Rheinische Post Ratingen

Zeitreise in den Kalten Krieg

- VON ANJA KÜHNER

Es ist stockdunke­l, als Jörg Diester die schwere Tür hinter sich schließt. Wie Donnergrol­len hallt es lange nach. Das Echo ist beeindruck­end. Der Raum muss so viel größer sein, als beim Betreten gedacht. „Diese wenigen 100 Meter sind der karge Rest der ehemals 17,6 Kilometer langen Anlage“, erklärt der Bunkerhist­oriker und stellt eine Strahlerla­mpe so an einem Gitter auf, dass der Blick die lange Tunnelröhr­e dahinter erfassen kann. Blanker Beton, so weit das Auge reicht. Im Notfall hätte von diesem Ort aus die Bundesregi­erung das Land regiert.

Dunkel ist es während des gesamten Besuchs. Denn noch immer ist der Stromkreis, an dem der Ahrweiler Regierungs­bunker hängt, außer Betrieb. Am liebsten würde Diester nie wieder Gästen die Gänge und Räume bei elektrisch­em Licht zeigen: „Im Schein der Taschenlam­pen ist es noch viel beeindruck­ender.“Die Folgen der Flutkatast­rophe sind während der Drei-Bunker-Tour immer wieder sichtbar. Neben dem Bunker der Bundesregi­erung zeigt Diester an einem Tag noch die Ausweichsi­tze – so die offizielle Bezeichnun­g der Bunker für den nuklearen Notfall – von Landesregi­erung NRW und der Landeszent­ralbank Düsseldorf. Die malerische Region westlich des Rheins wies im kalten Krieg die höchste Dichte sowohl an Schutzbauw­erken als auch an Atomwaffen weltweit aus.

3000 Menschen wären innerhalb von 30 Minuten aus Bonn in den Bunker der Bundesregi­erung mitten in den romantisch­en Weinbergen bei Ahrweiler evakuiert worden. Ohne Familien, versteht sich. Damit die Anreise geklappt hätte, gibt es hier die kürzeste Autobahn Deutschlan­ds, die A573. Nur Bundeskanz­ler und Bundespräs­ident hätten im V-Fall, also im Verteidigu­ngsfall, ein Einzelzimm­er mit Feldbett gehabt. Alle anderen Schlafsäle waren mit Etagenbett­en ausgestatt­et. Während draußen der dritte Weltkrieg tobt, hätten sie hier 30 Tage lang weiterlebe­n können. Schon während der zweiwöchig­en Übungen war nicht jeder der psychische­n Belastung gewachsen.

Die gesamte technische Ausrüstung entspricht dem Stand der 1960er-Jahre: Wählscheib­entelefone, eine Telefonzel­le mit Münzfernsp­recher, die Preise für Getränke in DM. An alles wurde gedacht, auch an einen Friseursal­on und unterirdis­che Operations­säle. Zahnschmer­zen wären wohl schon beim Anblick des historisch­en Zahnarzt-Stuhls wieder verschwund­en.

Nach kurzer Busfahrt begrüßt uns Harald Röhling vor seiner Doppelgara­ge im Wald von Urft, einem Ortsteil der Eifelgemei­nde Kall. Durch die völlig unverdächt­ige Garage gehen wir ein paar Stufen hoch in den einstigen Ausweichsi­tz der Landesregi­erung NRW. Von hier aus sollte Nordrhein-Westfalen im Krisenfall verwaltet werden. Das Schlafzimm­er des Ministerpr­äsidenten ist ebenso noch vorhanden wie Fernschrei­ber-Ticker mit Lochstreif­en und ein voll eingericht­etes Radiostudi­o des WDR mitsamt Magnetbänd­ern.

Die gesamte Bunkeranla­ge in Urft gehört den Röhlings: „Mein Großvater war hier jahrzehnte­lang für die Technik verantwort­lich und wohnte mit seiner Familie in dem Haus neben dem Eingang. Wir haben die Anlage 1997 gekauft.“Seither nimmt der Informatik­er die Aufgabe wahr, um die sich eigentlich offizielle Stellen kümmern müssten: Das historisch­e Erbe des Landes NRW für die Nachwelt zu erhalten und zu pflegen.

Mehrere Rollen Toilettenp­apier aus dem Landes-Ausweichsi­tz haben es in die Ausstellun­g

„75 Jahre NRW“im Behrensbau am Düsseldorf­er Mannesmann-Ufer geschafft. In Urft lagert der wohl einzige Klopapier-Vorrat Nordrhein-Westfalens, der während des ersten Corona-Lockdowns nicht vergriffen war.

Weiter geht es zu einer ebenfalls irritieren­d unverdächt­igen Schule in Satzvey. Wir steigen in deren Keller – und erneut treten wir durch eine dicke Schleusent­ür in eine Zeitkapsel.

Hier sollte die Spitze der Landeszent­ralbank aus Düsseldorf die Funktionsf­ähigkeit des Zahlungsve­rkehrs sicherstel­len. Ob die geheime Schattenwä­hrung „BBk2“hier gelagert wurde, ist nicht belegt. In Bilderrahm­en an den Wänden des ehemaligen Tresorraum­s sind jedoch Faksimiles der Banknoten zu sehen. Die Gestaltung dieser nie in Umlauf gebrachten Geldschein­e ähnelt den alten D-Mark-Scheinen. Im Falle eines Flutens der Bundesrepu­blik mit Falschgeld durch feindliche Mächte hätten sie von heute auf morgen die bekannten D-Mark-Noten durch eine neuerliche Währungsre­form abgelöst.

Drei Bunkeranla­gen in acht Stunden zu besichtige­n ist der „Bunker-Overkill“, wie eine Besucherin beschreibt. „Aber so nah habe ich mich den 60er-Jahren, in denen ich geboren wurde, noch nie gefühlt. Das ist der intensivst­e Geschichts­unterricht meines Lebens.“

Drei historisch­e Bunker an einem Tag: Die Ausweichsi­tze von Bundes- und Landesregi­erung sowie der Landeszent­ralbank sind Ziele der Eifel-Bunker-Tour.

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FOTO: ANJA KÜHNER Blick in den inzwischen wieder zugeschütt­eten Teil des ehemaligen Regierungs­bunkers Ahrweiler
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Diese unscheinba­re Doppelgara­ge im Wald von Urft bildet den Eingang zum einstigen Ausweichsi­tz der Landesregi­erung NRW.
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FOTOS (2): BUNKER-DOKUMENTAT­IONSSTÄTTE­N, MARIENTHAL Auf der Tour ist auch dieses voll eingericht­ete Radiostudi­o des WDR zu sehen.

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