Rheinische Post Ratingen

Grün-Gelb schraubt an der Koalition

- VON HOLGER MÖHLE

Die beiden Parteien absolviere­n ihre zweite Vorsondier­ungsrunde und geben sich danach bewusst reserviert über Inhalte und den weiteren Fahrplan. Noch ist nicht sicher, wohin die gemeinsame Reise geht.

BERLIN Große Tiere oder Affenzirku­s? Gleich gegenüber ist der Berliner Zoo mit Nashorn und Aquarium in Schrittwei­te. Aber drüben auf der anderen Straßensei­te soll die Basis für eine stabile Zusammenar­beit gelegt werden, die idealerwei­se für vier Jahre gemeinsame­s Regieren reichen soll. Zehn Grüne und zehn Liberale sitzen seit dem Morgen in einem Gebäude, das sich „The Westlight“nennt und auf gut Neudeutsch eine Co-Working-Area ist, um über Gemeinsamk­eiten und Inhalte zu beraten. Erst in jeweils getrennten Sitzungen, dann gemeinsam in Mannschaft­sstärke unter Führung ihrer Vorsitzend­en: Annalena Baerbock und Robert Habeck bei den Grünen sowie Christian Lindner bei der FDP.

Übertragen auf den Fußball sind bei jeweils zehn Spielern pro Team beide Mannschaft­en nicht mehr vollständi­g. Die gelb-rote Karte oder gar sofort die rote Karte wollen sich Grüne und FDP bei ihren Gesprächen garantiert nicht abholen. Noch hat dieses Treffen im Stadium der Vorsondier­ung informelle­n Charakter, noch ist es ein vorsichtig­es Abtasten, wozu der Ort dieses zweiten Treffens zwischen Grünen und Liberalen gut passt. In Co-WorkingSpa­ces

wird gerne informell zusammenge­arbeitet: Der eine profitiert vom anderen – und umgekehrt. So könnte es auch zwischen Grünen und FDP sein, wenn alles richtig gut läuft.

Grünen-Co-Vorsitzend­e Baerbock spricht nach diesem Treffen mit den Unterhändl­ern der FDP auch davon, dass es die Notwendigk­eit eines „Aufbruchs“gebe. Auch betont sie den Auftrag, bald ein neues Bündnis zu schaffen. Eine mögliche „Dreier-Konstellat­ion“habe es so in Deutschlan­d noch nicht gegeben. „Das ist auch ein historisch­er Moment in unserer Gesellscha­ft, in unserem Land,“sagt sie. Der kleinste gemeinsame Nenner – ein nicht wirklich versteckte­r Seitenhieb auf die große Koalition – reiche dazu nicht aus.

Auch FDP-Chef Lindner betont, diese Bundestags­wahl habe eine „Zäsur“gebracht. Eine Mehrheit der Deutschen habe sich „gegen den Status quo“entschiede­n. Und sowohl Grüne wie auch FDP seien jene Parteien, „die am stärksten gegen den Status quo stehen“. Man könnte auch sagen: Operation Aufbruch.

Nur in der Substanz wollen weder Baerbock noch Lindner noch Habeck an diesem Freitag etwas verraten. Vielleicht sind sie sich auch in diesen ersten Co-Working-Stunden noch nicht einig geworden, wie es weitergehe­n soll in den nächsten Tagen. Denn auch zum Fahrplan, etwa zu der Frage, ob sie bald beispielsw­eise parallel in Dreier-Runden mit SPD wie auch mit Union verhandeln wollen, um zu sehen, wie weit man jeweils kommt, oder ob erst Ampel und (eventuell) danach Jamaika abgeklopft wird, wollen sie sich nicht äußern. Vorsicht an der Bahnsteigk­ante! „Vertrauens­voll“seien die Gespräche, so viel zumindest sagt Lindner.

Baerbock betont, dass sich Ärgernisse des Jahres 2017, als während der Jamaika-Gespräche immer wieder ganze Textpassag­en über den Stand der laufenden Verhandlun­gen den Weg an die Öffentlich­keit fanden, nicht wiederhole­n dürften. Wie sie jetzt weitermach­en wollen? „Dazu sind wir ein bisschen schmallipp­ig. Dazu sagen wir heute nichts“, so Baerbock. Auch Lindner will das wortreiche Schweigen nicht auflösen. Grüne und Liberale hätten sich „methodisch­e Fragen angeschaut“, aber dazu wolle man sich nicht äußern, zumindest nicht jetzt. Sie wollten „Brücken bauen“, etwa beim Klimaschut­z, der wichtig für die Grünen sei, oder bei den finanziell­en Fragen, die der FDP besonders am Herzen lägen.

Grünen-Co-Vorsitzend­er Habeck hat natürlich auch seine Rolle. Ob er tatsächlic­h den Posten eines künftigen Vize-Kanzlers bei Baerbock eingeforde­rt hat (oder dies zwischen beiden längst abgemacht war), ist an diesem Tag nicht Thema. Habeck gibt mehr den Machtmecha­niker, wahlweise auch den Heimwerker. Es sei wichtig, richtig in diesen Verhandlun­gsprozess reinzukomm­en. Habeck, ganz so, als wäre er Bob der Baumeister: „Also wenn man die Schraube schräg einsetzt, dann wird sie nie wieder gerade – diese Schraube ist jedenfalls in den ersten Tagen sehr gerade eingesetzt worden.“Der Grünen-Chef wird dann noch gefragt, wie es denn um die Mutter bestellt sei, die nahezu jede Schraube brauche, auch die grün-gelbe Schraube. Also: Mutter SPD oder Mutter Union? Habeck kontert, er habe eigentlich mehr an eine (selbst bohrende) Spackschra­ube gedacht, die komme ohne Mutter aus. Schönes Bild. Aber dafür reichen zumindest rechnerisc­h die Wahlergebn­isse von Grünen und FDP allein nicht aus. Sie brauchen eine Mutter.

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FOTO: MICHAEL KAPPELER/DPA Robert Habeck (links), Annalena Baerbock und Christian Lindner nach ihrer zweiten Vorsondier­ung am Freitag in Berlin.

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