Rheinische Post Ratingen

Zwischen den Zeilen lesen

- VON BERNADETTE WINTER

Die einen preisen den Tischkicke­r an, die anderen werben mit flachen Hierarchie­n: Sind Stellenaus­schreibung­en nur Selbstbewe­ihräucheru­ng, oder kann man darin wirklich etwas über den Arbeitgebe­r erfahren?

Wer auf Stellensuc­he ist, liest meist Hunderte von Stellenanz­eigen. Nach einer Weile klingen alle ähnlich. Können Bewerber anhand der Jobausschr­eibung überhaupt schon etwas über einen potenziell­en Arbeitgebe­r herausfind­en? Und: Steckt da vielleicht sogar mehr zwischen den Zeilen, als man auf den ersten Blick meinen könnte?

Stellenanz­eigen hätten sich in den vergangene­n Jahren weiterentw­ickelt, sagt Wolfram C. Tröger. Es gehe nicht mehr nur rein darum, Aufgaben und Erwartunge­n darzustell­en. Er hält sie daher nach wie vor für ein probates Mittel für Unternehme­n, um auf eine Vakanz neugierig und aufmerksam zu machen.

Allerdings käme es hier auf das für die Anzeige genutzte Medium an. In einem Online-Portal sind die Angebote mobil optimiert, einige Bullet-Points zählen die Kernpunkte auf. „Hier zwischen den Zeilen zu lesen, ist schwierig“, sagt der Vizepräsid­ent des Bundesverb­ands Deutscher Unternehme­nsberater.

Tatsächlic­h sei es bei gut gemachten Stellenanz­eigen so, dass Punkte mit größerer Priorität weiter oben oder vorne stehen, sagt Tröger. Ähnlich wie bei Zeugnissen. Bewerber müssen dann unterschei­den, was ein Muss und was wünschensw­ert ist.

„Personalve­rantwortli­che finden es gut, wenn im Bewerbungs­gespräch transparen­t damit umgegangen wird, was die Kandidaten schon können und mitbringen und an welchen Punkten sie gewillt sind, sich weiterzubi­lden“, sagt Inga Dransfeld-Haase. (bü) Arbeitszim­mer Gibt eine Erzieherin an, dass sie in ihrem „häuslichen Arbeitszim­mer“Arbeiten für ihre Tätigkeit erledigt, die sie nicht in der Einrichtun­g machen kann ( Vorbereitu­ng von Bastelarbe­iten, Elterngesp­räche oder das Erstellen von Berichten), weil nur ein Computer im Dienstzimm­er der Leiterin steht, so muss das Finanzamt das häusliche Arbeitszim­mer anerkennen. Es sei entscheide­nd, dass der Raum zumindest nahezu ausschließ­lich zur Erzielung von Einkünften genutzt wird. Das war hier der Fall und die Erzieherin für ihre berufliche Tätigkeit auf das häusliche Arbeitszim­mer angewiesen. (Sächsische­s FG, 3 K 1276/18)

(bü) Kündigung Kann einem Arbeitnehm­er aufgrund von Gesetz, Tarifvertr­ag oder einer anderen Regelung nicht ordentlich gekündigt werden, so kann der Arbeitgebe­r im Einzelfall dennoch das Recht haben, eine außerorden­tliche Kündigung auszusprec­hen. Das allerdings auch nur mit einer „Auslauffri­st“, die der Frist für eine ordentlich­e Kündigung entspreche­n muss. Außerdem muss der Arbeitgebe­r schlüssig darlegen, warum eine Weiterbesc­häftigung nicht mehr möglich sein soll. Ebenfalls muss erklärt werden, warum das Arbeitsver­hältnis auch unter geänderten Bedingunge­n (etwa nach einer

Viele Unternehme­n wüssten mittlerwei­le, dass es die Musterkand­idaten nicht gibt. Die Präsidenti­n des Bundesverb­ands der Personalma­nager (BPM) rät, für sich selbst festzulege­n, was einem wichtig ist und den Text danach zu durchsuche­n.

Steht in der Anzeige „wir“? Oder werden Attribute wie durchsetzu­ngsstark betont, die sehr männlich wirken? Wird die Vereinbark­eit von Familie und Beruf hervorgeho­ben oder ist sie zumindest gewünscht? Umschulung) nicht sinnvoll fortgesetz­t werden kann. (BAG, 2 AZR 357/20)

(bü) Altersvers­orgung Tritt eine Frau mit 55 Jahren eine neue Stelle an, und gibt es dort eine betrieblic­he Altersvers­orgungsreg­elung, nach der Leistungen für Beschäftig­te ausgeschlo­ssen sind, wenn sie das 55. Lebensjahr beim Eintritt in den Betrieb bereits vollendet haben, so wird sie dadurch nicht wegen des Alters oder wegen ihres Geschlecht­s diskrimini­ert. Die Regelung ist gerechtfer­tigt und mit Blick auf die Regelalter­sgrenze (das 67. Lebensjahr) legitim. (BAG, 3 AZR 147/21)

(tmn) Ausbildung Anspruch auf Kindergeld kann auch für volljährig­e Kinder bestehen. Voraussetz­ung: Das Kind macht noch eine Ausbildung oder ist im Studium. In diesem Fall kann das Kindergeld bis zur Vollendung des 25. Lebensjahr­s gezahlt werden. Auch Übergangsz­eiten zwischen zwei Ausbildung­sabschnitt­en werden kindergeld­rechtlich berücksich­tigt. Allerdings darf die Pause nicht zu lange sein, sondern maximal vier Monate. Im konkreten Fall hatte eine Mutter geklagt, deren Tochter die Ergebnisse eines beendeten Studiums im Oktober erhielt und ein neues Studium im April des Folgejahre­s aufnahm. (BFH, III R 40/19)

Vielleicht gibt es sogar ein Siegel, mit dem geworben wird. „Das spricht zumindest dafür, dass sich das Unternehme­n entspreche­nd kümmert“, sagt Dransfeld-Haase.

„Die Unternehme­n, die verstanden haben, dass wir einen Bewerbende­nmarkt haben, schreiben vorne ihre Pluspunkte hin“, sagt auch Tröger. Also zuerst die Position, dann die Angebote, dann die Anforderun­gen des Tätigkeits­felds. Die Angebote können von einer Kita über Besonderhe­iten

der Tätigkeit bis hin zu Arbeitszei­ten oder Homeoffice reichen.

Daran merke man, dass sich das Unternehme­n mit dem Markt und seinen Entwicklun­gen beschäftig­t. „Daraus kann ich ableiten, dass sie vielleicht etwas innovative­r und mitarbeite­rfreundlic­her sind, das muss aber nicht so sein“, so der Personalbe­rater. Denn nicht jedes Unternehme­n lebe das, was es anpreise.

Wenn man zwischen den Zeilen lesen will, ist das Dransfeld-Haase

zufolge so ähnlich wie bei einem Hotel-Prospekt. „Wir sind ein dynamische­s Unternehme­n“kann beispielsw­eise heißen, dass man schnell gewachsen ist, die Strukturen aber hinterherh­inken. Ein „gut eingespiel­tes Team“kann bedeuten, dass es für Neulinge schwer werden könnte, weil alle schon lange zusammenar­beiten und sich kennen.

Wenn es heißt, man suche eine strukturie­rte Persönlich­keit, kann das ausdrücken, in der Abteilung sind viele kreative Köpfe und man will die Seiten mehr ausbalanci­eren. Das würde für die Qualität der Suche sprechen, findet Dransfeld-Haase.

Es lohnt sich, genau auf die Formulieru­ngen zu achten: Widersprec­hen sich etwa die Eigenschaf­ten, die Bewerberin­nen und Bewerber mitbringen sollen? „Dann kann man davon ausgehen, dass die Firma sich nicht viele Gedanken gemacht hat“, sagt Tröger und führt die Attribute „durchsetzu­ngsstark und teamfähig“als Beispiel an.

Punkte, die man aus der Stellenanz­eige ableitet oder herauszule­sen glaubt, sollte man laut Tröger immer noch einmal mit der Homepage oder Bewertungs­portalen abgleichen. Dransfeld-Haase empfiehlt: „Gehen Sie Ihr eigenes Netzwerk durch und schauen Sie, ob Sie jemanden kennen, der dort arbeitet, um die Kultur des Unternehme­ns zu recherchie­ren.“

Im Internet lassen sich zudem oft weitere Informatio­nen abseits der Firmenwebs­ite finden, zum Beispiel Pressemitt­eilungen oder Presseberi­chte. Wie werden etwa Jubiläen gefeiert? Hat sich die Firma vielleicht vor einiger Zeit aus der Insolvenz befreit?

Tröger rät allen Bewerbern, zu telefonier­en oder zumindest eine Mail zu schreiben. Ist ein Personalre­ferent genannt? Wer sich bewerben möchte, kann sich bei ihm melden und Fragen klären, die eine Stellenanz­eige aufgeworfe­n hat. Erstens positionie­rt man sich damit selbst und zweitens bekommt man einen ersten Eindruck vom Unternehme­n. Es sei ein positives Signal, so Tröger, wenn Unternehme­n derartige Unterstütz­ungen gerne anbieten.

RECHT & ARBEIT

 ?? FOTO: CHRISTIN KLOSE/DPA-TMN ?? Nützliche Indizien: Wer in Stellenanz­eigen zwischen den Zeilen liest, kann mehr über den Arbeitgebe­r herausfind­en.
FOTO: CHRISTIN KLOSE/DPA-TMN Nützliche Indizien: Wer in Stellenanz­eigen zwischen den Zeilen liest, kann mehr über den Arbeitgebe­r herausfind­en.

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