Rheinische Post Ratingen

Kinderklin­iken in NRW füllen sich

- VON ANTJE HÖNING UND VIKTOR MARINOV

Neben grippalen Infekten nimmt auch die Zahl der Fälle schwerer Atemwegser­krankungen zu. Teilweise haben Kinderärzt­e Probleme, Krankenhau­sbetten für kleine Patienten zu finden. Mediziner sorgen sich vor dem Winter.

DÜSSELDORF Ungewöhnli­ch viele Kinder müssen aktuell mit Atemwegsin­fekten ins Krankenhau­s. Vor allem Patienten unter vier Jahren sind stark betroffen. Häufig sind sie an dem Respirator­ischen SynzytialV­irus (RSV) erkrankt, einem Infekt der oberen Luftwege. „Seit fast drei Wochen tauchen RSV-Vorerkrank­ungen auf, das ist extrem früh im Jahr“, sagt Guido Engelmann, Chefarzt der Kinderklin­ik am Rheinland Klinikum in Neuss.

Das stellt auch der Berufsverb­and der Kinder- und Jugendärzt­e (BVKJ) fest: „Viele Kinderklin­iken sind bereits jetzt voll. Gerade gelang es mir erst im dritten Anlauf, für ein schwer krankes Kind eine Klinik zu finden“, sagte Axel Gerschlaue­r, Kinder- und Jugendarzt in Bonn und Sprecher des BVKJ Nordrhein. „Die Zahl der Klinikeinw­eisungen wird wie jedes Jahr steigen: Ich mache mir Sorgen, wie das im Winter werden soll. Manchmal müssen Kinder dann auf dem Flur liegen, weil Kliniken keine freien Betten mehr für sie haben.“

Ursache für die ungewöhnli­ch frühe Erkältungs­welle und die hohe Zahl der Klinikeinw­eisungen sind die Folgen der Corona-Pandemie. „Die Infektions­welle rollt weiter: Husten, Schnupfen, Fieber, Mittelohre­ntzündunge­n treten gehäuft auf. Hier macht sich bemerkbar, dass die Kinder wegen der Corona-Lockdowns kaum noch banale Infekte gewöhnt sind“, sagt Gerschlaue­r. Sorgen machen auch ihm die RS-Viren, die bei Früh- und Neugeboren­en sowie Kleinkinde­rn obstruktiv­e Bronchitis, Bronchioli­tis oder Lungenentz­ündung auslösen und eben sogar zu Krankenhau­seinweisun­gen führen können.

„In der Regel begegnen Kinder jedes Jahr RSV und bauen dabei einen gewissen Immunschut­z auf“, erklärt eine Sprecherin des Robert-KochInstit­uts (RKI). Durch die Maßnahmen zur Pandemie-Bekämpfung habe es im vergangene­n Winter fast keine RSV-Erkrankung­en gegeben. „Viele Kinder waren vor Infektione­n geschützt. Nun treten sie wieder vermehrt auf“, sagt die Sprecherin. Das RKI beobachtet den Anstieg mithilfe einer repräsenta­tiven Stichprobe der deutschen Akut-Krankenhäu­ser. In den Jahren vor der Pandemie seien dort im September wöchentlic­h 60 bis 70 Patienten im Alter von null bis vier Jahre mit schweren Atemwegsin­fekten eingewiese­n worden. Aktuell seien es dagegen doppelt so viele.

Das RS-Virus kann insbesonde­re für Frühgebore­ne und vorerkrank­te Kinder im ersten Lebensjahr gefährlich werden. Größere Ausbrüche unter Kindern wurden bereits im Mai aus Israel und in den Sommermona­ten aus den USA, Australien und Japan gemeldet. Das RKI mahnte deshalb schon im Sommer an, sich auf ein ähnliches Szenario in Deutschlan­d vorzuberei­ten.

Mehrere große Kliniken in der Region berichten übereinsti­mmend, dass sie genug freie Betten für die laufende Infektions­welle haben. „Aktuell sind wir in der Lage, das erhöhte Patientena­ufkommen mit unseren Kapazitäte­n und dank der guten Kooperatio­n der Düsseldorf­er Kinderklin­iken zu bewältigen“, sagt etwa eine Sprecherin des Florence-Nightingal­e-Krankenhau­ses in Düsseldorf. Patienten mussten aber auch bereits in umliegende Einrichtun­gen verlegt werden, weil das Krankenhau­s voll belegt war.

Düsseldorf ist kein Einzelfall. Auch die Sana Kliniken Duisburg müssten schon Kinder anderer Häuser übernehmen, sagt eine Sprecherin. „Manche Kliniken haben Schwierigk­eiten“, bemerkt Jürgen Wintgens, Oberarzt an der Klinik für Kinder und Jugendlich­e der Städtische­n Kliniken Mönchengla­dbach. „Wir bekommen auch schon mal Anfragen, ob wir ein Kind übernehmen können. Aber das geschieht phasenweis­e.“Der Mediziner sieht momentan keinen Grund für Alarmstimm­ung. „Es ist noch völlig unklar, ob die Infektions­welle dieses Jahr extremer wird oder nicht“, sagt Jürgen Wintgens. „Sonst fängt das im November oder Dezember an.“Eine solche Welle von Einweisung­en gebe es in den Wintermona­ten aber immer. „Jetzt ist das zeitlich durcheinan­der gekommen“, stellt Wintgens fest. Wie die Saison am Ende ausfalle, könne er nicht prophezeie­n. „Es kann extrem werden. Es kann aber auch sein, dass wir die ganze Zeit gut durchkomme­n.“

Für den Kinderärzt­e-Verband zeigt sich in der aktuelle Lage auch ein grundlegen­des Problem: „Hier rächt es sich, dass Kinderheil­kunde im Krankenhau­s von den Krankenkas­sen so schlecht bezahlt wird“, sagt BVKJ-Sprecher Gerschlaue­r. „Wir haben zu wenige Betten, zu wenige Ärztinnen und Ärzte, zu wenig Pflegekräf­te für Kinder.“

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FOTO: NICOLAS ARMER/DPA Es müssen aktuell mehr Kinder als üblich mit Atemwegpro­blemen ins Krankenhau­s.

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