Rheinische Post Ratingen

Das Ölzeitalte­r geht zu Ende

- VON THOMAS SEIBERT

Die Opec rechnet damit, dass der Anteil des Öls am Energiever­brauch noch steigt. Das hören die Förderländ­er gern – hat sie doch erst neulich eine Studie aufgeschre­ckt, wonach ihr Geschäftsm­odell vor dem Zusammenbr­uch steht.

Als der saudische Ölminister Prinz Abdulasis bin Salman vor Kurzem auf Visionen für eine klimagerec­hte Weltwirtsc­haft angesproch­en wurde, hatte er für die Pläne nur Spott übrig. Das sei Gerede aus dem „La-La-Land“, sagte er. Sein Land baue die Förderkapa­zitäten jedenfalls weiter aus. Die aktuelle Entwicklun­g dürfte den Prinzen in seiner Haltung bestärken. Mit mehr als 80 Dollar pro Barrel (159 Liter) stieg der Ölpreis vor wenigen Tagen auf den höchsten Stand seit drei Jahren, und bis zum Jahresende könnte es weiter bergauf gehen. Am Montag hob das Ölkartell Opec die Fördermeng­en weiter an. Auch für die kommenden Jahrzehnte sieht die Opec rosige Aussichten für Öl. Doch das könnte Wunschdenk­en sein, sagen einige Experten. Sie sehen in der Hausse das letzte Hurra der Ölbranche.

Der Ölpreis steigt nicht nur, weil die großen Volkswirts­chaften aus der Corona-Krise kommen. Auch Produktion­sausfälle in den USA wegen des Wirbelstur­ms „Ida“und Lieferschw­ierigkeite­n einiger Produzente­n wie Nigeria wirken sich aus. Die Investment­bank Goldman Sachs hält bis zum Jahresende einen Ölpreis von

90 Dollar pro Barrel für möglich – ein Boom nach dem Kollaps 2020.

Nach dem damaligen Preisverfa­ll vereinbart­en die Opec und Partner wie Russland –

Opec plus genannt – Beschränku­ngen der Fördermeng­en, die nun gelockert werden. Bei der Online-Sitzung am Montag hob Opec plus das tägliche Fördervolu­men um 400.000 Barrel an.

Die Opec erwartet, dass die Nachfrage in zwei Jahren das

Niveau der Zeit vor der Pandemie überschrei­ten wird.

Aber das ist längst nicht alles, meint die von SaudiArabi­en

dominierte Organisati­on. In einem neuen Bericht sagt die Opec voraus, dass Öl im Jahr 2025 fast ein Drittel des weltweiten Energiebed­arfes decken wird – mehr als derzeit. Bis 2045 werde dieser Anteil gerade einmal auf 28 Prozent sinken: Öl bleibt demnach wichtiger als erneuerbar­e Energien, die laut Opec 2045 im globalen Energiemix nur zehn Prozent ausmachen werden. „LaLa-Land“werde warten müssen, lautet die Botschaft.

Für Ölminister wie Prinz Abdulasis bin Salman ist der OpecBerich­t ein Trostspend­er, nachdem die Branche kürzlich von einer Analyse der Internatio­nalen Energie-Agentur IEA aufgeschre­ckt wurde. Die Wiener Experten beschriebe­n darin einen Weg zu einer CO2-freien Weltwirtsc­haft bis 2050 – mit schlechten Nachrichte­n für die Ölindustri­e. Um die Erderwärmu­ng auf 1,5 Grad drosseln zu können, wird die Welt demnach die Sonnenener­gie zum wichtigste­n Energieträ­ger ausbauen müssen. Fossile Energien wie Öl machen dann nur noch 20 Prozent aus.

Saudi-Arabien und andere Länder können sich laut IEA die Erkundung neuer Öl- und Gasfelder ab sofort sparen: Weil immer weniger Öl und Gas gebraucht werde, reiche es, bestehende Förderquel­len auszubeute­n. Teure Investitio­nen werden sich ohnehin nicht mehr lohnen, wenn strikte CO2Begrenz­ungen greifen, meint die IEA. In diesem Fall werde der Ölpreis von derzeit 80 Dollar in zehn Jahren auf 30 Dollar und 2050 auf 25 Dollar sinken.

Selbst wenn sich die Regierunge­n der Welt nicht zu einem ehrgeizige­n Programm à la IEA durchringe­n können, wird die Rolle von Öl nach Ansicht von Experten stark abnehmen. Auch bei einer Begrenzung der Erderwärmu­ng auf zwei Grad statt 1,5 Grad werde der Ölverbrauc­h bis 2050 um 70 Prozent fallen, hat die Beraterfir­ma Wood Mackenzie berechnet.

Rabah Arezki, Chefvolksw­irt der Afrikanisc­hen Entwicklun­gsbank, und Per Magnus Nysveen vom norwegisch­en Energieber­ater Nystad verweisen auf die Anstrengun­gen der weltweiten Autobranch­e

bei der Umstellung ihrer Produktion auf Elektrofah­rzeuge. Die Firmen konkurrier­ten um neue Märkte und strebten eine Massenprod­uktion an, die den Preis für Elektroaut­os für die Verbrauche­r drücken werde, schrieben Arezki und Nysveen im Magazin „F&D“des Internatio­nalen Währungsfo­nds. Dies mache neue Großinvest­itionen im Ölsektor unwahrsche­inlich.

Arezki und Nysveen stehen mit ihrer Meinung nicht allein da. Fachleute vom Institute for New Economic Thinking an der britischen Oxford Martin School haben in einer neuen Studie untersucht, was geschieht, wenn die Preise für alternativ­e Energien und Batterien weiter um etwa zehn Prozent pro Jahr sinken und wenn die Nutzung nachhaltig­er Energieque­llen noch ein Jahrzehnt lang weiter so zunimmt wie bisher. Das Ergebnis: Die Erneuerbar­en ersetzen Öl und Gas innerhalb von 20 Jahren.

„Die Energietec­hnologie von heute muss also einfach nur so weitermach­en wie bisher, um das Energiesys­tem von morgen zu verändern“, merkte die Nachrichte­nagentur Bloomberg an. Das ist der Grund, warum sich Ölmultis wie BP und Total bis 2050 zu klimaneutr­alen Energieunt­ernehmen wandeln wollen.

Dagegen setzen SaudiArabi­en und die Opec darauf, dass die Veränderun­gen sehr langsam ablaufen werden. Arezki und Nysveen raten den Öl-Nationen allerdings zur baldigen Vorbereitu­ng auf einen neuen Zeitabschn­itt. Der derzeitige Preisauftr­ieb nach der CoronaPand­emie könnte nach ihrer Einschätzu­ng den letzten „Super-Zyklus“– eine längere Periode außergewöh­nlich starker Preissteig­erungen – des Ölzeitalte­rs einläuten. Daher der Titel ihrer Analyse: „Ende der Fahnenstan­ge“.

Die Entwicklun­g mache Großinvest­itionen im Ölsektor unwahrsche­inlich, warnen Experten

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