In den Speichern ist weniger Gas als sonst
Die Energiekosten steigen – daher will die EU ärmere Menschen entlasten. Ökonomen sagen, mit Nord Stream 2 sei die Versorgung sicher.
DÜSSELDORF Die Preise für Strom und Gas steigen rasant. Nun wächst die Sorge vor einem kalten Winter. Auf ihrem Treffen am Montag forderten Finanzminister der EU-Staaten staatliches Eingreifen. Frankreichs Ressortchef Bruno Le Maire will in seinem Heimatland die Strom- und Gaspreise bis April einfrieren, zudem verlangt er mehr Investitionen in die Atomkraft. Auch Spanien und Italien fordern staatliche Eingriffe. Das Kohleland Polen will den Emissionshandel stutzen.
Warum steigen die Gaspreise? Seit Januar ist der Großhandelspreis für Gas um 440 Prozent Euro gestiegen. Langsam kommt das auch bei den Verbrauchern an. In der Branche wird spekuliert, dass der russische Konzern Gazprom das Angebot künstlich knapp hält, um die Preise zu treiben und grünes Licht für die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 zu erzwingen. Manuel Frondel, Energieexperte des RWI-Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung in Essen, winkt ab: „Gazprom trifft keine Schuld, Russland liefert mehr Gas als vor Corona“, sagt er. Und sieht andere Ursachen: „Die gestiegenen Preise sind vorwiegend der verbesserten weltwirtschaftlichen Entwicklung und der hohen Nachfrage aus Asien, insbesondere Japan, geschuldet.“Vor Corona sei das Wachstum in den Weltregionen zeitlich versetzt gewesen, durch Corona wurde die konjunkturelle Erholung
synchronisiert, betont auch der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW ). „Dies führt in allen Weltregionen gleichzeitig zu einer erhöhten Nachfrage.“
Drohen Versorgungsengpässe? Die Sorge wächst. „Die Gasspeicher sind aufgrund des kalten Winters relativ leer“, so das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW). Auch der BDEW räumt ein: „Die Füllstände der Gasspeicher in Deutschland liegen bei rund 68 Prozent und damit niedriger als in den Vorjahren.“Die Befüllung habe nach dem langen Winter 2020/21 spät begonnen. Doch der Verband erwartet keine kalten Häuser: „Auch in diesem Winter gilt: Wer mit Erdgas heizt, hat eine warme Wohnung.“Deutschland verfüge mit 47 Gasspeichern an 33 Standorten über die größten Kapazitäten in der EU und beziehe laufend Gas aus Ländern wie Russland, Norwegen, Niederlande oder eigener Förderung. Auch RWI-Experte Frondel ist optimistisch: „Versorgungsengpässe im Winter sind unwahrscheinlich und wären sogar auszuschließen, wenn Nord Stream 2 in Betrieb wäre.“Die umstrittene Röhre ist fertig verlegt. Sie wird derzeit mit Gas befüllt, der Start steht noch aus.
Wie entwickelt sich der Strompreis? Seit Januar ist der Börsenstrompreis um 140 Prozent gestiegen. Bei den Verbrauchern kommt das mit Verzögerung an, da sich Versorger meist mit langem Vorlauf eindecken. Private Verbraucher zahlen bereits vier Prozent mehr als vor einem Jahr. Hier schlägt die Bepreisung von Kohlendioxid-Emissionen zu Buche, mit der die Politik den Klimaschutz vorantreiben will. Seit Anfang des Jahres gilt in Deutschland ein nationaler CO2-Preis. „Eine Familie mit Einfamilienhaus zahlt knapp 120 Euro pro Jahr mehr für das Heizen mit Erdgas, in den nächsten zwei Jahren steigen die Kosten um etwa 140 bis 165 Euro“, erwartet Andreas Fischer, Energieexperte des IW. Grüne und CDU planten einen noch schneller steigenden Preis, im Falle einer Regierungsbeteiligung könnte die Belastung bereits in zwei Jahren auf über 330 Euro steigen, so Fischer. Zudem mache der europäische CO2-Preis die Energie teurer: „Die Strompreise steigen vorwiegend aufgrund steigender Zertifikatspreise im Emissionshandel, die wiederum hauptsächlich der Verschärfung der Klimaschutzziele der EU geschuldet sind“, betont Manuel Frondel. Allein in diesem Jahr hätten sich die Preise auf rund 60 Euro je Tonne CO2 verdoppelt. Ein Ende sei nicht in Sicht: „Es ist mit weiter steigenden Zertifikatpreisen zu rechnen, da die Verschärfung der Emissionsobergrenzen erst noch erfolgt. Damit steigen auch die Strompreise für die privaten Haushalte weiter“, sagt der Experte.
Was halten Ökonomen von den Plänen der Finanzminister? Nichts. Schließlich sind die steigenden Preise für den CO2-Ausstoß politisch gewollt und sollen Wirtschaft und
Verbraucher zu mehr Klimaschutz anregen. Das Institut der Deutschen Wirtschaft fordert stattdessen, die Ökostromumlage abzuschaffen: „Die EEG-Umlage machte in den vergangenen Jahren gut 20 Prozent des Haushaltsstrompreises aus. Gerade für einkommensschwache Haushalte ist das eine hohe Belastung. Durch eine Abschaffung der Umlage könnte eine vierköpfige Familie deutlich über 300 Euro im Jahr einsparen – in einigen Fällen sogar 400 bis 500 Euro“, sagt Andreas Fischer. Auch RWI-Ökonom Frondel betont: „Das wäre aus vielerlei Gründen angebracht, insbesondere um die Akzeptanz für die Energiewende und die 2021 eingeführte CO2-Bepreisung zu erhalten.“Die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung sollten zur Senkung des Strompreises verwendet werden.
Wie belastet der steigende Strompreis die Wirtschaft? Schon im vergangenen EU-Standort-Ranking des IW landete Deutschland beim Stromkostenbergleich auf dem vorletzten 19. Platz von 20 untersuchten Ländern. Vor allem energieintensive Industrien wie Aluminium- oder Stahlerzeuger sowie Chemiefirmen leiden darunter. BASF drosselt wegen der hohen Gaspreise bereits seine Düngerproduktion und reduziert die Ammoniakherstellung in Ludwigshafen und Antwerpen. Wegen der Erdgaspreise sei der wirtschaftliche Betrieb einer Ammoniakanlage äußerst schwierig geworden, so der Branchenprimus.