Eine Frau wäre dran
Die Bundesversammlung wählt im Februar den Bundespräsidenten. Amtsinhaber Steinmeier hat gute Karten, doch es gibt auch andere Optionen.
BERLIN 1949 einigten sich Union und FDP in der noch jungen Bundesrepublik auf eine Koalition und darauf, dass Konrad Adenauer (CDU) erster Bundeskanzler und Theodor Heuss (FDP) erster Bundespräsident wird. Die geheime Stimmabgabe sorgte zwar für knappe Verhältnisse, aber so kam es. Und so blieb es im Grundsatz bis heute: Der Bundespräsident bildet die Mehrheitsverhältnisse der Parteienlandschaft ab.
Die Bundesversammlung setzt sich zusammen aus allen Bundestagsabgeordneten und einer gleich großen Zahl von Mitgliedern, die von den Landtagen gemäß den jeweiligen Mehrheitsverhältnissen bestimmt werden. Die SPD hat im Bundestag, in Rheinland-Pfalz, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern ihren Abwärtstrend gestoppt, bringt jedoch aus Bund und Ländern gerade mal 390 Stimmen zusammen, deutlich weniger als die Union mit rund 445. Die genauen Zahlen können sich durch Auslosungen bei nicht ganzen Sitzansprüchen und Zählgemeinschaften noch geringfügig ändern. Es ist jedoch klar, dass keine Partei allein die Mehrheit von 736 Stimmen in der Bundesversammlung haben wird. Wie im Bundestag wird eine Koalition aus drei Parteien den Ausschlag geben. Formal werden Absprachen zwischen den künftigen Koalitionspartnern zum Stimmverhalten in der Bundesversammlung nicht Teil der offiziellen Verhandlungen sein. Wenn am Ende aber um wichtige
Sachentscheidungen, Ministeriumsbesetzungen und Vorschlagsrechte für wichtige Posten außerhalb des Kabinetts gepokert wird, dürfte der Blick automatisch auch auf das Präsidentenamt fallen.
Abstrakt herrscht eine doppelte und sich widersprechende Vorstellung vor. Erstens: Es wird nach 72 Jahren Männern an der Staatsspitze höchste Zeit für eine Bundespräsidentin. Zweitens: Amtsinhaber Frank-Walter Steinmeier macht einen guten Job und würde keine Bedenken wegen einer zweiten Amtszeit
auslösen. Das finden nach einer Forsa-Umfrage auch rund 70 Prozent der Bevölkerung. Doch die Grünen haben als gewachsener Machtfaktor den Anspruch, auf Augenhöhe aufzutreten. Sie haben noch nie das Staatsoberhaupt stellen dürfen, Union, SPD und FDP schon mehrfach. Außerdem haben sie mit Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt eine vorzeigbare Frau aus dem Osten, die auch erkennbar bereit ist für den Sprung an die Spitze.
Allerdings wollen weder FDP noch Grüne im Stadium der Sondierungen erkennen lassen, dass ihnen die Besetzung des Amtes etwas wert sein könnte. Der Ball liegt ohnehin im Spielfeld der SPD. Die ist mit Olaf Scholz und der Devise angetreten, auf den Führungsposten mehr Parität zu zeigen. Ein SPD-Mann als Kanzler, ein SPD-Mann als Bundespräsident und ein SPD-Mann als Bundestagspräsident erscheinen daher kaum vorstellbar. Bis Mitte Oktober muss sich die SPD entscheiden, wen sie als stärkste Fraktion vorschlägt. Ist es eine Frau, steigen die Chancen für Steinmeier. Ist es ein Mann und müssen die Grünen am Ende der Verhandlungen personell kompensiert werden, schwinden sie.
Rund 70 Prozent der Bevölkerung befürworten eine zweite Amtszeit von Steinmeier