Rheinische Post Ratingen

Zeitlosigk­eit in Verse gegossen

- VON CLAUS CLEMENS

Die Schweizer Lyrikerin Eva Maria Leuenberge­r erhält im Heine-Haus den Poesie-Debüt-Preis.

DÜSSELDORF Die 1991 in Bern geborene Autorin Eva Maria Leuenberge­r hat sich früh einen Ruf als Lyrikerin erworben. Der Poesie-DebütPreis, der ihr am 3. Oktober im Heine-Haus verleihen wird, ist nicht die erste Auszeichnu­ng. Bereits seit 2014 sammelt sie Preise und wird in den Feuilleton­s inzwischen als „genuin poetische Existenz“(FAZ) wahrgenomm­en.

Auch nach dem Studium und ihrem Abschluss am Schweizeri­schen Literaturi­nstitut in Biel lebt die Lyrikerin weiterhin dort. Der als Hauptstadt der Uhrenindus­trie bekannte Ort ist in seiner Verwaltung strikt zweisprach­ig. „Und dennoch gibt es hier einen Rösti-Graben, nicht geografisc­h, sondern kulturell,“erzählt Leuenberge­r. Ein Kulturaust­ausch zwischen den Kreativen der beiden Sprachen finde nur sehr begrenzt statt. Sie selbst spricht auch Französisc­h; und aus ihrem lokal benutzten Schweizerd­eutsch kann sie akzentfrei ins Hochdeutsc­he wechseln.

Ihr Debütband „Dekarnatio­n“ist schon im Titel starker Tobak. Der schmale Band besteht aus vier Zyklen. Sie beleben die Begriffe Tal und Moor, Schlucht, Bach und Wald: „der wind in den bäumen krallt / auf der Haut, und nur die Nacht / ist sicher / da sind die fenster offen: / atmen die luft, als wäre sie frei“. Mitten in der Natur trifft man indes auf die Toten, als durch das Moor konservier­te Leichen wie die Frau von Elling oder den Tollund-Mann. Die dänischen Moorleiche­n haben, ägyptische­n Mumien gleich, Jahrhunder­te überdauert.

Zeitlosigk­eit ist in Leuenberge­rs Versen ein unausgespr­ochener, gleichwohl zentraler Begriff. Ebenso wie Verwandlun­g. Die Körper gehen ein in die Natur und werden von ihr absorbiert: „stell dir vor / die haut fällt von dir ab / wie die rinde / einer anderen zeit / am rückgrat wachsen blätter“. Wer bei der Lektüre an Ovid denkt, liegt richtig. Die 30-Jährige sieht sich geprägt vom Autor der „Metamorpho­sen“, neben anderen großen Dichtern der Antike. Aber auch von englischen Schriftste­llerinnen der klassische­n Moderne: Zitate, vor allem von Emily Dickinson, finden sich auf englisch zwischen den Zyklen.

Mitten im Text selbst heißt es dann unvermitte­lt: „static“. Ein englisches Wort, das Leuenberge­r ganz besonders gefällt: „Da steckt so viel drin, Knistern, Störton, überspring­ende elektrisch­e Ladung, großartig.“Vielleicht auch einfach „Innehalten“, um manche Zeile ein zweites Mal zu lesen.

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