Wüst reitet auf der Rasierklinge
Eine wichtige Zwischenetappe hat Hendrik Wüst auf dem Weg in die Staatskanzlei genommen: Der Landesvorstand und die Landtagsfraktion der CDU haben sich, zum Teil zähneknirschend, hinter ihn gestellt. Aber vor dem Verkehrsminister liegen fordernde Etappen. Der CDULandesvorsitz ist ihm zwar kaum noch zu nehmen. Aber im Landtag wird es spannend: Schwarz-Gelb verfügt nur über eine Stimme Mehrheit. Dann hinge es im schlimmsten Fall an der AfD, wer im bevölkerungsreichsten Bundesland Ministerpräsident wird.
Doch viel schwerer wiegen am Ende inhaltliche Fragen. Wenn alles glatt läuft, kann Wüst bis zur NRWWahl am 15. Mai 2022 einen Amtsbonus aufbauen und zeigen, wofür er steht. Als Verkehrsminister war er bisher nicht im Fokus. Für die, die jeden Tag im Stau stehen, hat er die Autobahnen vernachlässigt, für jene, die sich auf maroden Radwegen quälen, ließ er es an deren Ausbau fehlen. Aber daran entscheidet sich nicht die Wahl. Ein Ministerpräsident muss einen weiteren Blick haben und bei allem im Stoff sein.
Hinzu kommt, dass Armin Laschet, der Wüst vorgeschlagen hat, seit seiner Kanzlerkandidatur denkbar unpopulär ist. Ihm haftet das Image des Verlierers an, und er polarisiert enorm. Mit seiner Regierungsbilanz, so ordentlich sie sein mag, kann der Nachfolger kaum punkten. Wüst muss sich also einerseits distanzieren und andererseits auf dem Bestehenden aufbauen.
Das Votum der CDU ist für ihn notwendig, aber alles andere als hinreichend. In NRW dürfte ein personalisierter Wahlkampf anstehen, und da könnte Wüst Vorteile haben. Seine Ambitionen hat er bisher trittsicher verfolgt und doch in Demut gekleidet. Als Ministerpräsident muss ihm das auf viel größerer Bühne gelingen, wenn er nicht gleich wieder abgewählt werden will – vor ihm steht ein Ritt auf einer Rasierklinge.
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