„Neue Landesregierung muss die Dörfer retten“
Die Grünen-Fraktionschefinnen fordern gleich nach der Landtagswahl im Mai eine neue Leitentscheidung für das Braunkohlerevier.
Frau Schäffer, Frau Paul, wie wollen Sie das Thema Klimaschutz im Landtagswahlkampf transportieren?
PAUL Das Thema ist ja grundsätzlich auf der Agenda, weil das Industrieland NRW in besonderem Maße gefordert ist. Die Unternehmen sind da übrigens schon weiter als so manch politischer Herausforderer. Es reicht nicht, darüber zu sprechen, dass man erneuerbare Energien braucht, um dann mit einer 1000-Meter-Abstandsregel den Ausbau der Windenergie faktisch abzuwürgen.
Die CDU verweist darauf, dass in NRW der Windrad-Ausbau besser vorankommt als etwa im grün regierten Baden-Württemberg.
PAUL Da schmückt sich die Regierung mit fremden Federn. Armin Laschet hat ja selbst im Landtag gesagt, dass die Genehmigungsverfahren sechs bis sieben Jahre dauern. Meines Wissens ist seine Regierung erst vier Jahre im Amt. Die Landesregierung ist nur für Entfesselung, wenn es um den Flächenverbrauch geht. Wenn es aber um eine Entfesselung der Erneuerbaren geht, kommt nicht viel. SCHÄFFER Auch beim Thema grüner Wasserstoff für die Industrie ist die Landesregierung nur weltmeisterlich im Ankündigen. Bei der faktischen Umsetzung hapert es. Und das betrifft neben dem gebremsten Ausbau der Windkraft auch das Thema Solar. Zugleich hält SchwarzGelb am Braunkohleabbau bis 2038 fest. Das passt alles nicht zusammen.
Der Streit verlagert sich gerade von Hambach nach Lützerath. Erleben wir dort demnächst ein „Hambi 2.0“?
SCHÄFFER Es dürfen keine Fakten geschaffen werden, ehe nicht alle Rechtsfragen abschließend geklärt sind. Unabhängig davon muss eine neue Landesregierung die fünf weiteren in Rede stehenden Dörfer mit einer neuen Leitentscheidung gleich zu Beginn der nächsten Legislaturperiode retten. Diese Landesregierung ist dazu offenbar nicht willens.
Was erwarten Sie von einem Ministerpräsidenten Hendrik Wüst? SCHÄFFER Er wird sich jetzt als der Mann des Aufbruchs inszenieren. Aber er ist seit 2017 Minister und hat in diesem Kabinett alle Entscheidungen mitzuverantworten. Wir erwarten von ihm eine Regierungserklärung, in der er klar sagt, was er in den nächsten sieben Monaten für das Land plant.
Wüst hat ein Fahrradgesetz vorgelegt, will Bahnstrecken reaktivieren und den ÖPNV stärken – klingt nach Avancen in Ihre Richtung... PAUL In einem Land wie NRW gibt es auch enorme Mobilitätsanforderungen. Da bleibt es aber vielfach bei Ankündigungen. Hendrik Wüst gefällt sich sehr auf Bildern mit Fahrradhelm und Liegerad, schauen wir aber auf das tatsächlich Erreichte, sind beispielsweise beim Radschnellweg Ruhr von rund 100 Kilometern gerade einmal zehn gebaut. Wenn das Land in dem Tempo weitermacht, werden wir nie bei einem
Radanteil von 25 Prozent ankommen. Auch bei der Elektrifizierung und Reaktivierung alter Bahnstrecken im ländlichen Raum ist der Minister Ergebnisse schuldig geblieben. Insgesamt kommt bei dieser Landesregierung in Sachen Investitionen zu wenig.
Was meinen Sie konkret?
PAUL Der Putz bröckelt in Schulen und Turnhallen, es fehlt an schnellen Internetleitungen, die Verwaltung ist nicht so digital, wie die FDP es gerne darstellt. Der größte Batzen bleibt bei den nötigen Investitionen zur Klimaneutralität.
SCHÄFFER Mich ärgert dabei, dass die Frage nach den Folgekosten unterlassener Investitionen in Klimaschutz immer völlig ausgeblendet wird. Wie stark so etwas zu Buche schlägt, hat doch die Hochwasserkatastrophe gezeigt.
Bei CDU und SPD ist klar, mit welchen Spitzenkandidaten sie in den Landtagswahlkampf ziehen wollen. Was ist mit den Grünen?
PAUL Wir werden im Oktober dazu unseren inhaltlichen und personellen Vorschlag machen. Im Dezember wird dann der Parteitag darüber entscheiden.
Wäre das für Sie keine schöne Position?
SCHÄFFER Es ist sicherlich ein schönes Amt und eine große Herausforderung, aber Sie werden jetzt keinen Namen von mir hören.
Sie setzen sich damit aber dem Vorwurf der Hinterzimmerkungelei
aus.
PAUL Es handelt sich um einen Vorschlag. Das letzte Wort hat der Parteitag.
Da nur eine das Rennen machen kann, sind Enttäuschungen programmiert. Befürchten Sie eine ähnliche Zerreißprobe wie bei der CDU?
SCHÄFFER Nein. Wir sind als Fraktionsund Parteispitze ein eingespieltes Team und haben gemeinsam das Ziel, ein sehr gutes Ergebnis bei der Wahl zu erreichen. Das geht nur geschlossen. Es geht jetzt einzig um die strategische Frage, wen wir nach vorne stellen wollen. Aber am Ende werden alle ihre Rolle im Wahlkampf zu spielen haben.