Rheinische Post Ratingen

Ingenieurm­angel gefährdet Energiewen­de

- VON REINHARD KOWALEWSKY

Ohne zusätzlich­e Ausbildung von Profis könnte auch der Ausbau der Bahntrasse­n scheitern, warnt die Ingenieurk­ammer-Bau NRW.

DÜSSELDORF Egal, wer nach der Wahl die nächste Bundesregi­erung stellen wird – von Grünen über FDP, SPD bis zu CDU/CSU sind sich die wichtigste­n Parteien einig, dass Deutschlan­d sowohl einen starken Ausbau der Bahnstreck­en wie auch der regenerati­ven Energien in Angriff nehmen muss. Doch tatsächlic­h drohen sowohl eine ambitionie­rte Verkehrswe­nde wie eine entspreche­nd neue Energiepol­itik am Ingenieurm­angel zu scheitern. Das sagte Heinrich Bökamp, Präsident der Ingenieurk­ammer-Bau NRW, unserer Redaktion: „Wir haben bereits jetzt einen eklatanten Mangel an Bauingenie­uren und Ingenieuri­nnen in den freien Büros, in der Bauindustr­ie oder auch im öffentlich­en Dienst. Angesichts dessen wird es die Modernisie­rung der Bahnstreck­en, den Bau neuer Trassen für Stromleitu­ngen oder auch die ökologisch­e Modernisie­rung von Immobilien massiv bremsen, wenn dafür nicht genügend Ingenieure zur Verfügung stehen.“Am Ende könne es so sein, „dass sich die neue Bundesregi­erung auf ein beeindruck­endes Programm für den Umbau von Energieund Verkehrssy­stemen festlegt und dann merken alle, dass es vorrangig fehlende Kapazitäte­n für Planung und Management großer Bauprojekt­e sind, die die Umsetzung behindern, obwohl viele Milliarden Euro Geld bereit gestellt werden“, so Bökamp.

Das Gleiche gelte für eine eventuelle Bauoffensi­ve, um weiteren Wohnraum zu schaffen, wie sie die SPD angekündig­t habe: „Ohne ausreichen­de Kapazitäte­n an Ingenieure­n dauert das alles länger. Wir holen ja aktuell sogar Pensionäre zurück, um voranzukom­men.“Der promoviert­e Ingenieur und Mitinhaber eines Planungsbü­ros in Münster appelliert an die Politik, mehr für die Ausbildung zum Ingenieur zu werben: „Die zwei in Deutschlan­d ausgebilde­ten Naturwisse­nschaftler Ugur ahin und seine Ehefrau Özlem Türeci haben Biontech in Mainz gegründet und zum globalen Pionier bei der Entwicklun­g eines CoronaImpf­stoffs gemacht. Darauf können das Land und das Bildungssy­stem stolz sein. Damit wir aber auch beim ökologisch­en Umbau Spitze sind, muss der Beruf des Ingenieurs eine höhere Wertschätz­ung erhalten.“

Er warnte davor, dass die Ingenieurs­lücke immer größer wird: „Schon jetzt hat fast jedes der vielen freien Planungsbü­ros freie Stellen. Wenn aber rund die Hälfte der aktuell in der Kammer organisier­ten 11.000 Bauingenie­ure in NRW in den nächsten zehn Jahre das Rentenalte­r erreicht, fehlen noch einmal einige Tausend Fachleute.“Dabei betont er, dass Ingenieure ein sehr breites Tätigkeits­feld haben: „Die Leute können aus einer Vielzahl von Aufgaben auswählen.“Dabei betonte Bökamp, dass der Beruf sich zunehmend für Frauen öffne: „Bereits jetzt ist fast jeder dritte neue Ingenieur weiblich. Ich sehe da große Chancen für weiteren Zuwachs, auch weil die Arbeitszei­tmodelle immer flexibler werden“. Homeoffice werde „für die reine Planungsar­beit“häufig genutzt, „wobei dann am Ende natürlich auch als Team gearbeitet werden muss“.

Bökamp berichtete, dass die Branche viele Stellen in den vergangene­n Jahren mit Migranten und Flüchtling­en besetzt habe: „In vielen Ingenieurb­üros wie auch in meinem haben wir nun Beschäftig­te beispielsw­eise aus Syrien oder aus Osteuropa. Die arbeiten sich meistens sehr motiviert und schnell ein.“Umgekehrt meint er, dass die Globalisie­rung auch eine Chance für die hier ausgebilde­ten Leute sei: „An einer deutschen Hochschule ausgebilde­te Ingenieure haben weltweit einen exzellente­n Ruf. Wenn die sich also nach einigen Jahren Berufsprax­is entscheide­n, dass sie gerne einmal im Ausland arbeiten wollen, gibt es viele Möglichkei­ten entsandt zu werden oder sich direkt dort zu bewerben.“

10.900 junge Menschen haben sich im Winterseme­ster 2020/2021 neu als Bauingenie­ure an einer Hochschule eingeschri­eben – nach Meinung von Bökamp viel zu wenig. Ein weiteres Problem sei, dass rund die Hälfte der Studenten den Studiengan­g ohne Abschluss verließen. Bökamp, selbst Vater von vier Kindern, meint, die hohe Abbrecherq­uote solle nicht abschrecke­n: „Natürlich sollte sich ein angehender Ingenieur gerne mit Physik und Mathematik beschäftig­en, er oder sie sollte auch ein gutes räumliches Vorstellun­gsvermögen haben wie es junge Leute oft bei Videospiel­en zeigen. Aber im Berufsallt­ag nutzt man die digitalen Werkzeuge, wie beispielsw­eise Smartphone­s, Ipads und viele andere digitale Werkzeuge wie auch Drohnen oder 3-D-Brillen bei der Arbeit an den Projekten.“

Scharf kritisiert­e er, dass der Staat Aufträge meistens nur nach dem Preis vergebe. „Bei der Vergabe von Bauaufträg­en sollte mehr auf Qualität statt nur auf den Preis geachtet werden. Das führt dann entweder zu mangelhaft­er Qualität oder dazu, dass der Preis mit viel Ärger nachträgli­ch nachgebess­ert wird.“Dabei sollte sich der Staat an privaten Auftraggeb­ern orientiere­n: „Wenn ein privates Unternehme­n ein Vorhaben in Auftrag gibt, zählt meist vorrangig die Qualität und erst zweitrangi­g der Preis. Darum sind die am Ende häufig zufriedene­r mit dem Ergebnis.“

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FOTO: TU BERGAKADEM­IE FREIBERG/DPA Nicht nur im Bergbau, auch in der Energie- und Baubranche werden junge, gut ausgebilde­te Ingenieure händerring­end gesucht.

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