Rheinische Post Ratingen

Als Paar irgendwie klarkommen

Dietrich Brüggemann­s „NÖ“handelt vom Auf und Ab einer modernen Beziehung.

- VON MATTHIAS VON VIERECK

Im Frühjahr gehörte er zu den Mitinitiat­oren der umstritten­en Aktion #allesdicht­machen: Der Regisseur, Musiker und Drehbuchau­tor Dietrich Brüggemann. In einer Reihe von Kurzvideos kommentier­ten namhafte Filmschaff­ende wie Jan Josef Liefers die Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie auf mal vermeintli­ch satirische, mal vermeintli­ch ironische Art.Nicht nur Brüggemann wurde für die Teilnahme an der Aktion teils heftig kritisiert. Im neuen Spielfilm des gebürtigen Müncheners kommt Corona mit keinem Wort vor. Um große Themen geht es gleichwohl, in dieser skurrilen, dieser ziemlich irren Komödie um ein Liebespaar im Strudel des Lebens. In den Hauptrolle­n zu sehen sind Anna Brüggemann und Alexander Khuon.

„NÖ“ist nach „3 Zimmer/Küche/Bad“und „Kreuzweg“der fünfte Film, den das Geschwiste­rpaar Anna und Dietrich Brüggemann gemeinsam entwickelt hat. Während er, Dietrich, hinter der Kamera steht, ist sie, Anna, auch davor zu sehen. Es geht um die Nöte, die Sorgen, Wünsche und Ängste eines Paars, beide Anfang oder Mitte 30: Dina (A. Brüggemann) und Michael (Khuon).

„Ich denke manchmal, wir sollten uns trennen“, sagt er gleich zu Beginn. Doch diese Rechnung, die hat er ohne seine so resolute wie zerbrechli­che Partnerin gemacht. Was folgt, ist ein auf wenige Szenen verteilter, mit wenigen Schnitten auskommend­er, sieben Jahre umspannend­er Reigen an Irritation­en,

Herausford­erungen, Kämpfen und Versuchen, irgendwie als Paar klar zu kommen. Es geht um Familie und, nicht zuletzt, eine der größten Herausford­erungen für viele Paare: das erste gemeinsame Kind.

Wiederholt reißt Brüggemann in „NÖ“Löcher in die uns umgebende Realität: Da ist das unheimlich­e Monsterges­icht, das den angehenden Vater beim ersten Baby-Ultraschal­l anglotzt. Da ist die einen sehr skurrilen Verlauf nehmende Operation, da sind all die Szenen, in denen das Gewissen, das Über-Ich, die Angst der Protagonis­ten plötzlich auf erschrecke­nde Art und Weise direkt zu den Figuren zu sprechen scheint.

Was ist es, wovor angehende Eltern Angst haben? Wovor fürchten wir uns als Gesellscha­ft in diesen irren, diesen verwirrend­en Zeiten? Brüggemann legt seinen Finger nicht nur auf die Wunden, zuweilen bohrt er richtiggeh­end in diesen herum. Das ist mal irre komisch, mal auch einfach nur schockiere­nd. Die brutal-nüchterne, die zynische Art etwa mit der der famose Mark Waschke den angespannt­en Eltern nicht nur (gegen deren Willen) das Geschlecht des Babys verrät, sondern auch zugleich voll Verachtung über diejenigen urteilt, die keinen pränatalen Test auf Trisomien wünschen.

Brüggemann aber kultiviert einen Ton, der sich absetzt vom deutschen Kinogesche­hen, der stets bemüht ist um seine Andersarti­gkeit. Die Herangehen­sweise der Geschwiste­r, sie hat etwas sehr Erfrischen­des – auch wenn sie nicht in jedem Moment dieses Films voll und ganz funktionie­rt. Schließlic­h ist es nicht zuletzt der Filmtitel selbst, der wie ein trotziges Statement wirkt: Mitmachen beim oft arg schablonen­haften, gefälligen deutschen Mainstream-Kino? Darauf hat Dietrich Brüggemann eine klare Antwort: „NÖ“. dpa

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FOTO: DPA Alexander Khuon als Michael und Anna Brüggemann als Dina.

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