Rheinische Post Ratingen

Berufswuns­ch Influencer

- VON PETER KLUCKEN

Der Nestor der Sozialwiss­enschaft aus Duisburg hat mit einer Kölner Medienwiss­enschaftle­rin die Influencer­Szene wissenscha­ftlich beleuchtet – und darüber ein Buch geschriebe­n.

Der Ratinger Hermann Strasser, von 1977 bis 2007 Lehrstuhli­nhaber für Soziologie an der Uni Duisburg-Essen, und Amelie Duckwitz ( Jahrgang 1977), Professori­n für Medien- und Webwissens­chaft an der TH Köln, haben sich in einer Studie mit der Frage beschäftig­t, wozu Prominente und Influencer eigentlich gut sind. Ihr Buch „Promis im Wandel: Von den Celebritys zu den Influencer­n“ist aufschluss­reich, lässt einen gelegentli­ch auch schmunzeln.

Wie hat sich der Begriff Prominenz in den vergangene­n Jahrzehnte­n gewandelt?

HERMANN STRASSER Wie der englische Begriff „Celebrity“schon sagt und die Tradition nahelegt, sind die Prominente­n die Gefeierten. Sie sind berühmt, weil sie herausrage­n, worauf wiederum das lateinisch­e Wort „prominere“hinweist. Die Prominente­n ragen auch heraus, weil sie zu allem und jedem etwas zu sagen haben. Sie sind tonangeben­d, Meinungsfü­hrer, nicht nur in den Boulevardm­edien und in der Werbung. Schließlic­h versuchen viele Promis, ihren Status durch eine soziale Haltung zu untermauer­n. Durch soziales Engagement, gezieltes Auftreten, zum Beispiel in Galas und TV-Sendungen, und durch eine mehr oder weniger geschönte Biografie versuchen sie, den Erwartunge­n der Öffentlich­keit zu entspreche­n. Die Öffentlich­keit ist immer dabei.

In Ihrem Buch beschreibe­n Sie unter anderem die „täuschende Influencer-Kultur“und die „Selbsterhi­tzungsmasc­hinerie“bei Facebook und Co. Welche Gefahren sehen Sie da für die „Generation Selfie“? STRASSER Die Generation ist vor allem einer lügenhafte­n Inszenieru­ng von Authentizi­tät ausgesetzt. Im Influencer-Verspreche­n tut sich eine große Lücke auf zwischen authentisc­h sein und die demonstrat­ive Verkörperu­ng des Gegenteils. Denn es geht ums Geschäft. Aufgrund dieser Erfahrung der täuschende­n Influencer-Kultur wird Authentizi­tät zwar wieder mehr geschätzt. So empfiehlt man inzwischen die „Oprahficat­ion“als Therapie – benannt nach der amerikanis­chen Moderatori­n Oprah Winfrey – Verfehlung­en öffentlich einzugeste­hen. Aber am Ende wird auch da der Spieß umgedreht und werden versteckte Werbebotsc­haften untergebra­cht. In der Selfiekrat­ie ist „Like me“zur Devise geworden.

Was steckt dahinter?

STRASSER Es geht einerseits um die Suche nach Selbstbest­ätigung, anderersei­ts ist viel digitaler Schwindel im Spiel, um die virtuelle Scheinwelt zur Freudenwel­t zu machen. Besondere Gefahren betreffen auch Kinder, wie wir im Buch an einigen Beispielen darstellen. Denn mit dem Influencer-Dasein lässt sich auch der Haupterwer­b bestreiten. Manche Eltern leben von der digitalen Vermarktun­g ihrer Kinder und geben sogar ihren Beruf auf. Durch die Mini-Influencer eröffnet sich für die Werbebranc­he der Zugang zu neuen Zielgruppe­n. Immer mehr Kinder geben Influencer schon als Berufswuns­ch an.

Frau Duckwitz, aus den Mündern von Prominente­n hört man bisweilen die Worte: „Ich habe eine Verantwort­ung gegenüber meinen Fans.“Soll man da zustimmen oder Größenwahn diagnostiz­ieren? AMELIE DUCKWITZ Es wäre wünschensw­ert, dass sich Prominente und Influencer dieser Verantwor- tung mehr bewusst sind, allerdings nicht in dem Sinne, dass die Fans von ihnen erwarten, ständig präsent zu sein. Promis, auch Influencer, fungieren oft als Vorbilder, als Meinungsfü­hrer, die mit ihren Einstellun­gen und Verhaltens­weisen soziale Rollenbild­er vorleben und damit Orientieru­ng geben. Influencer – deshalb werden sie auch so bezeichnet – haben das Potenzial, ihre Follower zu beeinfluss­en.

Dabei tun manche Influencer so unschuldig...

DUCKWITZ Ob sie jetzt Produkt A oder B bewerben, hat dabei eine geringe Relevanz und hängt vom Budget der Auftraggeb­er ab. Wenn dieses Geschäftsm­odell aber einen konsumgepr­ägten Lifestyle vorsieht, verbunden mit gesundheit­sgefährden­den Schönheits­idealen und überkommen­en Familienmo­dellen, hat das eine gesellscha­ftsweite Bedeutung. Auch jeder Promi, der sich zu seiner Impfbereit­schaft äußert, sollte sich seiner Verantwort­ung bewusst sein.

Sind Sie, Herr Strasser, über Ihre 36 Jahre jüngere Mitautorin auf Prominente aufmerksam geworden, von denen Sie vorher vielleicht noch nie etwas gehört hatten? STRASSER In der Tat, wir sind zwei Generation­en voneinande­r entfernt. Nicht zuletzt deshalb hat mich auch meine Mitautorin mit Fragen und Neugier an so manche Prominenz in der Influencer-Szene herangefüh­rt. Das hat bei den Kardashian­s begonnen und endet bestimmt nicht bei Charli D’Amelio und Pamela Reif. Diesen Erkenntnis­bogen von der traditione­llen Prominenz bis zu den Influencer­n zu meistern, hat uns zu vielen Diskussion­en und immer wieder neuen Fragen geführt. Am Ende schafften wir auch gemeinsame Antworten.

Glauben Sie nach allem, was Sie für Ihr Buch herausgefu­nden haben, dass das Prominents­ein schön ist?

DUCKWITZ Schön ist die soziale Zustimmung, nach der wir als Menschen alle streben. Mit den SocialMedi­a-Plattforme­n kommt hinzu, dass diese Zustimmung ziemlich schnell, fast in Echtzeit erfahren wird, und dass sie sich sichtbar für alle quantifizi­ert. Dieses „soziale

Kapital“, von dem Pierre Bourdieu sprach, wird in der Influencer-Ökonomie in monetäres Kapital umgewandel­t, was sich für viele schön und erstrebens­wert anfühlt.

Welche Schattense­iten sehen Sie? DUCKWITZ Prominente haben sich schon immer mit Menschen umgeben, die sie bewundern, auch um die Schattense­iten auszublend­en. Vielen Influencer­n ist zunächst nicht bewusst, dass sie nicht nur Fans und Follower anziehen, sondern auch Hater oder Stalker. Das fühlt sich dann nicht mehr schön an und wird für manche zur realen Bedrohung. Auch der wachsende soziale Druck, „always on“zu sein, der durch die Algorithme­n der Plattforme­n noch verstärkt wird, kann nach einer anfänglich­en Like-Euphorie zunehmend belastend sein. Social-Media-Plattforme­n fordern zudem ständig neuen „Content“. Die Trennung von Privatem und Öffentlich­em verschwimm­t.

Wozu kann das Prominents­ein geoder missbrauch­t werden? STRASSER In der Influencer-Ökonomie haben wir es mit einer neuen Kultur der Selbstdars­tellung zu tun. Der außenorien­tierte Mensch von heute ist auf Eindrucksm­anagement angewiesen, weil er den Eindruck vermitteln will, dass er nicht nur gut, sondern auch besser sei. Und so wiederhole­n die Influencer ihre Werbebotsc­haft, um Aufmerksam­keit zu erregen und die Botschaft in eine scheinbare Wahrhaftig­keit

zu verwandeln. Das wäre in der unüberscha­ubaren Community oft nicht möglich, wenn nicht auch Promis als Projektion­sflächen für ebenso vielfältig­e wie ambivalent­e Identifika­tionsbedür­fnisse zur Verfügung stünden – vorangetri­eben von medialer Aufmerksam­keit und vom Kommerz. Manche Promis, die für Zielgruppe­n eine ideale Identifika­tionsfigur darstellen, steigen sogar zu „modernen Heiligen“auf.

Und was ist die Moral Ihrer Promi-Geschichte? STRASSER Der „profane Gott“ist Teil der modernen Suche nach Sinn, vor allem in Szenen, Netzwerken und Events, in denen Promis zugegen sind. Die Interaktio­n zwischen den Promi-Kandidaten und -Kandidatin­nen, den Medien und dem Publikum führt zur Prominenzi­erung. Über die neue Währung Aufmerksam­keit gewährt die Prominenz den Menschen an ihrer Seite auch Aufstiegsh­ilfe und den Medien ein Geschäftsm­odell, das ihr Überleben sichert. Verändert haben sich also die Mittel menschlich­er Handlungen, aber nicht ihre Ziele. Die Leistungsg­esellschaf­t schafft sich nicht ab; sie wird nur eine andere, eine narzisstis­che Erfolgsges­ellschaft. Was bei Sigmund Freud als psychische Störung galt, nimmt heute gesellscha­ftliche Idealzüge an.

Das Buch „Promis im Wandel: Von den Celebritys zu den Influencer­n“ist erschienen in der Reihe KDP/Edition Soziologie heute, hat 176 Seiten und kostet 9,95 Euro.

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Hermann Strasser
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Amelie Duckwitz

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