Plötzlich ging das Licht aus
Stromausfälle in China gefährden nicht nur das Wirtschaftswachstum, sondern auch die Bevölkerung.
PEKING Nachdem in einer Stahl- und Eisengießerei im nordostchinesischen Liaoning ohne Vorwarnung der Strom abgedreht wurde, mussten sich Anfang der Woche mindestens 23 Menschen wegen starker Gasvergiftungen ins Krankenhaus einliefern lassen. Auch zahlreiche Nutzer auf sozialen Medien berichten von Kohlenmonoxid-Vergiftungen, nachdem in ihren Häusern mitten in der Nacht die elektrischen Abgasanlagen ausgefallen waren.
In mindestens zehn Provinzen kommt es dieser Tage zu flächendeckenden Stromausfällen. Zunächst traf es vor allem Fabriken, die ihre Produktion einstellen mussten. Mehrere Zulieferer von Apple und Tesla im ostchinesischen Kunshan haben ihre Fabrikproduktion bis mindestens diesen Freitag suspendiert, was nach der japanischen Publikation Nikkei Asia die Herstellung von iPhones bedrohen könnte.
Spätestens seit Sonntagabend jedoch ist die Energieknappheit von der Arbeitswelt auf den Alltag der Menschen übergeschwappt: So kam es nicht nur in mehreren Städten zu Stromausfällen in Wohnanlagen, auch Ampelanlagen und Straßenbeleuchtungen sind teilweise ausgefallen, was zu Verkehrschaos geführt hat. All das beweist, wie ernst die Lage ist.
Die Gründe für die Stromausfälle sind zumindest teilweise hausgemacht. So möchte die Regierung in Peking einerseits ihre Emissionen drastisch reduzieren und verlangt von Lokalregierungen, ihren Energieverbrauch zu drosseln. Schließlich hatte Staatschef Xi Jinping im vergangenen Jahr erst erklärt, bis 2060 Klimaneutralität erreichen zu wollen. Fast alle Provinzen haben die ausgegebenen Ziele für das laufende Jahr jedoch deutlich überschritten, was nun den Druck erhöht, den Konsum stark zurückzufahren.
Doch wie das Wirtschaftsmagazin Caijing berichtet, ist die Hauptursache
des Problems eine tatsächliche Energieknappheit, insbesondere von Kohle. Dies wiederum hat mehrere Gründe: Im Zuge eines Handelsstreits mit Canberra hat Chinas Staatsführung angeordnet, die Kohleimporte aus Australien drastisch zurückzufahren. Zudem ist die Kohlezufuhr aus der Kernregion Innere Mongolei eingebrochen, nachdem die Aufsichtsbehörden dort in den letzten Monaten eine strikte AntiKorruptions-Kampagne lanciert hatten. Und nicht zuletzt steigt die Nachfrage für Heizenergie im Nordosten des Landes, nachdem es dort früher als gewöhnlich zu winterlichen Temperatureinbrüchen kam.
All dies ist eine bedrohliche Gemengelage für die Energiesicherheit des Landes. Dass sich die Lage bald bessert, scheint unrealistisch. Schließlich ist die Kohlenproduktion in vielen chinesischen Kraftwerken auch deshalb zurückgegangen, weil die Rohstoffpreise derzeit auf Rekordniveau sind.
Mehrere Finanzdienstleister haben ihre Wirtschaftsprognosen für die Volksrepublik für das laufende Jahr bereits leicht nach unten korrigiert. Die japanische Nomura Holding ging noch vor wenigen Tagen von einer Expansion des chinesischen Bruttoinlandsprodukts von 8,2 Prozent aus, nun aber rechnet man mit 7,7 Prozent – und hält weitere Anpassungen für durchaus denkbar.
Am ernsten ist die Lage in der Region Dongbei, dem kontinental geprägten Nordosten. In der dortigen Provinz Jilin berichten lokale Medien, dass sich die Bevölkerung bis in den kommenden März hinein auf weitere Einschränkungen einstellen solle, was Strom- und Wasserausfälle anbelangt. Der Gouverneur der Provinz hat bereits gewarnt, dass trotz der angespannten Lage Stromausfälle unbedingt vermieden werden müssen. Denn bei Temperaturen von weniger als minus 20 Grad in der Nacht sind diese für Millionen Einwohner regelrecht lebensbedrohlich.