Wenn ein Polizist zum Mörder wird
Die junge Londonerin Sarah Everard verschwindet plötzlich spurlos und wird später tot aufgefunden. Ein Elite-Polizist gesteht die Tat. Der Fall hat Großbritannien in Atem gehalten. Nun geht er zumindest juristisch zu Ende.
LONDON
Polizisten handgreiflich gegen junge Frauen vorgingen.
In der Folge kam es zu weiteren Mahnwachen landesweit. Britinnen identifizierten sich en masse mit Sarah Everard, weil sie Gewalt gegen Frauen aus ihrem eigenen Leben kennen. Eine Yougov-Umfrage für die Organisation U.N. Women UK meldete, dass 97 Prozent aller Frauen zwischen 18 und 24 Jahren schon einmal sexuell belästigt worden waren und 80 Prozent angaben, dass dies an öffentlichen Orten stattgefunden hatte.
Aber nur vier Prozent meldeten es der Polizei. Denn immerhin denken 45 Prozent aller Frauen, dass eine Anzeige zu nichts führen würde. Schließlich zeigte eine Erhebung der Nationalen Statistikbehörde, dass bis zum März 2020 der Polizei 758.941 Fälle von häuslicher Gewalt angezeigt wurden, aber die Zahl der erfolgreichen einschlägigen Strafverfolgungen gleichzeitig um 22 Prozent auf 61.169 Verurteilungen gefallen war. Und nur ein Prozent aller Vergewaltigungsanzeigen führen zu einer Verurteilung.
Allein seit dem Tod von Everard sind 78 Frauen durch Gewaltverbrechen gestorben, die von Männern begangen wurden. Das Bild, das diese Zahlen nahelegen, ist krass: Frauenfeindliche Vergehen scheinen alltäglich und weitverbreitet, und es wird wenig dagegen getan. Kein Wunder, dass der Fall Everard für britische Frauen symbolisiert: Jetzt ist es genug. „Wir sind alle Sarah“, stand auf einem Poster beim Schrein in Clapham Common.
Geschehen ist wenig, um den Missstand zu beenden. Die Regierung versprach, den „Safer Street Fund“auf 45 Millionen Pfund aufzustocken, um bessere Straßenbeleuchtung und mehr Überwachungskameras zu finanzieren. Das ist nicht genug, findet Jess Phillips, die frauenpolitische Sprecherin der Labour-Partei. Sie fordert „eine ordentliche Gewalt-gegen-FrauenStrategie“, nicht „kleine Geldtöpfe, hier oder da“. Landesweit sollten, so Phillips, frauenfeindliche Gewalttaten zu einem Kapitalverbrechen wie Terrorismus erklärt werden, denn das würde der Polizei erlauben, mehr Zeit und Ressourcen bereitzustellen, um Verbrecher zu überführen.
Premierminister Boris Johnson müsste sich persönlich darum kümmern, meint Phillips, „denn das Innenministerium hat versagt. Solange er das nicht tut, wird die Hälfte der Bevölkerung in diesem Land niemals wirklich sicher sein.“
Wayne Couzens erschien am Mittwoch vor dem Old Bailey in London, dem höchsten Strafgericht des Landes. Chefankläger Tom Little sagte, dass man den Fall in fünf Wörtern komprimieren könnte: „Täuschung, Entführung, Vergewaltigung, Erwürgung, Feuer“. Couzens blickte zu Boden und schien, wie ein Beobachter bemerkte, „labil“. Der Richter Adrian Fulford hat nun zu entscheiden, wie lange Couzens hinter Gitter muss. „Lebenslänglich“droht ihm schon automatisch aufgrund seines Schuldbekenntnisses. Das bedeutet im britischen Strafrecht im Durchschnitt eine Haft von 15 bis 20 Jahren. Aber Fulford hatte schon in einer vorherigen Anhörung angedeutet, dass Couzens wegen der Schwere seines Verbrechens womöglich bis zum Ende seines Lebens in Haft bleibt.