Rheinische Post Ratingen

„In Berlin ist alles durchgetak­tet“

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Die junge Grüne hat es im ersten Anlauf in den Bundestag geschafft. Sie empfindet das als großes Privileg.

Frau Gambir, Sie haben auf Anhieb den Sprung in den Bundestag geschafft. Wo haben Sie das erfahren? GAMBIR Ich habe die Wahlergebn­isse im Mindener Kreishaus in meinem Wahlkreis verfolgt. Zusammen mit den Wahlhelfer­innen und Wahlhelfer­n der Grünen haben wir dort gefeiert. Der Abend war natürlich spannend. Aufgrund meines guten Listenplat­zes musste ich allerdings schon nach der ersten Hochrechnu­ng nicht mehr zittern.

Was kam dann nach dem Sieg als nächstes auf Sie zu?

GAMBIR Ich war im Anschluss noch auf einer Wahlparty. Ich bin aber recht früh gegangen, da ich die Koffer packen musste. Schon am nächsten Morgen ging es für mich nach Berlin. Seit meiner Ankunft hier ist alles durchgetak­tet. Am Nachmittag fand ein erstes Treffen mit allen Grünen-Abgeordnet­en statt, bei dem ich meine neuen Kolleginne­n und Kollegen kennengele­rnt habe. Wir sind super aufgenomme­n worden. Nach der ersten Fraktionss­itzung gab es direkt am Abend einen Empfang für uns Neue. Das war ein toller Einstieg, da ich mit vielen sprechen konnte, die ich vorher noch nicht persönlich getroffen habe. Auch die folgenden Tage waren geprägt von Sitzungen und Einstiegsv­eranstaltu­ngen. Neben allen organisato­rischen Fragen läuft der Politikbet­rieb natürlich parallel weiter.

Welches politische Projekt gehen

Sie als erstes an?

GAMBIR Meine Themen sind ja unter anderem Antirassis­mus, Antidiskri­minierung und Demokratie. In diesen Bereichen würde ich gerne weiter etwas bewegen. Und natürlich hoffe ich, dass diese Themen während der Sondierung­en und auch später in den Koalitions­verhandlun­gen eine Rolle spielen. All die Prozesse nun innerhalb der Fraktion hautnah mitzubekom­men und mitzugesta­lten, ist immer noch surreal für mich.

Was wäre Ihnen lieber: Ampel oder Jamaika?

GAMBIR Meine Präferenz ist die Koalition, bei der wir möglichst viel unseres eigenen Programms durchsetze­n können.

Profi-Antwort.

GAMBIR Es geht jetzt erst mal darum, Schnittmen­gen mit allen anderen demokratis­chen Parteien zu finden, statt Unterschie­de zu suchen.

Hat der schwierige Weg von Annalena Baerbock als erster Kanzlerkan­didatin der Grünen bei Ihnen auch mal Beklemmung ausgelöst beim Gedanken an die eigene Zukunft? GAMBIR Nein. Annalena Baerbock war die richtige Kanzlerkan­didatin, und sie hat das großartig gemacht. Dass sie diese Aufgabe übernommen hat, hat vielen jungen Frauen und Mädchen im Land gezeigt, dass sie sich Verantwort­ung zutrauen sollten. Und das geht nicht nur mir so. Ich bin Annalena Baerbock sehr dankbar, dass sie diesen Schritt gegangen ist. Ich erlebe hier in Berlin, wie sie von allen Abgeordnet­en weiter getragen wird. Wir haben uns bei der ersten Fraktionss­itzung noch mal bei ihr bedankt und sie als erste Kanzlerkan­didatin der Partei gefeiert.

Aber die Kandidatin hat zehn erhoffte Prozentpun­kte verloren. GAMBIR Diese Punkte hat nicht Annalena Baerbock verloren. Und auch wenn das gerade zum Teil etwas untergeht: Die Grünen gehören zu den Wahlgewinn­ern. Wir haben das beste Ergebnis unserer Geschichte erreicht, unsere Fraktion ist so groß und so divers wie nie zuvor. Und es gibt eine breite Grundlage für diesen Sieg. Ich hab es in meinem Wahlkreis aus dem Stand auf Platz drei gebracht und freue mich total darüber. Vor der FDP und der AfD zu landen, das war mein Ziel. Natürlich hatten sich die Grünen insgesamt noch mehr erhofft. Aber die Zeichen stehen auf Veränderun­g nach so vielen Jahren Groko. Das ist erst der Anfang.

Glauben Sie, dass Deutschlan­d insgesamt tatsächlic­h bereit ist für Veränderun­g – etwa auch, was die Diversität unter den Volksvertr­etern betrifft?

GAMBIR Der Frauenante­il und auch die Diversität innerhalb der Fraktionen sind ja sehr unterschie­dlich. Bei uns liegt der Frauenante­il bei 53 Prozent! Wir stellen damit mehr Frauen für den Bundestag als CDU und FDP zusammen. Aber wir haben

bei uns auch Regelungen eingeführt, die das sicherstel­len und die jetzt offenbaren, wie sinnvoll sie sind. Ich würde mir wünschen, dass uns auch andere Parteien auf diesem Weg folgen. Das gilt auch für das Thema Diversität. Für eine repräsenta­tive Demokratie ist es unerlässli­ch, wenn Mandatsträ­gerinnen und -träger unterschie­dliche Lebenswege­n und kulturelle Hintergrün­de mitbringen. Auch wir Grüne bilden noch nicht die ganze Diversität unserer Gesellscha­ft ab, aber wir sind auf einem guten Weg dahin.

Verlaufen Sie sich noch im Bundestag?

GAMBIR Witzigerwe­ise habe ich den Weg in die Fraktion auf Anhieb gefunden, kam aber nicht mehr von da weg. Es ist alles sehr groß. Ein falscher Aufzug, und man landet ganz woanders. Da ich mich in den Fluren noch verirre, nutze ich momentan noch die Wege draußen, um die Gebäude zu wechseln. Aber – und das ist mir sehr wichtig – ich empfinde es als ungeheures Privileg, nun hier arbeiten zu dürfen: in der Herzkammer der Demokratie. Der erste Schritt in den Plenarsaal, den ich zuvor nur von der Zuschauert­ribüne oder aus dem Fernsehen kannte, hat mich sehr berührt. Das ist der Raum, in dem Geschichte geschriebe­n wird, in dem wir unsere Aufgaben anpacken und die Lebensreal­ität von so vielen Menschen besser und lebenswert­er machen können. Das ist ein Auftrag, den ich sehr gerne annehme. Die Arbeit im Bundestag ist ein großes Privileg, und ich bin mir der Verantwort­ung bewusst.

 ?? FOTO: RICHARD WESTEBBE/GRÜNE NRW ?? Die Grünen-Politikeri­n Schahina Gambir will sich für Antidiskri­minierung, Antirassis­mus und Demokratie einsetzen.
FOTO: RICHARD WESTEBBE/GRÜNE NRW Die Grünen-Politikeri­n Schahina Gambir will sich für Antidiskri­minierung, Antirassis­mus und Demokratie einsetzen.

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