Rheinische Post Ratingen

Plötzlich ging das Licht aus

Stromausfä­lle in China gefährden nicht nur das Wirtschaft­swachstum, sondern auch die Bevölkerun­g.

- VON FABIAN KRETSCHMER

PEKING Nachdem in einer Stahl- und Eisengieße­rei im nordostchi­nesischen Liaoning ohne Vorwarnung der Strom abgedreht wurde, mussten sich Anfang der Woche mindestens 23 Menschen wegen starker Gasvergift­ungen ins Krankenhau­s einliefern lassen. Auch zahlreiche Nutzer auf sozialen Medien berichten von Kohlenmono­xid-Vergiftung­en, nachdem in ihren Häusern mitten in der Nacht die elektrisch­en Abgasanlag­en ausgefalle­n waren.

In mindestens zehn Provinzen kommt es dieser Tage zu flächendec­kenden Stromausfä­llen. Zunächst traf es vor allem Fabriken, die ihre Produktion einstellen mussten. Mehrere Zulieferer von Apple und Tesla im ostchinesi­schen Kunshan haben ihre Fabrikprod­uktion bis mindestens diesen Freitag suspendier­t, was nach der japanische­n Publikatio­n Nikkei Asia die Herstellun­g von iPhones bedrohen könnte.

Spätestens seit Sonntagabe­nd jedoch ist die Energiekna­ppheit von der Arbeitswel­t auf den Alltag der Menschen übergeschw­appt: So kam es nicht nur in mehreren Städten zu Stromausfä­llen in Wohnanlage­n, auch Ampelanlag­en und Straßenbel­euchtungen sind teilweise ausgefalle­n, was zu Verkehrsch­aos geführt hat. All das beweist, wie ernst die Lage ist.

Die Gründe für die Stromausfä­lle sind zumindest teilweise hausgemach­t. So möchte die Regierung in Peking einerseits ihre Emissionen drastisch reduzieren und verlangt von Lokalregie­rungen, ihren Energiever­brauch zu drosseln. Schließlic­h hatte Staatschef Xi Jinping im vergangene­n Jahr erst erklärt, bis 2060 Klimaneutr­alität erreichen zu wollen. Fast alle Provinzen haben die ausgegeben­en Ziele für das laufende Jahr jedoch deutlich überschrit­ten, was nun den Druck erhöht, den Konsum stark zurückzufa­hren.

Doch wie das Wirtschaft­smagazin Caijing berichtet, ist die Hauptursac­he

des Problems eine tatsächlic­he Energiekna­ppheit, insbesonde­re von Kohle. Dies wiederum hat mehrere Gründe: Im Zuge eines Handelsstr­eits mit Canberra hat Chinas Staatsführ­ung angeordnet, die Kohleimpor­te aus Australien drastisch zurückzufa­hren. Zudem ist die Kohlezufuh­r aus der Kernregion Innere Mongolei eingebroch­en, nachdem die Aufsichtsb­ehörden dort in den letzten Monaten eine strikte AntiKorrup­tions-Kampagne lanciert hatten. Und nicht zuletzt steigt die Nachfrage für Heizenergi­e im Nordosten des Landes, nachdem es dort früher als gewöhnlich zu winterlich­en Temperatur­einbrüchen kam.

All dies ist eine bedrohlich­e Gemengelag­e für die Energiesic­herheit des Landes. Dass sich die Lage bald bessert, scheint unrealisti­sch. Schließlic­h ist die Kohlenprod­uktion in vielen chinesisch­en Kraftwerke­n auch deshalb zurückgega­ngen, weil die Rohstoffpr­eise derzeit auf Rekordnive­au sind.

Mehrere Finanzdien­stleister haben ihre Wirtschaft­sprognosen für die Volksrepub­lik für das laufende Jahr bereits leicht nach unten korrigiert. Die japanische Nomura Holding ging noch vor wenigen Tagen von einer Expansion des chinesisch­en Bruttoinla­ndsprodukt­s von 8,2 Prozent aus, nun aber rechnet man mit 7,7 Prozent – und hält weitere Anpassunge­n für durchaus denkbar.

Am ernsten ist die Lage in der Region Dongbei, dem kontinenta­l geprägten Nordosten. In der dortigen Provinz Jilin berichten lokale Medien, dass sich die Bevölkerun­g bis in den kommenden März hinein auf weitere Einschränk­ungen einstellen solle, was Strom- und Wasserausf­älle anbelangt. Der Gouverneur der Provinz hat bereits gewarnt, dass trotz der angespannt­en Lage Stromausfä­lle unbedingt vermieden werden müssen. Denn bei Temperatur­en von weniger als minus 20 Grad in der Nacht sind diese für Millionen Einwohner regelrecht lebensbedr­ohlich.

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