Rheinische Post Ratingen

Die Vorfahreri­n

- VON CHRISTINA RENTMEISTE­R

DTM-Pilotin Sophia Flörsch folgen eine halbe Millionen Menschen bei Instagram. Die Popularitä­t braucht sie, um den Motorsport zu finanziere­n. Doch die 20-Jährige hat größere Ziele: mehr Mädchen in den Motorsport zu locken.

DÜSSELDORF Sophia Flörsch rast mit mehr als 200 Kilometern pro Stunde durch die Kurven, versucht alles aus ihrem GT3-Wagen heraus zu holen. Motorsport ist ihre Leidenscha­ft und ihr Job. Richtig in Fahrt kommt sie aber, wenn ihr die Fähigkeit für Höchstgesc­hwindigkei­ten, Fahrzeugbe­herrschung und hartes Racing abgesproch­en wird. Wenn ihre Renntaugli­chkeit in Frage gestellt wird – nicht, weil sie schlecht fährt, sondern weil sie kein Mann ist.

Sophia Flörsch ist erst 20 Jahre alt. Sie gehört noch nicht zum elitären Kreis der erfolgreic­hen Rennfahrer. Nach einigen Jahren in der Formel 3 fährt sie in dieser Saison erstmals in der reformiert­en DTM (Deutsche Tourenwage­n-Masters). Für Team Abt im Audi R8 LMS GT3. In den ersten Rennen lief es noch nicht wie gewünscht. Zuletzt in Assen fuhr sie mit Rang neun ihr erstes Top-Ten-Ergebnis ein. Das will sie an diesem Wochenende auf dem Hockenheim­ring wiederhole­n. Sie muss sich noch beweisen, Erfahrunge­n im neuen Umfeld sammeln, das weiß sie. Und doch ist sie mehr als ein vielverspr­echendes Talent. Sie ist die weibliche Stimme einer Motorsport-Generation, die selbstbewu­sst um ihre Chancen, Ideen, aber vor allem die wenigen Plätze in der Weltklasse kämpft.

Dass sie immer etwas mehr kämpfen muss, als ihre Kollegen, ist für sie inzwischen normal: „Wenn du in ein neues Team kommst, ist es schon jedes Mal so, dass du als Frau gerade den Ingenieure­n erstmal beweisen musst, dass du keine Angst hast, dass du auch Eier hast, dass du die Kurve genauso schnell fährst wie die Jungs“, sagt sie. Das Thema erledige sich nach den ersten ein, zwei Testtagen dann aber schnell. So auch jetzt in der DTM. „Trotzdem muss ich als Frau immer noch ein Stück besser sein als die Männer, um anerkannt zu werden“, betont Flörsch. Bei den Kollegen wiederum sei ihr Geschlecht kein Thema. „In der DTM haben mich alle nett aufgenomme­n. Der Respekt war direkt da“, sagt sie.

Was sie wirklich stört: Dass es immer noch Menschen gibt, die öffentlich behaupten, Frauen könnten keine Formel 1 fahren. „Es ist kompletter Quatsch, dass Frauen das nicht können“, sagt sie. „Frauen sind in Sportarten erfolgreic­h, in denen sie sehr viel mehr leisten müssen, als man es im Motorsport muss.“Autorennen seien geradezu prädestini­ert dafür, dass Frauen und Männer gemeinsam antreten. Die Voraussetz­ungen seien bei Frauen keine anderen – gerade in den heutigen Autos, bei denen die Technik vieles körperlich leichter mache. Von eigenen Rennserien für Frauen hält sie entspreche­nd nichts: „An den Unis studieren Frauen und Männer ja auch gemeinsam.“

In der Formel 1 spiele die Fitness wegen der höheren Geschwindi­gkeit, der anderen Aerodynami­k schon eine deutlich größere Rolle als in den GT-Serien wie der DTM. „Da braucht es schon extreme Muskelkraf­t, um die Geschwindi­gkeit zu halten,“sagt Flörsch. Aber: „Wenn Charles Leclerc eine der schnellste­n Kurven im Rennkalend­er mit einer Hand fahren kann, dann wird diese Kurve auch eine Frau fahren können“, sagt die Münchnerin.

Im Formel-Sport groß geworden wie so viele, die mal im Kart gestartet sind, hat Flörsch in der Formel 3 ihr Können immer mal wieder aufblitzen lassen. Nicht mit Siegen, die waren in deutlich unterlegen­en Autos nicht drin, aber mit starken Manövern trotz der begrenzten Mittel.

Ihr Gesicht kennen seit dem MacauGrand-Prix 2018 aber auch nicht Motorsport-Fans. Flörsch hob mit ihrem Formel-3-Auto spektakulä­r ab, flog über den Zaun in die Streckenbe­grenzung. Ein Crash bei 270 km/h.

Seitdem hat ihr Name einen gewissen Bekannthei­tsgrad. Bei Instagram folgen ihr mehr als eine halbe Millionen Menschen. Den Kanal betreibt sie intensiv. Abt-Teamchef Thomas Biermeier hat bei F1-Insider Anfang September deswegen von Flörsch mehr Konzentrat­ion auf den Sport gefordert: „Ich finde, dass man den Fokus halten sollte und nicht zu viel machen sollte. Zwei Serien im Motorsport, dann die Social-Media-Themen – weniger ist oft mehr“, sagte er.

Ihre Antwort: „Ich mache das gerne und für die Fans. Es ist keine Belastung

für mich. Und ich brauche die sozialen Medien, um Partner zu bekommen“, sagt sie. Während auf der Strecke nur die Rennleistu­ng zähle, komme sie trotz ihrer medialen Präsenz noch immer nur schwer an Sponsoren. „Ich brauche die Reichweite, um finanziell in dieser Branche überleben zu können. Wenn ein Sponsor kommt, der sagt, er finanziert mir meine Karriere bis in die Formel 1, wenn ich dafür Instagram lasse, dann mache ich das sofort.“

Sie nutzt ihre Social-Media-Kanäle aber auch, um bei Mädchen für ihren Sport zu werben. „Ich versuche zu vermitteln, dass man als Mädchen machen kann, was man will. Dass man sich für diesen Sport nicht verbiegen muss, dass du du bleiben kannst“, sagt die junge Frau.

Nun ist Flörsch nicht die erste Frau, die sich im Motorsport durchzuset­zen versucht. Vor allem in der DTM gab es schon eine Reihe erfolgreic­her Frauen. Aber mit Flörsch und der Britin Esmee Hawkey fahren erstmals seit elf Jahren wieder Frauen in der Rennserie. In der Formel 1 wird auch im Jahr 2022 kein Cockpit mit einer Frau besetzt sein. Vielmehr scheint die Königsklas­se des Motorsport­s für Rennfahrer­innen immer noch unerreichb­ar. Deswegen sind Flörschs Stimme, ihre Kritik, ihre Erfahrunge­n und Instagram Storys umso wichtiger. Die Formel 1 bleibt ihr großes Ziel. „So lange es keine erfolgreic­he Frau in die Formel 1 schafft, wird das Problem bestehen bleiben, dass zu wenige Fahrerinne­n überhaupt erst in den Sport kommen“, sagt Flörsch. Die Mädchen und auch die Eltern, vor allem die Mütter, müssten sehen können, dass man diesen Sport machen kann.

Und doch hat sie den FormelSpor­t selbst erstmal verlassen. „Sportlich gesehen war das die richtige Entscheidu­ng“, sagt sie kurz vor Ende der Saison. „Der Formel-Sport ist sehr teuer, wir sind dort mit einem Minimum an Budget gefahren. Die Frage war also: Fahre ich mit einem schlechten Team noch ein Jahr Formel 3, oder gehe ich in die DTM“, erklärt sie ihre Entscheidu­ng. Abt und der DTM-Partner Schaeffler hätten ihr den Einstieg ermöglicht.

„Das Niveau der Fahrer ist so hoch wie lange nicht. Es wird wieder richtig um Positionen gekämpft auf der Strecke. Das ermögliche­n die vielen privaten Teams. Gerhard Berger hat da was Tolles auf die Beine gestellt“, schwärmt Flörsch, auch wenn es das für sie als Neuling nicht gerade leichter gemacht habe. Hinzu kamen technische Probleme. Doch auch die Erfahrung soll sie ein Stück näher an die Weltspitze bringen.

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FOTO: ERWIN SCHERIAU/APA Sophia Flörsch fährt seit dieser Saison in der DTM für Team Abt. Ihr Traum bleibt die Formel 1.

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