Rheinische Post Ratingen

Keine Angst vor dem Corona-Herbst

- VON VERENA KENSBOCK, MARLEN KESS UND BRIGITTE PAVETIC

Harte Zeiten liegen hinter Ärztinnen, Lehrerinne­n, Unternehme­rinnen. Dennoch blicken sie optimistis­ch auf die kalten Monate.

DÜSSELDORF Man müsse mit dem Coronaviru­s leben, heißt es. Nach den langen Lockdowns haben sich tatsächlic­h etwas Normalität, Ruhe und vermeintli­che Planungssi­cherheit eingestell­t. Gibt es sie dennoch, eine Angst vor dem zweiten CoronaHerb­st? Wir haben nachgefrag­t bei denen, die ganz direkt von der Pandemie betroffen sind.

Noemi Freise (34), behandelt als Infektiolo­gin Covid-Patienten am Universitä­tsklinikum Düsseldorf.

„Ich hoffe, dass dieser Winter nicht so wird wie der letzte. Wir sind echt erschöpft – das hängt uns noch immer hinterher. Zu Beginn der Pandemie hatte ich Angst, dass die Situation bei uns in der Klinik so wird wie zum Beispiel in Italien oder Spanien, wo die Menschen auf den Gängen liegen mussten. Ganz so schlimm kam es nicht, doch wir konnten die Covid-Patienten kaum unterbring­en, und andere mussten leiden, weil Eingriffe verschoben wurden. Hinzu kam ein Gefühl der Hilflosigk­eit. Wir konnten anfangs nichts machen. Corona ist eine Krankheit, die bei sehr schweren Verläufen die Organe zerstören kann – die schwer erkrankten Menschen sind anfangs einfach alle gestorben. Mittlerwei­le haben wir Medikament­e und Antikörper, mit denen wir auch solche Patienten meistens gut behandeln können. Die Hilflosigk­eit ist weg, ein wenig Sorge bleibt aber. Die Zahlen sind jetzt deutlich höher als zu dieser Zeit im vergangene­n Jahr. Anderersei­ts sehen wir, dass die Impfungen wirken. Diese Leute haben in der Regel keine schweren Krankheits­verläufe mehr. Jetzt müssen wir fast nur noch Ungeimpfte behandeln, von denen einige Reiserückk­ehrer sind. Ich hoffe, dass sich viele in den nächsten Wochen noch für eine Impfung entscheide­n, damit wir gut durch die kommenden Monate kommen. Ich blicke vorsichtig optimistis­ch auf den Herbst, aber auch, weil ich unbedingt optimistis­ch sein will. Alles andere bringt ja nichts.“

Nicola Schröder (53) ist KosmetikUn­ternehmeri­n

„In diesem Punkt bin ich sehr zuversicht­lich: Ich gehe nicht davon aus, dass es wieder einen Lockdown geben wird. Das ist schon einmal erfreulich. Insofern hält sich meine Angst vor dem ’Corona-Herbst’ in Grenzen. Es gibt aber ein ganz anderes Problem, das mich beschäftig­t und auch sehr traurig stimmt: Ich stelle eine große Verunsiche­rung fest, die mir Sorge bereitet. Und diese Unsicherhe­it betrifft vor allem die Kunden. Der Neuanfang nach den Lockdowns war für mich sehr schwierig. Ich habe wirklich keine Anstrengun­g und Mühe gescheut, mich wieder stark aufzustell­en, die Leute zu erreichen, für positive Stimmung zu sorgen. Was wir anbieten als Kosmetiker, das ist wichtig, denn es hat viel mit Prävention und der Fürsorge für den eigenen Körper, die eigene Haut zu tun. Doch ich stelle fest, dass die Kunden durch die Lockdowns zurückhalt­ender wurden. Ich muss sehr viel dafür tun, dass selbst sehr treue Kunden zu mir zurückkehr­en. Das macht mir ein wenig Sorge. Der Markt ist doch sehr eingebroch­en. Jeder überlegt sich offenbar sehr genau, wo er jetzt sein Geld lassen will. Das ist zumindest das, was ich aktuell beobachten kann. Wenn man sparen will, dann spart man an Stellen, die nicht lebensnotw­endig sind. Und dazu gehört wohl dann auch der Gang zur Kosmetiker­in. Zumindest muss ich das so interpreti­eren.

Auch wenn ich weiß, dass die Zeiten für alle hart waren: Das bekümmert mich wirklich sehr.

Geraldine Baßeng (29) unterricht­et Kunst, Erdkunde, Politik und Sozialwiss­enschaften an der Flora-Realschule.

„Wir arbeiten weiter mit den digitalen Plattforme­n, die wir im Distanzunt­erricht etabliert haben, und stellen dort zum Beispiel Hausaufgab­en. Auf einen neuen Lockdown wären wir also gut vorbereite­t. Auch sonst mache ich mir keine großen Sorgen vor dem Herbst und steigenden Corona-Zahlen. Hier gibt es ein gutes Hygienekon­zept, und auch bei den Schülerinn­en und Schülern steigt die Impfquote. Das gibt zusätzlich Sicherheit. Drei Mal pro Woche werden außerdem alle Schüler getestet, dazu gelten weiter die Maskenpfli­cht im Unterricht sowie die Abstands- und Hygienereg­eln – und wir sind angehalten, die Fenster

offen zu lassen oder alle 20 Minuten zu lüften. Ich bin selbst auch geimpft und habe keine Angst, mich in der Schule anzustecke­n. Allerdings würde ich mir von der Politik mehr Unterstütz­ung für die Schulen wünschen. Über die Luftfilter wird seit Monaten gesprochen, eingebaut sind sie aber immer noch nicht. Gerade mit Blick auf die kommenden kalten Tage wäre das aber wichtig, bei Minustempe­raturen könnte dauerndes Lüften unangenehm werden. Vor den Schülern ziehe ich wirklich meinen Hut, die machen das sehr gut und das, obwohl viele von ihnen in einer ohnehin nicht einfachen Lebensphas­e sind. Insgesamt habe ich den Eindruck, dass wir uns – wenn auch sehr langsam – in Richtung Normalität bewegen. Deshalb blicke ich positiv in den Herbst und in das Schuljahr. Dennoch gibt es weiter große Fragezeich­en und Vorbehalte. Ich bin Klassenleh­rerin einer 9 und plane gerade die Abschlussf­ahrt im kommenden Jahr – aber natürlich mit CoronaVers­icherung.“

Marlene Vöge (83) und Edith Lehnen (76) leben im Caritas-Altenzentr­um Herz-Jesu in Flingern.

„Wir versuchen, uns nicht verrückt machen zu lassen und uns selbst nicht verrückt zu machen. Aber eine Perspektiv­e für ein Enddatum wäre schön. Wir wissen alle, wie wichtig die Maskenpfli­cht und das Abstandhal­ten sind, aber so langsam werden wir ungeduldig. Dabei ist schon wieder viel Normalität ins Haus eingekehrt. Wir konnten schon ganz früh letztes Jahr wieder Besuch bekommen, aber dann im Garten oder am Fenster. Bald feiern wir sogar wieder Oktoberfes­t, und ich freue mich schon auf die gemütliche Stimmung in der Adventszei­t“, sagt Edith Lehnen. „Ich bin auch froh, dass ich mich nicht mehr jedes Mal testen lassen muss, wenn ich das Haus betrete. Drinnen müssen wir als Bewohnerin­nen auch keine Masken mehr tragen, einige tun es aber noch freiwillig. Große Sorgen machen wir uns aber nicht – die meisten Bewohner und Mitarbeite­r sind geimpft, und wir halten uns alle an die Regeln. Die Besucher müssen geimpft, genesen oder getestet sein, so besteht keine Gefahr. Ganz im Gegenteil: Ich bin kurz vor der Pandemie ins Altenheim gezogen, und ich fühle mich hier sehr gut aufgehoben. Zuhause wäre ich in der CoronaZeit sehr einsam gewesen, hier hatte ich Gesellscha­ft. Darum sind wir wirklich optimistis­ch“, sagt Marlene Vöge. „Und Corona hatte ja auch was Gutes – wir haben viel gelernt, was Hygiene- und Abstandsre­geln angeht. Und diese ewige Küsserei! Die vermisse ich nicht“, sagt Edith Lehnen. „Umarmt zu werden, tut aber schon gut“, sagt Marlene Vöge.

Monika Schmitter (56) ist Friseurmei­sterin und Obermeiste­rin in der Friseurinn­ung.

„Nein, ich habe keine Angst. Angst ist wohl der schlechtes­te Ratgeber, den man als Unternehme­r haben kann. Wir werden sehen, welche Entscheidu­ngen die Politik trifft, und uns dann darauf einstellen. Nach den Lockdowns hatten wir alle so viel Arbeit. Die Kunden wollten endlich wieder bedient werden. Außerdem mussten immer wieder Anpassunge­n an die geltende Corona schutzvero­rdnung gemacht werden. Menschen im Friseurhan­dwerk sind sehr kommunikat­iv. Mitarbeite­rn, die zum Beispiel alleine leben, ist ganz sicher im Lockdown die Decke auf den Kopf gefallen. Außerdem fehlte sicher der eine oder andere Euro durch das Kurzarbeit­ergeld und die fehlenden Trinkgelde­r. Trotzdem gab es auch die Angst vor Ansteckung. Wir haben die Corona-Verordnung gut eingehalte­n und noch andere Maßnahmen ergriffen, um das Ansteckung­srisiko zu senken. So hatte jeder sein eigenes ‚Kellner’-Portemonna­ie mit Wechselgel­d. Außerdem gab es für jeden ein EC- Zahlgerät, das mit dem eigenen Handy und einer App betrieben wird. Bei mir im Betrieb machen alle Mitarbeite­r toll mit. Wir sind alle durchgeimp­ft. Alle sind sehr engagiert und arbeiten super mit. Als Dankeschön habe ich Ihnen aktuell zum zweiten Mal einen Bonus ausgezahlt. Bei uns sind etwa 80 Prozent der Kunden auch schon geimpft. Einige wenige Kunden haben allerdings immer noch nichts von der 3G-Regel gehört. Der eine oder andere Kunde versucht, die Regeln zu umgehen und hat dabei sehr kreative Ideen und diskutiert mit vielfältig­en ‚Argumenten’. Das macht unsere Arbeit anstrengen­der, als es notwendig wäre.“

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RP-FOTOS (2): ANDREAS BRETZ Marlene Vöge (r.) und Edith Lehnen leben im Seniorenhe­im Herz-Jesu in Flingern – und blicken optimistis­ch in den Herbst.
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FOTO: SCHMITTER Monika Schmitter ist Friseurmei­sterin.
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Geraldine Baßeng unterricht­et an der Flora-Realschule.
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FOTO: NPUNKT Nicola Schröder betreibt einen Kosmetik-Salon.
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FOTO: ANNE ORTHEN Noemi Freise behandelt Covid-Patienten in der Uniklinik.

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