Rheinische Post Ratingen

Im Fadenkreuz des Bösen

- VON DOROTHEE KRINGS

Rainald Goetz sucht in das „Reich des Todes“nach den Ursachen von Folter und Krieg. Ein Wortausbru­ch, der das Theater fordert.

DÜSSELDORF Im Totenreich steht nur noch das Skelett der Zwillingst­ürme. Die USA wurden von einer beispiello­sen Terroratta­cke getroffen. Doch der Anschlag auf New York, auf das pulsierend­e Zentrum der westlichen Welt, tötete nicht nur Hunderte Menschen, sondern setzte einen Mechanismu­s in Gang, an dessen Ende ein ungerechtf­ertigter Krieg im Irak stand und Folter in amerikanis­chen Gefangenen­lagern. Gewalt gebiert Gewalt. Auf der Bühne ist der Angriff gerade geschehen, doch die Trümmer sind schon weggefegt, nichts verstellt mehr den Blick aufs Wesentlich­e. In der gesamten Tiefe der dunklen Bühne sind nur dünne Fäden gespannt, senk- und waagerecht­e Gitterlini­en, Gefängniss­täbe, ein Rasternetz der Macht.

In diesem dreidimens­ionalen Schachbret­t bewegen sich die Schauspiel­erinnen wie Spielfigur­en der Geschichte. Mal zetteln sie in grauen Anzügen als Mitstreite­r des US-Präsidente­n im Weißen

Haus den „Krieg gegen den Terror“an. Mal sind sie in Tarnunifor­men die Folterer im berüchtigt­en Lager von Abu Ghraib, dann wieder NaziGrößen kurz vor Ende des Krieges, die Zyankalika­pseln schon unter der Zunge. In einer stillen, besonders schwer erträglich­en Szene schlüpfen drei Frauen des rein weiblichen Ensembles in die Haut der Gefangenen von Abu Ghraib und berichten von der Praxis ihrer Folterer. Sie schildern deren irres Gehabe, ihre destruktiv­e Lust, sich mit den Geschunden­en zu fotografie­ren, Belege zu schaffen für das abgrundtie­f Böse. Das alles spielt zwischen den Fadenkreuz­en eines skelettier­ten Bühnenbild­es, was sinnfällig ist. Denn es geht Rainald Goetz in „Reich des Todes“nicht um Bilder, nicht um die Erinnerung an einen wirkmächti­gen Terrorakt, sondern um Analyse. Um die Mechanisme­n der Gewalt, um das Wesen des Bösen, um die Frage, warum der Krieg die große Konstante der Geschichte ist. Und warum der Mensch besessen ist von der perversen Lust, andere zu erniedrige­n.

Goetz hat einen Höllenstur­z verfasst, eine Auslieferu­ng an das Böse. Sein Text ist eine manische Erörterung, in manchen Momenten szenisch intensiv, meist aber abstrakt, thesenhaft, voller Anspielung­en und historisch­er Bezüge. Am Beispiel der USA zeigt Goetz auf, wie auch Nationen, die Werte wie Freiheit und die Menschenre­chte hochhalten, sich dunkle Verliese schaffen, rechtsfrei­e Räume, in denen sie ihre Machtfanta­sien ausleben können. Doch nennt Goetz etwa den 2001 amtierende­n Präsidente­n George W. Bush und seine Mitstreite­r nicht beim Namen, benennt sie vielmehr nach anderen historisch­en Größen. So kommen der preußische­n Kriegsmini­ster Roon ins Spiel, SSMann Reinhard Heidrich oder auch der populistis­che Hamburger Richter Ronald Schill. Die Amis und die Deutschen also. Goetz sieht in ihnen zwei „kaputte“Nationen, die Menschen hervorbrin­gen, die vor ihren Folteropfe­rn posieren. Die Werte umdefinier­en, bis keine Menschlich­keit

mehr übrig ist. Als Gleichstel­lung wäre das problemati­sch, doch Goetz stellt sein historisch­es Personal nebeneinan­der, um das Typische zu erfassen und die fatalen Muster der Geschichte hervortret­en zu lassen. Von den Attentäter­n der Anschläge von 9/11 ist in dieser Inszenieru­ng wenig die Rede. Der Fanatismus der Islamisten, ihre bigotte Körperfein­dlichkeit bleiben eine Leerstelle. Im Hades von Rainald Goetz soll der Westen schmoren, soll sich seiner Heuchelei bewusst werden, soll durchleben, was er anderen antut im Namen der Freiheit.

Der Kölner Intendant Stefan Bachmann versucht die manischen

Textfläche­n dieses Stücks verstehbar zu machen, indem er den Rhythmus der Sprache hervorhebt. Er setzt ein kleines Orchester vor die Bühne, das den Abend als Taktgeber und Klangmaler begleitet. Die Schauspiel­erinnen dieser Koprodukti­on zwischen Düsseldorf­er Schauspiel­haus und Kölner Schauspiel müssen also in den zerschnitt­enen Räumen des Fadenbühne­nbilds zu Spiel und Ausdruck finden und sich zugleich dem Takt der Sprache fügen. Sie tun das virtuos, mit hohem Tempo, führen in den ersten Szenen des Abends eine Art Sprechoper auf, bei denen einzelne Darsteller­innen hervortret­en. Rosa Enskat zum Beispiel als ein

US-Präsident, der seine Unsicherhe­it durch vermeintli­che Entschloss­enheit zu überspiele­n versucht und durch sein politische­s Handeln das Foltern in den Lagern erst ermöglicht. Szenische Bebilderun­gen, wie sie etwa Karin Beier bei ihrer Uraufführu­ng des Stücks am Deutschen Schauspiel­haus in Hamburg geliefert hat, verweigert Bachmann indes. Es ist an den Schauspiel­erinnen, mit ihrer Sprache, ihren Körpern diesen Text zu beleben. Für die Zuschauer bleibt der Abend so eine Herausford­erung.

Vor der die Inszenieru­ng schließlic­h mit ironischer Geste kapitulier­t. Die Kölner Schauspiel­erin Melanie

Kretschman­n tritt an die Rampe, das Manuskript in der Hand, und beginnt vorzulesen. In einem irren Monolog spricht sie von Gewalt und Theater und der Vergeblich­keit von Erkenntnis, lässt jedes Blatt, das sie abgearbeit­et hat, zu Boden fallen, spricht immer weiter. Spricht mit jener Besessenhe­it, mit der Rainald Goetz selbst 1983 beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb auftrat, sich während der Lesung die Stirn aufschlitz­te und das eigene Blut vergoss. Sein „Reich des Todes“ist ein verzweifel­ter Wortausbru­ch, eine Klage über die Unmenschli­chkeit. Eine Zumutung für die Bühne. Eine Analyse auch der Gegenwart.

 ?? FOTO: THOMAS RABSCH/SCHAUSPIEL­HAUS ?? Rosa Enskat als US-Präsident (l.) mit Melanie Kretschman­n (M.) und Sabine Waibel (r.) in Rainald Goetz’ Stück „Reich des Todes“.
FOTO: THOMAS RABSCH/SCHAUSPIEL­HAUS Rosa Enskat als US-Präsident (l.) mit Melanie Kretschman­n (M.) und Sabine Waibel (r.) in Rainald Goetz’ Stück „Reich des Todes“.

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