Das Problem mit den Zahlen
Frankreich Schon bei der Vorstellung des Berichts am 6. Oktober in Paris warfen die Zahlen Fragen auf; bereits der erste Einwurf aus dem Publikum zielte auf dieses Problem ab. Der Kommissionsvorsitzende JeanMarc Sauvé präzisierte, bei der Schätzung der Opferzahlen handele es sich nicht um durch Quellen verbürgte Vorgänge, sondern lediglich um Hochrechnungen auf „sexualwissenschaftlicher Basis“. Dabei habe man etwa den Zugang pädophiler Lehrer zu Schülern über viele Jahre und die statistische Häufigkeit von Taten pro einschlägigem Täter berücksichtigt.
Deutschland In der Bundesrepublik hatte der Ulmer Kinderpsychiater Jörg Fegert 2019 die Zahlen der MHG-Studie mit Umfrageergebnissen zum Dunkelfeld ergänzt und auf die Gesamtbevölkerung hochgerechnet; damit kam er ebenfalls auf eine womöglich sechsstellige Zahl von kirchlichen Missbrauchsopfern. Die Deutsche Bischofskonferenz erklärte damals, es sei eine „schwierige Datenbasis“, wenn aufgrund sehr geringer Fallzahlen Hochrechnungen angestellt würden. (kna) aber auch als unbedarft wahrgenommen. Dann heißt es: Wo bleibt das Kämpferische? Dann wird gar der Versuch, zwischen wiederstreitenden Meinungen zu vermitteln, als unbestimmt und unverbindlich beurteilt. Höchststrafe ist am Ende das Etikett „rheinische Frohnatur“, das gleichgesetzt wird mit unseriös und unzuverlässig. Rheinische Seelen haben es in diesen Zeiten schwer. Dabei meinen sie es meistens gut, wollen aber jede Missstimmung vermeiden.
Zwei spezifische Eigenschaften des Rheinländers sind dabei bestimmend. Erstens: Man sagt ungern Nein. Lieber redet man drumherum, um dadurch das harte Wort zu umschiffen. Die Kompromissformel lautet dann: „Wir gucken mal…“Rheinländer verstehen: Das gibt wohl nichts, Westfalen
hoffen weiter. Zweitens: die rheinische Logik. Recht behält, wer am besten und längsten erzählen kann. Du findest eine plausible Erklärung für etwas, was so an sich nicht richtig ist. Adenauer konnte das bestens. Als Kölner OB überzeugte er die Kommunisten im Stadtrat, einem teuren Brückenbau zuzustimmen, weil das Modell des Bauwerks angeblich von den Sowjets kam. Ein bisschen Schlitzohr darf der Rheinländer also sein. Wesentlich aber ist, dass alles freundlich dargeboten wird und am Ende keiner böse sein kann. Wie heißt es so schön: De Hauptsach ess, ett Hätz ess jood, denn doropp kütt et an…
Unser Autor ist stellvertretender Chefredakteur. Er wechselt sich hier mit Politikredakteurin Dorothee Krings ab.