Rheinische Post Ratingen

Ein Lehrstück zur Partei

Ein Filmteam hat Kevin Kühnert drei Jahre lang für eine sechsteili­ge Doku begleitet.

- VON JULIA RATHCKE

BERLIN Ganz unten geht es los. Es ist das Jahr 2018, die Sozialdemo­kraten auf dem Tiefpunkt, in den Umfragen liegen sie bei historisch schlechten Werten um 15 Prozent, bei der Landtagswa­hl in Hessen kommen sie mit 19,8 Prozent nur auf Platz drei hinter CDU und Grünen. Kevin Kühnert fordert bei einem Parteitag den Ausstieg aus der Groko mit den Worten: „Einmal ein Zwerg sein, um künftig wieder Riesen sein zu können.“Und ahnt nicht, dass es so kommen würde – auch ohne Groko-Aus.

Die Szene seiner Rede ist Teil der sechsteili­gen Dokumentat­ion „Kevin Kühnert und die SPD“, einer Langzeitbe­obachtung zweier NDR-Journalist­en, die den Jungpoliti­ker knapp drei Jahre lang begleitet haben – im Willy-Brandt-Haus, bei Terminen mit Journalist­en, bei Autofahrte­n, Veranstalt­ungen der Partei, auf, vor und hinter Bühnen. Herausgeko­mmen sind sechs Episoden, die den Alltag eines umstritten­en Aufsteiger­s erzählen, aber auch, welchen Anteil er am Comeback seiner Partei hat.

Es sind temperamen­tvolle Auftritte wie beim Bundeskong­ress der Jusos 2018 in Düsseldorf, die man kennt. „Für gemeinsame Erfolge mit der Mutterpart­ei reißen wir uns den Arsch auf“, redet sich Kühnert auf der Bühne in Rage. „Aber wir lassen uns nicht mehr mit billigen Durchhalte­parolen, Beschwicht­igungen und politische­n Antworten von vorvorgest­ern abspeisen, die nachweisli­ch uns und die Gesellscha­ft in die Irre geführt haben.“

Es sind Aufreger wie sein Interview mit der „Zeit“zum Thema Sozialismu­s, mit dem er für Schlagzeil­en und Talkshow-Einladunge­n sorgt. Er habe der SPD einen Bärendiens­t erwiesen, heißt es in den Medien, ihm gehe es nur um sein Ego und den medialen Effekt. Manche fordern seinen Austritt. Als viele Parteifreu­nde nach ihm als Erneuerer

rufen, fühlt sich Kühnert der Verantwort­ung nicht gewachsen, spielt bei der Wahl zum Parteivors­itz aber trotzdem eine maßgeblich­e Rolle. Sein Draht zu Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken ist so gut, seine Unterstütz­ung fast wie ein Coaching. Das zeigen Szenen mit ihm und dem Kandidaten­duo. Mit dem Sieg von Walter-Borjans und Esken geht Kühnert gestärkt in den Bundestags­wahlkampf. Er will nichts weniger als die Welt verändern, indem die Parteimitt­e nach links rückt. Mit den beiden an der Spitze ist er einen Schritt weiter, das zeigt der Film.

Als Kühnert von Esken am Telefon erfahren musste, dass sich die Partei – ohne jede Vorabinfor­mation – für Scholz als Kanzlerkan­didaten entschiede­n hat, ist das einer der wenigen Momente, in denen man Interna erfährt und Kühnert zerknirsch­t sieht. Bedingung des Jungpoliti­kers war, dass der Film erst nach der Bundestags­wahl veröffentl­icht wird. Und dass er zuvor bestimmen konnte, wann und wo Kameras mitlaufen.

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Die Dokumentat­ion „Kevin Kühnert und die SPD“(sechs Folgen) ist in der ARDMediath­ek abrufbar. Sie wurde beim Filmfest Hamburg gezeigt und läuft nun in der ARD.
FOTO: DPA Kevin Kühnert und Olaf Scholz liegen inhaltlich weit auseinande­r. Die Dokumentat­ion „Kevin Kühnert und die SPD“(sechs Folgen) ist in der ARDMediath­ek abrufbar. Sie wurde beim Filmfest Hamburg gezeigt und läuft nun in der ARD.

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