Unterschätzte Risiken – können wir uns noch selber helfen?
Nicht nur die Hochwasserkatastrophe hat gezeigt: Wir alle müssen uns zunehmend auf Extremwetterereignisse, Naturkatastrophen und Cyberangriffe einstellen. Das hat Auswirkungen auf die Versorgungsstrukturen der Bundesrepublik Deutschland.
(jme) Dr. Christian Endreß ist Geschäftsführer des Wirtschaftsschutzverbandes Allianz für Sicherheit in der Wirtschaft West (ASW West), der die Kriminalprävention in der Wirtschaft fördert. In der zweiten Diskussionsrunde des 6. RP-Wirtschaftsforums Sicherheit ging er der Frage nach, ob die Strukturen der Inneren Sicherheit und speziell des Zivil- und Katastrophenschutzes in Deutschland heutigen und zukünftigen Ereignissen
noch gerecht werden können. Nahezu paradox erscheint Dr. Endreß, dass einerseits der größte Anteil der Kritischen Infrastrukturen, also die Unternehmen, die die lebensnotwendige Versorgung der Bevölkerung sicherstellen, privatwirtschaftlich betrieben wird, andererseits eine Einbindung in staatliches Krisenmanagement nicht erfolgt. „Häufig werden komplexe Risiken in den Unternehmen und Behörden nicht hinreichend wahrgenommen. Unsere Versorgungsinfrastrukturen sind enorm anfällig und nur einzelne Branchen sind zur Notfallvorsorge verpflichtet. Dabei sollte eine angemessene Notfallvorsorge nicht die Kür, sondern die Pflicht aller Unternehmen und Behörden sein.“
Wie anfällig die Versorgungsstrukturen sind, skizziert Dr. Endreß am Beispiel der Lebensmittelversorgung. „Der Einkauf, also die Versorgung der Bevölkerung mit
Lebensmitteln im Alltag, ist in Deutschland so selbstverständlich, dass – mit Ausnahme der Lebensmittelsicherheit – dieses Feld weder in der Bevölkerung noch in der Wirtschaft oder der Politik viel Beachtung findet“, mahnt er. Bei genauerer Betrachtung zeige sich, dass das privatwirtschaftlich organisierte System der Lebensmittelversorgung durchaus krisenanfällig sei. Da auch in der Bevölkerung ein geringes Risikobewusstsein für Ausfälle
existiere, hat Dr. Endreß Zweifel, ob es im Zusammenspiel aller relevanten Akteure möglich wäre, im Krisenfall eine ausreichende Lebensmittelversorgung zu gewährleisten.“
Aktuelle Studien schätzen zudem die Wahrscheinlichkeit eines großflächigen Stromausfalls innerhalb der nächsten fünf Jahre als hoch ein. Dr. Endreß: „Die Frage ist nicht, ob es zu einem großflächigen Stromausfall kommen wird, gelingt uns nicht, vor die Lage zu kommen, Risiken zu antizipieren.“Derzeit etwa mache man sich Gedanken darüber, wie man Menschen bei Schadenslagen rechtzeitig per SMS warnen könne. „Dieses System – unter cell broadcasting bekannt – gibt es seit Jahren – und es ist in anderen Ländern bereits erfolgreich in das nationale Warnsystem implementiert.“
Axel Schmidt, Salto Systems, berichtet, dass die Notstromversorgung mangelhaft ist – Notstromaggregate seien kaum verbreitet. Gelernt hätten vor allem die, die von einer Katastrophe betroffen waren. „Die nicht betroffen waren, werden ohne die notwendige Sensibilisierung in die nächste Katastrophe hineinlaufen.“Und was Sirenen angeht: „Außer auf Facebook fragt keiner: Was ist denn los? Müssen wir irgendetwas machen?‘“
Meist herrsche bei Probealarm der Gedanke vor „Wird schon nix passieren“– und falls es wirklich wichtig ist, wird schon jemand anrufen. Bei Evakuierungsübungen blieb jedenfalls bisweilen die Hälfte der Belegschaft in ihren Büros ... sondern wann.“Der Experte sieht dringenden Handlungsbedarf: „Nur durch gemeinsame Anstrengungen von Behörden und Unternehmen können komplexe Ereignisse bewältigt werden. Durch eine funktionierende Zusammenarbeit mit der Wirtschaft können Versorgungsengpässe vermieden werden.“Wichtig sei, dass sich alle Akteure, staatlich wie privat, vor dem Eintritt einer Krise abstimmen und Notfallpläne entwickeln.