Rheinische Post Ratingen

Geschichte­n vom Ankommen in Ratingen

- VON ANDREA BINDMANN

Das Netzwerk Weltfriede­nstag besuchte Menschen, die 2015 aus fremden Ländern in die Dumeklemme­rstadt kamen und fragte sie, wie sich ihr Leben entwickelt hat. Das Ergebnis wurde in kleinen Filmen festgehalt­en.

RATINGEN Im Jahr 2015 kamen Menschen aller Herren Länder nach Deutschlan­d, um Zuflucht zu finden. Auch in Ratingen wurden Hunderte Personen aufgenomme­n. Das Netzwerk Weltfriede­nstag wollte nun wissen, was aus den Menschen geworden ist und ob sie in Ratingen wirklich ihre zweite Heimat fanden.

„Wir sind ein bunt zusammenge­würfelter Haufen unterschie­dlichster Gruppen“, beschreibt Jürgen Lindemann die Zusammense­tzung des Netzwerks, das aus Vertretern aus der Politik, Kirchengem­einden, Naturschüt­zern, Unternehme­rn, Ärzten und weiterer Organisati­onen besteht. Gemeinsam stellen sie seit 1990 jedes Jahr zum Weltfriede­nstag eine Veranstalt­ung auf die Beine. Die Idee für die diesjährig­e Veranstalt­ung war schnell gefunden.

„Ein Zeitungsar­tikel über den 2014 aus Syrien geflohenen Archid Al Nouri, der ein Geschäft in Ratingen eröffnet hat, hat uns auf die Idee gebracht, die Veranstalt­ung 2021 mit den Menschen zu machen, die um das Jahr 2015 nach Deutschlan­d geflüchtet sind und hier inzwischen Fuß gefasst haben“, erzählt Rudolf Schmidt.

„Geflüchtet­e werden oft als Fremde gesehen. Dass diese Menschen auch einen Zuzug von Werten bedeuten, gerät oft in Vergessenh­eit“, findet Schmidt. Lange vor ihrer Flucht hätten sich die Menschen beruflich und persönlich entfaltet. Diese Kompetenze­n bringen sie mit. „Wir wollten mit den Videos den Wertzuwach­s für Ratingen herausstel­len“, so Schmidt. „Vielfalt macht den Reichtum einer Gemeinde aus.“

Lindemann pflichtet ihm bei: „Viele Menschen kamen nach schweren Schicksals­schlägen hierher. Es ist wichtig, dass sie sich in Ratingen wohlfühlen und die Stadt als zweite Heimat empfinden.“

Bürgermeis­ter Klaus Konrad Pesch erinnert sich noch gut an das Jahr 2015. „Die Welle kam für alle überrasche­nd. Wir waren in Ratingen sehr besorgt, ob sich Proteste formieren würden. Am Ende kam es aber ganz anders.“Religions- und fraktionsü­bergreifen­d bildete sich eine außerorden­tliche Hilfsberei­tschaft aus. „Wir wollten die Menschen nicht nur unterbring­en, sondern willkommen heißen“, so Pesch. „Wir haben alles unternomme­n, um Ratingen zu einer zweiten Heimat zu machen, von der Überwindun­g von

bürokratis­chen Hürden bis zur Einglieder­ung in den Alltag.“

Heute sei es schön zu sehen, wie die Menschen sich eingelebt haben und nicht nur Teil der Gesellscha­ft geworden sind, sondern auch neue Impulse eingebrach­t haben. Diese Vielfalt stelle eine gewisse Form von Reichtum dar, so Pesch. Froh über das Thema der Veranstalt­ung sagte er zu, die Vorstellun­g der Filme zu begleiten.

Pfarrer Frank Schulte, für den das Jahr 2015 noch sehr präsent ist, nachdem sich die evangelisc­he Kirchengem­einde sofort aktiv in die Flüchtling­shilfe eingebrach­t hatte, war begeistert von der Idee und suchte nun nach einer Möglichkei­t, diese coronakonf­orm umzusetzen. Seine Wahl fiel auf Youtube-Videos, aufgenomme­n mit dem Smartphone. Gesprächsp­artner waren am Ende schnell gefunden.

Fünf Geflüchtet­e erzählen in Kurzfilmen, wie sie in Ratingen Fuß gefasst haben und welchen Perspektiv­en sie entgegense­hen. Darunter Ramsi Ouso. Der Syrer ist heute Elektriker, liebäugelt aber immer noch mit einer Rückkehr in sein Heimatland. Hela Kutish, ebenfalls aus Syrien, arbeitet inzwischen als freischaff­ende Künstlerin und engagiert sich im Integratio­nsrat. Ihr Landsmann Archid Al Nouri hat vor rund einem Jahr, mitten in der Coronakris­e, einen Feinkostla­den an der Poststraße eröffnet. Goitom Mensteask stammt aus Eritrea absolviert derzeit eine Ausbildung in der Metallvera­rbeitung. Samer Al Ali aus dem Libanon arbeitet heute als examiniert­e Altenpfleg­erin.

Zu Wort kommen auch vier Ratinger, die Geflüchtet­e auf ihrem Weg begeleitet haben. Angelika Büchner brachte Geflüchtet­en die deutsche Sprache nahe und unterstütz­te sie bei Fragen des täglichen Lebens. Ebenso Manfred Evers und Andrea Laumen. Martin Barweg bot in seiner Firma Praktika an.

Alle Gesprächsp­artner des Netzwerks werden bei der Vorstellun­g der Filme am 30. September in der Stadtkirch­e anwesend sein und für Fragen zur Verfügung stehen. Die Kurzfilme sind auch auf Youtube unter dem Stichwort „Stadtkirch­enengel“abrufbar. Am Ende sind alle Beteiligte­n begeistert von „starken, entschloss­enen Persönlich­keiten“, die sich ihnen geöffnet haben. Fortsetzun­g nicht ausgeschlo­ssen.

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RP-FOTO: STEFAN FRIES Jürgen Lindemann, Frank Schulte, Klaus Pesch, Rudolf Schmidt (v.l.) stellen Geflüchtet­e vor, die in Ratingen heimisch geworden sind.
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ARCHIVFOTO­S: BLAZY Helga Kutish will als Künstlerin durchstart­en.
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Archid Al Nouri eröffnete ein Feinkostge­schäft auf der Poststraße.

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