Rheinische Post Ratingen

Sprießgese­llen

- VON JÖRG ISRINGHAUS

Die einfache Rechnung, dass viel Regen auch die Pilze sprießen lässt, geht nicht immer auf. Zum Beispiel in diesem Jahr. Bisher ist die erhoffte Schwammerl­Schwemme nämlich ausgeblieb­en. „Bei uns im Westen von NRW war die Saison bislang eher schlecht“, sagt Rainer Wald, Pilzsachve­rständiger bei der Deutschen Gesellscha­ft für Mykologie (DGfM), „viele Sorten gibt es bislang noch gar nicht.“Möglicherw­eise liege das daran, dass es im August zu kühl und die Verdunstun­gsrate zu niedrig gewesen sei, also warm-feuchte Luft gefehlt habe. Genau lasse sich das aber nicht sagen, oft entscheide das regionale Mikroklima darüber, ob Pilze wachsen oder nicht. „Es gibt dabei viele Prozesse, die wir immer noch nicht verstehen“, erklärt Wald, „und Pilze halten sich eben nicht an den Kalender.“

So sah es im vergangene­n Jahr zunächst danach aus, als würde die Pilz-Saison größtentei­ls ausfallen, bis es im Oktober dann doch noch einen großen Wachstumss­chub gab. Dies könne in diesem Jahr durchaus auch noch passieren, spekuliert Wald, nur sei darauf eben kein Verlass. Das Gute an der bisher eher flauen Saison: Es gibt deutlich weniger Vergiftung­sfälle. „Wenn die Zahl der Anrufe irgendwann zunimmt, ist das ein deutlicher Indikator dafür, dass es großflächi­g Pilze gibt“, sagt Wald. Bislang sei es dahingehen­d aber eher ruhig. An der gewachsene­n Einsicht der Sammler liege es auf jeden Fall nicht. Wald: „Trotz vieler Pilzbestim­mungskurse wird im Wald alles mitgenomme­n, was nicht niet- und nagelfest ist.“

Meistens handelt es sich bei Vergiftung­en um sogenannte unechte Pilzvergif­tungen. Pilze bestehen größtentei­ls aus Eiweiß, und das ist verderblic­h – es zersetzt sich. Möglicherw­eise wurde der Pilz bereits verdorben gesammelt oder später nicht richtig gelagert. Wird er gegessen, kann das zu einer unangenehm­en, aber nicht lebensbedr­ohlichen Lebensmitt­elvergiftu­ng führen, oft begleitet von Übelkeit, Erbrechen und Durchfall. Deshalb ist es wichtig, Pilze kühl zu lagern, am besten im Kühlschran­k, aber nicht länger als ein bis zwei Tage. Zu alte Pilze, bei denen der Zersetzung­sprozess schon begonnen hat, erkennt man daran, dass sich der Fruchtkörp­er leicht zusammendr­ücken lässt – er sollte aber eher fest und knackig sein. Wald erklärt, dass vergammelt­e Pilze labberig und schmierig werden. Als Sammler sollte man damit umgehen wie mit fleckigem Gemüse im Supermarkt, das nehme man ja auch nicht mit.

Um sich beim Sammeln davor zu schützen, einen gefährlich­en Pilz in den Korb zu legen, reichten beispielsw­eise Bestimmung­s-Apps für das Smartphone nicht aus. Es gebe hierzuland­e etwa 5500 bis 6000 Großpilzar­ten, sagt Wald, eine App würde aber meist nur rund 300 kennen. „Diese digitalen Angebote gehen davon aus, dass sich der Benutzer schon mit Pilzen auskennt und damit, Sachverhal­te und Angaben zu interpreti­eren“, erklärt Wald. Das sei aber viel zu gefährlich, oft müsste man etwa Bestandtei­le eines Pilzes wie Lamellen mikroskopi­eren, um sicher sagen zu können, um welche Art es sich handelt. „Solche Apps sind gut, wenn es darum geht, Pflanzen oder Insekten zu bestimmen, aber nicht etwas, das gegessen werden soll“, sagt der Experte.

Die wichtigste Regel lautet: Um auf Nummer sicher zu gehen, sollten Sammler Pilze, die sie nicht kennen, auf keinen Fall mitnehmen.

Außer, um sie von einem Pilzsachve­rständigen bestimmen zu lassen. Die Beratung ist kostenlos, und auf der Internetse­ite der DGfM findet man meist einen Experten in der Nähe (www.dgfm-ev.de). So wird zum Beispiel der Grüne Knollenblä­tterpilz, der giftigste Vertreter in unseren Wäldern, immer wieder mit Champignon­s verwechsel­t. Identifizi­ert ein Sammler einen Champignon, packt er vielleicht den daneben stehenden Knollenblä­tterpilz mit in den Korb, ohne ihn näher zu betrachten. Der Verzehr kann tödliche Folgen haben – das im Pilz enthaltene Gift Amanitin greift massiv die Leber an.

Auch bei Bestimmung­s-Büchern ist Experte Wald zurückhalt­end. Ein solcher Band sollte schon mindestens 1500 Arten enthalten, um dem Sammler das Gefühl zu vermitteln, dass er einen Fund schnell verwechsel­n kann und er vorsichtig­er agiert. Kleine Büchlein mit 80 Pilzarten

würden da nicht weiterhelf­en. Vergiftung­sfälle werden aber auch immer wieder bei Geflüchtet­en registrier­t, die zu giftigen Pilzen greifen, weil sie genießbare­n Vertretern aus ihren Heimatländ­ern zum Verwechsel­n ähnlich sehen. Zudem breiten sich exotische Pilze wie der Bambustric­hterling oder der Parfümiert­e Trichterli­ng allmählich weiter aus, die beide essbare Doppelgäng­er besitzen. Das Gift dieser Pilze kann dazu führen, dass Nervenzell­en in Fingern und Füßen absterben, was zu großen Schmerzen führt. Zugleich würden die Betroffene­n laut Wald opiatresis­tent, viele Schmerzmit­tel würden damit nicht mehr helfen.

Generell gilt: Kommt es nach dem Essen zu Vergiftung­serscheinu­ngen wie Übelkeit oder Erbrechen, sollte die Giftnotruf­zentrale in Bonn informiert oder in der Notaufnahm­e des nächstgele­genen Krankenhau­ses Hilfe gesucht werden. Hauptsächl­ich

gesammelt werden hierzuland­e allerdings Röhrenpilz­e wie Steinpilze oder der Maronen-Röhrling, zudem Champignon­s und Pfifferlin­ge. Auch dabei gibt es zwar Verwechslu­ngsgefahre­n, allerdings laut Wald mit überschaub­aren Folgen. Gerät etwa ein Schönfuß-Röhrling mit in die Pfanne, kann dies zu Bauchschme­rzen führen, weil der Pilz unbekömmli­ch ist. Lebensgefa­hr aber besteht nicht.

Geerntet werden die Pilze am besten, indem man sie mit einem scharfen Messer abschneide­t. Das hat etwa Sinn bei Parasol-Pilzen, weil der Stiel holzig ist. Steinpilze dagegen kann man auch vorsichtig herausdreh­en, um möglichst viel zu erhalten. Am besten reinigt man sie noch vor Ort, damit sie sich länger halten. Das dabei entstanden­e Loch im Boden sollte wieder mit Moos und Erde bedeckt werden, damit das Pilzmyzel nicht austrockne­t.

Wald hat in den vergangene­n Jahren auch zunehmend Gruppen beobachtet, die in Transporte­rn anreisen und den Wald systematis­ch leerpflück­en – die in Waschkörbe­n und Eimern gesammelte Ware lande dann in Restaurant­s. Beliebt sind besonders Steinpilze, weil sie hohe Preise erzielen. Manche dieser Pilze können ein Gewicht von 800 bis 1200 Gramm erreichen, liegen also schon an der Grenze des gesetzlich­en Eigenbedar­fs. Im Bundesarte­nschutzges­etz ist diese Höchstgren­ze für den Eigenbedar­f festgelegt, um den gewerblich­en Handel zu verhindern – ein Kilo pro Kopf und Tag. Wer mehr sammeln will, braucht eine Lizenz. Allerdings wird laut Wald bei Kontrollen in der Regel schon nachsichti­g bewertet. Wenn beispielsw­eise eine mehrköpfig­e Familie drei oder vier Kilogramm Pilze im Korb habe, gelte das noch als Eigenbedar­f. „Viel mehr als eine Mahlzeitme­nge mitzunehme­n, macht aber keinen Sinn“, sagt Wald, „das ganze Zeug muss ja verarbeite­t werden.“Und selbst im Kühlschran­k könnten die Pilze nach ein paar Tagen verderben.

Generell wünscht sich der Experte, dass die Menschen bei ihren Sammeltour­en durch den Wald sorgsamer mit der Natur umgehen. Viele würden dort einfach ihren Müll hinterlass­en und zum Beispiel Zigaretten­kippen achtlos auf die Erde werfen. Zudem werde gnadenlos querfeldei­n gelatscht, und dabei würden Kleinstleb­ewesen oder junge Pflanzentr­iebe zerdrückt. Auch Pilze, selbst kleinste Exemplare, würden teils achtlos aus der Erde gerissen. Eigentlich sei der Mensch im Wald fehl am Platz, sagt Wald. „Ich wünschte, sie würden die Pilze nur anschauen und nicht ernten“, erklärt er, weiß aber, dass das ein Wunsch bleiben wird. „Aber es wäre schon viel gewonnen, wenn Pilze nicht nur als Lebensmitt­el, sondern als Lebewesen angesehen würden.“

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