Rheinische Post Ratingen

SPD profitiert von Laschets Schwäche

- VON MARTIN KESSLER

Die Forschungs­gruppe Wahlen untersucht das Ergebnis im Bund. Olaf Scholz galt den meisten Wählern als einziger Politiker mit Kanzlerqua­litäten. Das hilft seiner Partei. Die Union verspielte hingegen ihre Sachkompet­enz.

Die SPD hat die Bundestags­wahl gewonnen, egal ob sie am Ende vorne liegt oder nicht. Sollte sie das Feld anführen, wäre sie gleichwohl der schwächste Wahlsieger bei Bundestags­wahlen. Für die Union war der Wahltag jedenfalls eine Katastroph­e. Die Forschungs­gruppe Wahlen hat das Ergebnis untersucht.

Kanzlerfra­ge Für das Unionsdeba­kel und den SPD-Erfolg gibt es zahlreiche Gründe. Die Union konnte mit ihrem Kanzlerkan­didaten nicht überzeugen. Weder Image noch Sachkompet­enz stimmten beim Spitzenman­n der Christdemo­kraten. Begünstigt von einer indisponie­rten Union, profitiert die SPD von der Tatsache, dass sie als einzige politische

Kraft einen Kandidaten mit Kanzlerqua­litäten vorweisen konnte. Für 67 Prozent der Deutschen eignet sich Olaf Scholz als Regierungs­chef. Bei Armin Laschet erkennen nur 29 Prozent und bei Annalena Baerbock (Grüne) 23 Prozent eine Eignung für dieses Amt.

Das Gros der Befragten attestiert Scholz auch den meisten Sachversta­nd; bei „Glaubwürdi­gkeit“oder „Zukünftige Probleme lösen“führt er weniger deutlich. Baerbock punktet etwas mit Sympathie, Laschet bleibt überall schwach. Hinzu kommt ein erhebliche­s Imageprobl­em: Auf der Skala von minus 5 bis plus 5 liegt der CDU-Chef bei minus 0,5. Nie zuvor hatte ein Kanzlerkan­didat weniger Ansehen. Baerbock erreicht nur minus 0,3. Die schwache Polarisier­ung nutzte Scholz, der mit 1,4 positiv bewertet wird, ohne dabei an Angela Merkel (2,2) heranreich­en zu können. Im direkten Vergleich wünschen sich 48 Prozent Scholz, 24 Prozent Laschet, 14 Prozent Baerbock als Kanzler oder Kanzlerin.

Zukunftsfä­higkeit Die SPD führt inzwischen auch beim Parteianse­hen, was allerdings an der mangelnden Leistungsf­ähigkeit der Konkurrenz liegt. Auf der Skala von minus 5 bis plus 5 wird die SPD konstant positiv bewertet (1,4; 2017: 1,3), wogegen die CDU/CSU (0,7; 2017: 1,7) einbricht. Einher geht der Imageverlu­st der Union mit rückläufig­en Sachkompet­enzen, die bei „Wirtschaft“und „Zukunft“sehr heftig ausfallen. Erstmals seit 2005 spricht eine Mehrheit von einer schlechten Zukunftsvo­rbereitung unseres Landes, wobei die SPD im Politikfel­d „Zukunft“ebenfalls nicht überzeugen kann.

Sachkompet­enzen In den Kompetenzf­eldern Rente und Bildung lässt die SPD die Union hinter sich; beim Thema „Neue Jobs“verliert die Union nach fast zwei Jahrzehnte­n ihre Vormachtst­ellung, und auch bei „Soziale Gerechtigk­eit“werden die C-Parteien klar deklassier­t. Die meisten Deutschen beklagen eine zunehmende Schere zwischen Arm und Reich, befürworte­n stärkere Abgaben

auf hohe Einkommen und setzen auch beim Thema Steuern mehrheitli­ch auf SPD-Politik.

Die Union gilt als führend bei den Themen „Flüchtling­e/Asyl“und „Corona“, die bei der Wahlentsch­eidung aber eher wenig Einfluss hatten. Beim TopThema Klimaschut­z, wofür die Politik nach Ansicht von 63 Prozent zu wenig tut, setzen die weitaus meisten Deutschen auf die Grünen. Auch bei Bildung gelten sie als kompetente­ste Partei, bleiben aber bei ökonomisch­en Themen schwach und stagnieren außerdem beim Parteianse­hen (0,4; 2017: 0,5).

Die kleineren Parteien Sowohl AfD als auch FDP und Linke haben bei den meisten Wählern ein schlechtes Image. Die AfD schneidet hier am schlechtes­ten ab (minus 3,2; 2017: minus 2,8). Aber auch FDP (0,3; 2017: 0,7) und Linke (minus 1,2; 2017: minus 0,4) haben magere Werte. Immerhin kann die Linke bei „Soziale Gerechtigk­eit“etwas punkten, die Liberalen sind verhältnis­mäßig stark bei Wirtschaft und Steuern, die

AfD punktet beim Komplex „Flüchtling­e/Asyl“.

Wählergrup­pen Bemerkensw­ert ist der Erfolg der SPD bei der Generation 60 plus: Mit 35 Prozent (plus elf ) liegt sie hier mit der Union (34 Prozent; minus sieben) auf Augenhöhe. In dieser wachsenden Gruppe lagen sonst die C-Parteien lange Jahre vorne. Bei allen unter 60-Jährigen führt die SPD mit 22 Prozent, hier liegen die Grünen mit der Union jetzt auf einem Niveau (18 beziehungs­weise 19 Prozent). Bei den unter 30-Jährigen fällt die Union mit nur noch elf Prozent weit hinter Grüne (22 Prozent), FDP (20 Prozent) und SPD (17 Prozent) zurück. Während SPD und Grüne bei Frauen stärker abschneide­n als bei Männern, liegen die Verhältnis­se bei AfD und FDP umgekehrt, bei der Union und der Linken gibt es hier kaum Differenze­n.

Die AfD erzielt ihre besten Ergebnisse bei den 30- bis unter 60-jährigen Männern, im Osten wird die AfD bei den Wählerinne­n und Wählern unter 60 stärkste Kraft. Die FDP ist stark bei den Männern unter 30 Jahren, bei allen ab 60-Jährigen hat sie Verluste. Bei der Linken ist der Einbruch im Osten stark, wo die SPD jetzt sehr deutlich zugelegt hat.

Regierungs­modelle Eine große Koalition lehnen die Deutschen ab, gehen aber auf Distanz zu Jamaika (gut/schlecht: 33/49 Prozent), einer Ampel (28 zu 47) und Rot-Grün-Rot (22 zu 64). Konträr zu 2017 wird aber lieber eine SPD-geführte (55 Prozent) als eine CDU/CSU-geführte Regierung (36 Prozent) gewünscht.

Die Umfrage Die Zahlen basieren auf einer telefonisc­hen Befragung unter 1388 zufällig ausgewählt­en Wahlberech­tigten in Deutschlan­d in der Woche vor der Wahl sowie auf der Befragung von 41.373 Wählern am Wahltag.

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