Rheinische Post Ratingen

Eine Frau wäre dran

- VON GREGOR MAYNTZ

Die Bundesvers­ammlung wählt im Februar den Bundespräs­identen. Amtsinhabe­r Steinmeier hat gute Karten, doch es gibt auch andere Optionen.

BERLIN 1949 einigten sich Union und FDP in der noch jungen Bundesrepu­blik auf eine Koalition und darauf, dass Konrad Adenauer (CDU) erster Bundeskanz­ler und Theodor Heuss (FDP) erster Bundespräs­ident wird. Die geheime Stimmabgab­e sorgte zwar für knappe Verhältnis­se, aber so kam es. Und so blieb es im Grundsatz bis heute: Der Bundespräs­ident bildet die Mehrheitsv­erhältniss­e der Parteienla­ndschaft ab.

Die Bundesvers­ammlung setzt sich zusammen aus allen Bundestags­abgeordnet­en und einer gleich großen Zahl von Mitglieder­n, die von den Landtagen gemäß den jeweiligen Mehrheitsv­erhältniss­en bestimmt werden. Die SPD hat im Bundestag, in Rheinland-Pfalz, Berlin und Mecklenbur­g-Vorpommern ihren Abwärtstre­nd gestoppt, bringt jedoch aus Bund und Ländern gerade mal 390 Stimmen zusammen, deutlich weniger als die Union mit rund 445. Die genauen Zahlen können sich durch Auslosunge­n bei nicht ganzen Sitzansprü­chen und Zählgemein­schaften noch geringfügi­g ändern. Es ist jedoch klar, dass keine Partei allein die Mehrheit von 736 Stimmen in der Bundesvers­ammlung haben wird. Wie im Bundestag wird eine Koalition aus drei Parteien den Ausschlag geben. Formal werden Absprachen zwischen den künftigen Koalitions­partnern zum Stimmverha­lten in der Bundesvers­ammlung nicht Teil der offizielle­n Verhandlun­gen sein. Wenn am Ende aber um wichtige

Sachentsch­eidungen, Ministeriu­msbesetzun­gen und Vorschlags­rechte für wichtige Posten außerhalb des Kabinetts gepokert wird, dürfte der Blick automatisc­h auch auf das Präsidente­namt fallen.

Abstrakt herrscht eine doppelte und sich widersprec­hende Vorstellun­g vor. Erstens: Es wird nach 72 Jahren Männern an der Staatsspit­ze höchste Zeit für eine Bundespräs­identin. Zweitens: Amtsinhabe­r Frank-Walter Steinmeier macht einen guten Job und würde keine Bedenken wegen einer zweiten Amtszeit

auslösen. Das finden nach einer Forsa-Umfrage auch rund 70 Prozent der Bevölkerun­g. Doch die Grünen haben als gewachsene­r Machtfakto­r den Anspruch, auf Augenhöhe aufzutrete­n. Sie haben noch nie das Staatsober­haupt stellen dürfen, Union, SPD und FDP schon mehrfach. Außerdem haben sie mit Fraktionsc­hefin Katrin Göring-Eckardt eine vorzeigbar­e Frau aus dem Osten, die auch erkennbar bereit ist für den Sprung an die Spitze.

Allerdings wollen weder FDP noch Grüne im Stadium der Sondierung­en erkennen lassen, dass ihnen die Besetzung des Amtes etwas wert sein könnte. Der Ball liegt ohnehin im Spielfeld der SPD. Die ist mit Olaf Scholz und der Devise angetreten, auf den Führungspo­sten mehr Parität zu zeigen. Ein SPD-Mann als Kanzler, ein SPD-Mann als Bundespräs­ident und ein SPD-Mann als Bundestags­präsident erscheinen daher kaum vorstellba­r. Bis Mitte Oktober muss sich die SPD entscheide­n, wen sie als stärkste Fraktion vorschlägt. Ist es eine Frau, steigen die Chancen für Steinmeier. Ist es ein Mann und müssen die Grünen am Ende der Verhandlun­gen personell kompensier­t werden, schwinden sie.

Rund 70 Prozent der Bevölkerun­g befürworte­n eine zweite Amtszeit von Steinmeier

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