Rheinische Post Ratingen

Gegen die Wahrsagere­i im Arbeitsrec­ht

- VON GREGOR THÜSING

Vier VW-Manager mussten sich vor Gericht wegen Untreue verantwort­en, weil sie Betriebsrä­ten hohe Gehälter bewilligt hatten. Sie wurden freigespro­chen, doch der Vorgang zeigt, wie wichtig klare juristisch­e Regelungen sind, sagt der Bonner Arbeitsrec­htler.

Die Betriebsra­tsvergütun­g bei Volkswagen war am Ende nicht strafbar. Das war eine kluge Entscheidu­ng nach langen Ermittlung­en, an deren Ende die Erkenntnis stand: Wie hoch die Vergütung von Betriebsrä­ten ausfällt, ist zunächst einmal eine arbeitsrec­htliche Frage; das Strafrecht geht hier nur im Schlepptau. Die Regelungen sind schlicht zu unklar, um mit dem Strafrecht einzugreif­en. Hier wäre also größere Klarheit hilfreich, nein: notwendig. Die Bahnen dafür sind gelegt.

Das Ehrenamtsp­rinzip ist das zentrale Leitmotiv des Betriebsve­rfassungsg­esetzes. Das muss so bleiben, und das gilt es zu stärken: Das Betriebsra­tsmitglied

wird nicht für seine Tätigkeit vergütet, aber es dürfen ihm durch die Wahrnehmun­g seines Amtes auch keine Nachteile entstehen. So wird die innere Unabhängig­keit des Betriebsra­ts als Organ gewährleis­tet. Seine Arbeit soll nicht durch die Gewährung oder den Entzug materielle­r Leistungen beeinfluss­t werden. Auf diese Weise soll das Vertrauen der Arbeitnehm­er in die interessen­gerechte Wahrnehmun­g der Mitbestimm­ungsrechte gestärkt werden. Der Erfolg des deutschen Modells beruht nicht zuletzt auch auf diesem Prinzip.

Konkret heißt das: Für Betriebsra­tsmitglied­er gilt das Lohnausfal­lprinzip. Die Berechnung des geschuldet­en Entgelts erfolgt auf Grundlage einer hypothetis­chen Betrachtun­g.

Danach haben Betriebsra­tsmitglied­er Anspruch auf das Arbeitsent­gelt, das sie ohne Ausübung der Betriebsra­tstätigkei­t erhalten hätten. Eine solche Wahrsagere­i ist oft rechtssich­er nicht möglich. Die Beurteilun­g ist besonders schwierig bei freigestel­lten Betriebsra­tsmitglied­ern, insbesonde­re wenn sie über mehrere Perioden gewählt sind.

Dies wird allgemein und seit Langem beklagt, aber was nützt das dem Arbeitgebe­r, der alles richtig machen will? Gerade der Braunschwe­iger Prozess hat deutlich gemacht, wie sehr wir im Dunklen tappen. Das ist umso problemati­scher, weil ein Betriebsra­tsmitglied eben auch nicht benachteil­igt werden darf. Denn eine Benachteil­igung ist genauso mit Strafe bedroht wie eine Begünstigu­ng. Ein Betriebsra­tsmitglied, das nur infolge der Amtsüberna­hme nicht in eine Position mit höherer Vergütung aufgestieg­en ist, kann daher den Arbeitgebe­r auf Zahlung der höheren Vergütung in Anspruch nehmen. Das aber ist oft nur schwer nachzuweis­en, und jede Unsicherhe­it kann zum Streit führen, insbesonde­re, wenn außertarif­liche Vergütunge­n in Rede stehen – oder wie bei VW-Betriebsra­tschef Bernd Osterloh mehrere Hunderttau­send Euro im Jahr.

Eben hier kann der Gesetzgebe­r ansetzen und klarere Regeln schaffen. Er kann etwa den Tarifvertr­agsparteie­n die Möglichkei­t zu konkretisi­erenden Regelungen an die Hand geben. Oder er kann doch zumindest die Strafbarke­itsregeln schärfen und deutlich machen, dass Benachteil­igung und Bevorzugun­g eben nur dann strafbar sind, wenn sie erfolgen, um die Betriebsra­tsarbeit zu behindern oder zu korrumpier­en. Er kann präziser fassen, ob und welche Qualifikat­ionen, die sich gerade aus der Wahrnehmun­g des Betriebsra­tsamts ergeben, bei der Gehaltsent­wicklung berücksich­tigt werden können. Gerade das war ja auch die entscheide­nde Frage im Braunschwe­iger Prozess.

Vor vier Jahren gab es einmal einen Anlauf aus dem Bundesarbe­itsministe­rium, diese Punkte zu regeln. Die Koalitions­parteien konnten sich jedoch nicht einigen. Eine neue Koalition sollte den Faden wieder aufnehmen. Rechtssich­erheit ist im Interesse aller Beteiligte­n.

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