Wir müssen draußen bleiben
Kaum ein Vorgang in der politischen Machtbildung wird so hingenommen wie jener Hinweis: dass die Beratungen hinter sogenannten verschlossenen Türen stattfinden. Klappe zu, Affe tot. Das ist in Zeiten, in denen Transparenz eingefordert und möglichst große Öffentlichkeit als hohes Gut postuliert wird, ein ziemlich erstaunlicher Vorgang.
In diesen Tagen ist dieses Phänomen besonders intensiv zu beobachten. Führende Volksvertreter vermeintlicher und ehemaliger Volksparteien treffen in unterschiedlichen Konstellationen aufeinander, um einen Weg zur Macht zu finden. Was hinter verschlossenen Türen geschieht, erfahren wir im Detail selten. Ein paar Worthülsen werden ans geneigte Publikum gereicht und einige gefällige Willensbekundungen, und wenn es hochkommt, wird gar der Termin zur nächsten Beratung verkündet. Das macht die Vorgänge jenseits der Türen zweifelsohne geheimnisvoller. Allem, was sich hinter verschlossenen Türen ereignet, wohnt ein Zauber inne.
Der wird auch deshalb zum Medienereignis, weil damit ausgerechnet im redseligen Politikgeschehen ein Vertrauensraum geschaffen wird – verlässlich für jene, die in ihm agieren, die miteinander streiten und ringen und sich vielleicht unverblümter als sonst die Wahrheit sagen. Davon weiß unter anderem Marlene Mortler ein Lied zu singen. Die ehemalige CSU-Bundestagsabgeordnete war bei etlichen Koalitionsverhandlungen dabei und bekennt: „Bei solchen Verhandlungen geht es auch mal laut zu.“Das aber sei normal, denn: „Hinter verschlossenen Türen kann man anders miteinander reden als in der Öffentlichkeit.“
Vertrauen ist also oberstes Gebot. Doch weil manchmal auch dagegen gesündigt wird, haben Union, SPD, Grüne und FDP jetzt für ihre künftigen Verhandlungsrunden hinter verschlossenen Türen ein sogenanntes Schweigekartell geschlossen. Im Klartext: Wer dagegen verstößt, soll aus dem Verhandlungsteam fliegen. Und er soll außerdem von künftigen Regierungsposten ausgeschlossen werden. Keine Frage, das wäre die Höchststrafe!
Natürlich erinnert das auch an eine Art Schweigegelübde. Was nicht ganz unpassend erscheint, zumal Verhandlungen im Verborgenen, die etwas länger dauern, gerne auch „Klausur“genannt werden. Damit ist ursprünglich ein abgeschlossener Bereich im Kloster gemeint. Wer in Klausur geht, bemüht sich um Gottesnähe oder Erkenntnis oder Einkehr. Wer in Klausur geht, verschließt hinter sich die Tür zur Welt.
Die wohl berühmtesten verschlossenen Türen dieser Art dürften die Tore zur Sixtinischen Kapelle sein. Dort, im Vatikan, wird unter strengem Ausschluss der nicht wahlberechtigten Öffentlichkeit – und unter Mitwirkung des Heiligen Geistes – ein neuer Papst gesucht und stets gefunden. Die Türen der Kapelle werden dann zum Konklave sehr feierlich geschlossen. Zuletzt, bei der Papstwahl vor acht Jahren, war Zeremonienmeister Guido Marini mit dieser Aufgabe betraut. Und bevor sich die Tore schließen, ertönt ein letzter rigoroser Ruf im Saal: „Extra omnes!“Das ist lateinisch auf den Punkt gebracht und bedeutet mehr oder weniger: Alle Unbefugten jetzt aber raus!
Das ist eine weitere Regel neben der Vertrauenswahrung. Denn in die Räume hinter verschlossenen Türen gelangt man nur auf Einladung. Es bedarf einer Zutritts-Legitimation. An diesen Ort trifft sich immer nur ein exklusiver Kreis. Seinem Wesen nach entspricht der verschlossene Raum nicht den Spielregeln, die wir in der Demokratie gewohnt sind.
Abgeschottete Orte sind demnach das Gegenteil von Arena und Bühne. In der Arena regiert das Hier und Jetzt, wie es der Philosoph Peter Sloterdijk einmal beschrieb. Die Arena ist zugänglich für alle, sie ist Gegenwart pur. Hinter verschlossenen Türen dagegen geschieht alles jenseits unserer unmittelbaren Wahrnehmung und wird bestenfalls erst demnächst Folgen haben.
Zu solchen Beratungen gehört immer auch eine gewisse Aura. Und das ikonografische Selfie auf Instagram von einem ersten Treffen der Politiker zeugt davon: mit den Grünen Annalena Baerbock und Robert Habeck sowie den Liberalen Christian Lindner und Volker Wissing.
Alle scheinen übernächtigt zu sein, auch noch ein wenig angespannt; sie sind im Modus der allmählich ausklingenden Konzentration und irgendwie auch erleichtert, sind inzwischen dezent vertraut miteinander. Dieser Ort unter Ausschluss der Öffentlichkeit hat eigene Gesetze, und er hat bei jenen, die sich den Regeln stundenlang aussetzen, Spuren hinterlassen.
Jene, die den verschlossenen Raum wieder verlassen, scheinen also verändert aus ihm hervorzutreten. Als sei der Ort eine Art christliches Purgatorium. Zwar nicht im Sinne eines Fegefeuers, vielleicht aber doch als ein Ort der Reinigung wie auch der Läuterung. Viele erscheinen danach wie verwandelt. Manche sind dann Papst geworden. Andere haben zumindest die Aussicht und die Hoffnung aufs Kanzleramt.
Jene, die den verschlossenen Raum verlassen, scheinen verändert aus ihm hervorzutreten