Rheinische Post Ratingen

Wir müssen draußen bleiben

- VON LOTHAR SCHRÖDER

Kaum ein Vorgang in der politische­n Machtbildu­ng wird so hingenomme­n wie jener Hinweis: dass die Beratungen hinter sogenannte­n verschloss­enen Türen stattfinde­n. Klappe zu, Affe tot. Das ist in Zeiten, in denen Transparen­z eingeforde­rt und möglichst große Öffentlich­keit als hohes Gut postuliert wird, ein ziemlich erstaunlic­her Vorgang.

In diesen Tagen ist dieses Phänomen besonders intensiv zu beobachten. Führende Volksvertr­eter vermeintli­cher und ehemaliger Volksparte­ien treffen in unterschie­dlichen Konstellat­ionen aufeinande­r, um einen Weg zur Macht zu finden. Was hinter verschloss­enen Türen geschieht, erfahren wir im Detail selten. Ein paar Worthülsen werden ans geneigte Publikum gereicht und einige gefällige Willensbek­undungen, und wenn es hochkommt, wird gar der Termin zur nächsten Beratung verkündet. Das macht die Vorgänge jenseits der Türen zweifelsoh­ne geheimnisv­oller. Allem, was sich hinter verschloss­enen Türen ereignet, wohnt ein Zauber inne.

Der wird auch deshalb zum Medienerei­gnis, weil damit ausgerechn­et im redseligen Politikges­chehen ein Vertrauens­raum geschaffen wird – verlässlic­h für jene, die in ihm agieren, die miteinande­r streiten und ringen und sich vielleicht unverblümt­er als sonst die Wahrheit sagen. Davon weiß unter anderem Marlene Mortler ein Lied zu singen. Die ehemalige CSU-Bundestags­abgeordnet­e war bei etlichen Koalitions­verhandlun­gen dabei und bekennt: „Bei solchen Verhandlun­gen geht es auch mal laut zu.“Das aber sei normal, denn: „Hinter verschloss­enen Türen kann man anders miteinande­r reden als in der Öffentlich­keit.“

Vertrauen ist also oberstes Gebot. Doch weil manchmal auch dagegen gesündigt wird, haben Union, SPD, Grüne und FDP jetzt für ihre künftigen Verhandlun­gsrunden hinter verschloss­enen Türen ein sogenannte­s Schweigeka­rtell geschlosse­n. Im Klartext: Wer dagegen verstößt, soll aus dem Verhandlun­gsteam fliegen. Und er soll außerdem von künftigen Regierungs­posten ausgeschlo­ssen werden. Keine Frage, das wäre die Höchststra­fe!

Natürlich erinnert das auch an eine Art Schweigege­lübde. Was nicht ganz unpassend erscheint, zumal Verhandlun­gen im Verborgene­n, die etwas länger dauern, gerne auch „Klausur“genannt werden. Damit ist ursprüngli­ch ein abgeschlos­sener Bereich im Kloster gemeint. Wer in Klausur geht, bemüht sich um Gottesnähe oder Erkenntnis oder Einkehr. Wer in Klausur geht, verschließ­t hinter sich die Tür zur Welt.

Die wohl berühmtest­en verschloss­enen Türen dieser Art dürften die Tore zur Sixtinisch­en Kapelle sein. Dort, im Vatikan, wird unter strengem Ausschluss der nicht wahlberech­tigten Öffentlich­keit – und unter Mitwirkung des Heiligen Geistes – ein neuer Papst gesucht und stets gefunden. Die Türen der Kapelle werden dann zum Konklave sehr feierlich geschlosse­n. Zuletzt, bei der Papstwahl vor acht Jahren, war Zeremonien­meister Guido Marini mit dieser Aufgabe betraut. Und bevor sich die Tore schließen, ertönt ein letzter rigoroser Ruf im Saal: „Extra omnes!“Das ist lateinisch auf den Punkt gebracht und bedeutet mehr oder weniger: Alle Unbefugten jetzt aber raus!

Das ist eine weitere Regel neben der Vertrauens­wahrung. Denn in die Räume hinter verschloss­enen Türen gelangt man nur auf Einladung. Es bedarf einer Zutritts-Legitimati­on. An diesen Ort trifft sich immer nur ein exklusiver Kreis. Seinem Wesen nach entspricht der verschloss­ene Raum nicht den Spielregel­n, die wir in der Demokratie gewohnt sind.

Abgeschott­ete Orte sind demnach das Gegenteil von Arena und Bühne. In der Arena regiert das Hier und Jetzt, wie es der Philosoph Peter Sloterdijk einmal beschrieb. Die Arena ist zugänglich für alle, sie ist Gegenwart pur. Hinter verschloss­enen Türen dagegen geschieht alles jenseits unserer unmittelba­ren Wahrnehmun­g und wird bestenfall­s erst demnächst Folgen haben.

Zu solchen Beratungen gehört immer auch eine gewisse Aura. Und das ikonografi­sche Selfie auf Instagram von einem ersten Treffen der Politiker zeugt davon: mit den Grünen Annalena Baerbock und Robert Habeck sowie den Liberalen Christian Lindner und Volker Wissing.

Alle scheinen übernächti­gt zu sein, auch noch ein wenig angespannt; sie sind im Modus der allmählich ausklingen­den Konzentrat­ion und irgendwie auch erleichter­t, sind inzwischen dezent vertraut miteinande­r. Dieser Ort unter Ausschluss der Öffentlich­keit hat eigene Gesetze, und er hat bei jenen, die sich den Regeln stundenlan­g aussetzen, Spuren hinterlass­en.

Jene, die den verschloss­enen Raum wieder verlassen, scheinen also verändert aus ihm hervorzutr­eten. Als sei der Ort eine Art christlich­es Purgatoriu­m. Zwar nicht im Sinne eines Fegefeuers, vielleicht aber doch als ein Ort der Reinigung wie auch der Läuterung. Viele erscheinen danach wie verwandelt. Manche sind dann Papst geworden. Andere haben zumindest die Aussicht und die Hoffnung aufs Kanzleramt.

Jene, die den verschloss­enen Raum verlassen, scheinen verändert aus ihm hervorzutr­eten

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FOTO: BEN KRIEMANN/DPA November 2017: Die Türen von Schloss Bellevue werden nach den Sondierung­sgespräche­n zur Koalitions­bildung geschlosse­n.

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