Ingenieurmangel gefährdet Energiewende
Ohne zusätzliche Ausbildung von Profis könnte auch der Ausbau der Bahntrassen scheitern, warnt die Ingenieurkammer-Bau NRW.
DÜSSELDORF Egal, wer nach der Wahl die nächste Bundesregierung stellen wird – von Grünen über FDP, SPD bis zu CDU/CSU sind sich die wichtigsten Parteien einig, dass Deutschland sowohl einen starken Ausbau der Bahnstrecken wie auch der regenerativen Energien in Angriff nehmen muss. Doch tatsächlich drohen sowohl eine ambitionierte Verkehrswende wie eine entsprechend neue Energiepolitik am Ingenieurmangel zu scheitern. Das sagte Heinrich Bökamp, Präsident der Ingenieurkammer-Bau NRW, unserer Redaktion: „Wir haben bereits jetzt einen eklatanten Mangel an Bauingenieuren und Ingenieurinnen in den freien Büros, in der Bauindustrie oder auch im öffentlichen Dienst. Angesichts dessen wird es die Modernisierung der Bahnstrecken, den Bau neuer Trassen für Stromleitungen oder auch die ökologische Modernisierung von Immobilien massiv bremsen, wenn dafür nicht genügend Ingenieure zur Verfügung stehen.“Am Ende könne es so sein, „dass sich die neue Bundesregierung auf ein beeindruckendes Programm für den Umbau von Energieund Verkehrssystemen festlegt und dann merken alle, dass es vorrangig fehlende Kapazitäten für Planung und Management großer Bauprojekte sind, die die Umsetzung behindern, obwohl viele Milliarden Euro Geld bereit gestellt werden“, so Bökamp.
Das Gleiche gelte für eine eventuelle Bauoffensive, um weiteren Wohnraum zu schaffen, wie sie die SPD angekündigt habe: „Ohne ausreichende Kapazitäten an Ingenieuren dauert das alles länger. Wir holen ja aktuell sogar Pensionäre zurück, um voranzukommen.“Der promovierte Ingenieur und Mitinhaber eines Planungsbüros in Münster appelliert an die Politik, mehr für die Ausbildung zum Ingenieur zu werben: „Die zwei in Deutschland ausgebildeten Naturwissenschaftler Ugur ahin und seine Ehefrau Özlem Türeci haben Biontech in Mainz gegründet und zum globalen Pionier bei der Entwicklung eines CoronaImpfstoffs gemacht. Darauf können das Land und das Bildungssystem stolz sein. Damit wir aber auch beim ökologischen Umbau Spitze sind, muss der Beruf des Ingenieurs eine höhere Wertschätzung erhalten.“
Er warnte davor, dass die Ingenieurslücke immer größer wird: „Schon jetzt hat fast jedes der vielen freien Planungsbüros freie Stellen. Wenn aber rund die Hälfte der aktuell in der Kammer organisierten 11.000 Bauingenieure in NRW in den nächsten zehn Jahre das Rentenalter erreicht, fehlen noch einmal einige Tausend Fachleute.“Dabei betont er, dass Ingenieure ein sehr breites Tätigkeitsfeld haben: „Die Leute können aus einer Vielzahl von Aufgaben auswählen.“Dabei betonte Bökamp, dass der Beruf sich zunehmend für Frauen öffne: „Bereits jetzt ist fast jeder dritte neue Ingenieur weiblich. Ich sehe da große Chancen für weiteren Zuwachs, auch weil die Arbeitszeitmodelle immer flexibler werden“. Homeoffice werde „für die reine Planungsarbeit“häufig genutzt, „wobei dann am Ende natürlich auch als Team gearbeitet werden muss“.
Bökamp berichtete, dass die Branche viele Stellen in den vergangenen Jahren mit Migranten und Flüchtlingen besetzt habe: „In vielen Ingenieurbüros wie auch in meinem haben wir nun Beschäftigte beispielsweise aus Syrien oder aus Osteuropa. Die arbeiten sich meistens sehr motiviert und schnell ein.“Umgekehrt meint er, dass die Globalisierung auch eine Chance für die hier ausgebildeten Leute sei: „An einer deutschen Hochschule ausgebildete Ingenieure haben weltweit einen exzellenten Ruf. Wenn die sich also nach einigen Jahren Berufspraxis entscheiden, dass sie gerne einmal im Ausland arbeiten wollen, gibt es viele Möglichkeiten entsandt zu werden oder sich direkt dort zu bewerben.“
10.900 junge Menschen haben sich im Wintersemester 2020/2021 neu als Bauingenieure an einer Hochschule eingeschrieben – nach Meinung von Bökamp viel zu wenig. Ein weiteres Problem sei, dass rund die Hälfte der Studenten den Studiengang ohne Abschluss verließen. Bökamp, selbst Vater von vier Kindern, meint, die hohe Abbrecherquote solle nicht abschrecken: „Natürlich sollte sich ein angehender Ingenieur gerne mit Physik und Mathematik beschäftigen, er oder sie sollte auch ein gutes räumliches Vorstellungsvermögen haben wie es junge Leute oft bei Videospielen zeigen. Aber im Berufsalltag nutzt man die digitalen Werkzeuge, wie beispielsweise Smartphones, Ipads und viele andere digitale Werkzeuge wie auch Drohnen oder 3-D-Brillen bei der Arbeit an den Projekten.“
Scharf kritisierte er, dass der Staat Aufträge meistens nur nach dem Preis vergebe. „Bei der Vergabe von Bauaufträgen sollte mehr auf Qualität statt nur auf den Preis geachtet werden. Das führt dann entweder zu mangelhafter Qualität oder dazu, dass der Preis mit viel Ärger nachträglich nachgebessert wird.“Dabei sollte sich der Staat an privaten Auftraggebern orientieren: „Wenn ein privates Unternehmen ein Vorhaben in Auftrag gibt, zählt meist vorrangig die Qualität und erst zweitrangig der Preis. Darum sind die am Ende häufig zufriedener mit dem Ergebnis.“