in kürzester Zeit eine Million Ladesäulen möglich zu machen. Industrie und Infrastruk­tur, beides gehört zusammen. Und wir dürfen nicht nur auf den Bund gucken. Viele Länder und Kommunen haben fast gar keine Spielräume mehr für Investitio­nen. Wenn der Stadtrat nur noch über Straßennam­en berät und gar kein Geld mehr ausgeben kann, läuft etwas schief.

Die Schuldenbr­emse wird also 2023 wieder greifen, wie Finanzmini­ster Scholz das zugesagt hat?

KÜHNERT Ich war nie ein Freund dieser ziemlich pauschalen Regelung und ob sie zu einer sich immer dynamische­r verändernd­en Welt und Umwelt passt, wage ich zu bezweifeln. Aber ich sehe, dass für eine Abschaffun­g keine Zwei-Drittel-Mehrheiten in Sicht sind. Deshalb muss jede Partei bekennen, wie sie unser Gemeinwese­n stattdesse­n zukunftsfe­st machen will.

Welche Rolle wollen Sie in der Bundestags­fraktion übernehmen? KÜHNERT Bundestags­abgeordnet­er!?

Begnügen Sie sich als stellvertr­etender Parteichef mit einem Platz im Bauausschu­ss?

KÜHNERT Das wäre eine wichtige und ehrbare Aufgabe. Wie es aussieht, könnten wir sehr viele junge Leute in der künftigen Fraktion sein. Das wäre ein starkes Aufbruchsi­gnal. Aber wir wären da die Neuen, meine Person inklusive. Und Überehrgei­z ist ein unangenehm­er Charakterz­ug.

Würde eine stark links und ideologisc­h geprägte Fraktion ein Problem für einen Kanzler Scholz? KÜHNERT Die meisten jungen und neuen Gesichter – auch ich – kommen aus der Kommunalpo­litik und sind keine Ideologen. Wir haben unendlich viel Zeit in die programmat­ische Erneuerung der SPD gesteckt. Das ist der Kitt, der die Partei heute so geschlosse­n dastehen lässt. Niemand braucht Angst davor zu haben, dass im Herbst eine Armada von linksradik­alen Neu-Abgeordnet­en um die Ecke kommt und 75 Prozent Einkommens­teuer fordert. Unser Programm ist klassisch sozialdemo­kratisch und es gilt auch nach der Wahl. Was wir vorhaben, das kann jeder nachlesen.

Werden die SPD-Mitglieder am Ende über eine Koalition entscheide­n?

KÜHNERT Die umfassende Mitglieder­beteiligun­g rund um Fragen der Koalitions­bildung ist ein Erfolg, die SPD hat hier Maßstäbe gesetzt. Ich gehe davon aus, dass das auch so bleibt. Wir sind nämlich eine Mitmachpar­tei.

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