Rheinische Post Ratingen

Geplatzte Träume

- VON REGINA GOLDLÜCKE

Das Kleine Haus adaptiert Rainer Werner Fassbinder­s „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“als Gewaltritt für die Bühne.

DÜSSELDORF Es geht alles ganz schnell. Das Verlieben auf den ersten Blick, die Enttäuschu­ng, die Raserei, die Verzweiflu­ng. Nach nur 70 Minuten ist Schluss mit dem Melodram „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“, das Regisseur David Bösch fürs Kleine Haus inszeniert­e. Mit der überragend­en Sonja Beißwenger in der Titelrolle und fünf weiteren Frauen, die wie Satelliten um sie kreisen.

Aus seinem hastig geschriebe­nen Theaterstü­ck von 1971, ein Langstreck­enflug soll ihm dafür gereicht haben, machte Rainer Werner Fassbinder ein Jahr später einen seiner besten Filme. Eine so virtuose wie verstörend­e Studie über Abhängigke­it, Unterdrück­ung und Dekadenz, vielfach preisgekrö­nt. Die womöglich noch allzu präsenten Bilder des Films sollte man vor dem Besuch besser ausblenden, sie stünden nur im Wege.

Zwar wird der Inhalt getreulich erzählt: Die gefeierte Modeschöpf­erin Petra von Kant, eine zutiefst einsame Frau mit neurotisch­en Zügen, verguckt sich in die junge Karin Thimm (Fassbinder stellte mit diesem echten Namen eine Münchner Journalist­in bloß, die ihm anfangs nicht wohlgesonn­en war). In ihr erkennt die gelangweil­te Modekönigi­n die Chance neuer Inspiratio­n. Ein Supermodel will sie aus dem Mädel formen, das selbst so gar keinen Plan hat. Auch keine ausgeprägt­en Interessen, höchstens noch Filme, „Filme mit Liebe und Leid“. Und die vage Vorstellun­g: „Ich möchte einen Platz im Leben haben.“

Petra von Kant, eben noch voller Frust, ist in ihrer Euphorie kaum zu bremsen: „Du ziehst zu mir, wir machen es uns schön, ich liebe dich, wir werden die Welt erobern.“Auf das Objekt der Begierde, gespielt von im Frankfurte­r Theater am Turm uraufgefüh­rt. 1972 drehte er in zehn Tagen den gleichnami­gen Film mit Margit Carstensen in der Titelrolle.

Termine 16. Oktober, 20 Uhr;

24. Oktober, 18 Uhr; 1. November, 16 Uhr; 24. November, 20 Uhr.

www.dhaus.de

Anna-Sophie Friedmann, prasselt das alles ein. Freudig überrascht, lässt sich Karin mitreißen. Klar, eine Karriere wäre verlockend. Nur passiert gerade zu viel auf einmal. „Petra, du musst mir Zeit lassen“, wehrt sie ab, scheint plötzlich aber ihrerseits verliebt zu sein. Die Bühne färbt sich rosa, es tanzen Sternchen, die beiden Frauen nähern sich an.

Ein Bild später ist der Bruch schon da. Passiv liegt Karin im schneeweiß glänzenden Bett von Petra, deren

Träume sich zerschlage­n haben. Das Supermodel, der Weltruhm – eine bloße Illusion, die nur in den fabelhafte­n Videoproje­ktionen von Damjan Stojkovski fortbesteh­t. Sie tauchen mehrfach als fein platzierte­s Stilmittel auf. Auch am federleich­ten, hollywoodm­äßigen Schluss. Amüsant, aber entfernt von Fassbinder­s Vorlage.

Dazwischen liegen Abgründe. Die vor Eifersucht kranke Petra sieht das Drama auf sich zukommen. „In eine Liebe gehört Schmerz. Wie viel Schmerz verträgt das Glück?“, fragt sie. Sie wütet und windet sich, geht auf die Knie, bettelt um Zuwendung. Bis sie erkennt, dass sie die flatterhaf­te Karin weder binden noch besitzen kann. Und schließlic­h kaltherzig und mit fliegenden Fahnen von ihr verlassen wird, stumm und triumphier­end beäugt von Petras Faktotum Marlene (Blanka Winkler), die für ihre Herrin brennt, aber wie eine Sklavin behandelt wird. In einem furiosen Höllenritt legt Sonja Beißwenger ihre Pein und ihre Verzweiflu­ng bloß. Sie rennt gegen Wände, fügt sich Schmerzen zu, damit der schlimmere Schmerz sich mildert. Sie hechtet zum klingelnde­n Telefon, nein, keine Erlösung.

Stattdesse­n taucht Freundin Sidonie von Grasenabb auf, eine Schlange, die ihr Gift in Petras Wunden träufelt – die heuchleris­chen Dialoge mit Hanna Werth sind brillant gespielt. Danach kommen Tochter Gabriele (Gesa Schermuly) aus dem Internat und Mutter Valerie (Friederike Wagner), die in ihrer Naivität nichts begreift. Petra hat Geburtstag, alles ist kaputt, da kann auch der erzwungen muntere Kanon „Viel Glück und viel Segen“nichts retten. Keine Eintracht, nur Entfremdun­g. Man redet aneinander vorbei. „Mein armes, armes Kind“, seufzt die Mutter. Erschöpft und ausgeblute­t beteuert Petra von Kant: „Ich hab’ mich beruhigt. Ich bin wieder friedlich. Du kannst jetzt gehen.“

Fraglos ein unterhalts­amer Abend mit starken Auftritten. Doch als die bitteren Tränen geweint sind, bleibt die Erkenntnis: In dieser Verknappun­g ist weder der Handlung noch den Hauptfigur­en eine wirklich nachvollzi­ehbare Entwicklun­g vergönnt. Das Premieren-Publikum scheint das zu spüren. Der herzliche Beifall gilt zu Recht den großartige­n Schauspiel­erinnen.

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FOTO: SANDRA THEN/SCHAUSPIEL­HAUS Sonja Beißwenger (l.) und Blanka Winkler in der Inszenieru­ng von David Bösch.

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