Vorsicht! Frei laufende Waldmöpse gesichtet!
Backsteingotik und Wasserreichtum locken Kultur- und Naturfreunde nach Brandenburg an der Havel. Und Loriot-Fans kommen für eine Spurensuche in die Geburtsstadt des großen Humoristen.
Wenn die Havel auf ihrem rund 330 Kilometer langen Weg vom Müritz-Nationalpark zur Elbmündung endlich die tausendjährige Stadt Brandenburg erreicht, hat sie schon das eine oder andere Abenteuer hinter sich, hat mehrfach die Richtung geändert und neben Paddlern auch Frachtschiffe transportiert. In der „Wiege der Mark“durchfließt der Fluss wie schon zahllose Male zuvor weitere Seen, verzweigt sich in Seitenarme, Gräben und Kanäle, schafft Inseln und verwandelt das historische Zentrum mit seinen drei mittelalterlichen Stadtteilen – Altstadt, Neustadt und Dominsel – in ein Gespinst aus Land und Wasser.
Die Havel ist die Lebensader der Stadt, die dem Bundesland, in dem sie liegt, einst seinen Namen gab. Der verschlungene und gemütlich dahinvagabundierende Fluss zieht Einheimische wie Fremde ans Wasser, die von einer Einkaufstour durch die belebte Hauptstraße kommend gern unter der Jahrtausendbrücke am Ufer sitzen. Und er macht Lust auf eine Fahrt mit einem Ausflugsschiff oder sogar auf einen richtigen Urlaub an Bord eines Hausboots. Kanuten und Tretbootfahrer schlagen gleich zwei Fliegen mit einer Klappe und verbinden ein fußschonendes Vorankommen mit der Erkundung der langen Liste vorzeigenswerter Baudenkmäler aus der Froschperspektive. Wobei Letzteres selbstverständlich auch auf bewährte Art funktioniert, bei einer Rundtour auf Schusters Rappen nämlich.
Ein guter Startpunkt für einen Stadtspaziergang ist die Touristinformation am Neustädtischen Markt, vor deren Tür ein merkwürdiges pummeliges Tier aus Bronze die Stellung hält – ein Waldmops, als Hommage an einen der größten Söhne der Stadt und bedeutenden Humoristen. Sie wissen noch nicht, um wen es geht? Dann denken Sie doch mal an die Herren Müller-Lüdenscheidt und Doktor Klöbner, die ebenso nackt wie beleibt in einer zunächst leeren Badewanne sitzen und sich über die Zuwasserlassung einer Plastikente streiten! An Weihnachten bei Hoppenstedts oder an die verpatzte Fernsehaufzeichnung im Wohnzimmer von Lottogewinner Erwin Lindemann! Immerhin haben diese und unzählige andere Sketche mit ihren skurrilen Darstellern – lebensechten wie gezeichneten – Fernsehgeschichte geschrieben und ihren Schöpfer deutschlandweit berühmt gemacht.
Als studierter Grafiker mit einem besonderen Faible für die Gestörtheit zwischenmenschlicher Kommunikation betrat dieser in den 1950er-Jahren die Bühne der Öffentlichkeit. Für seinen Künstlernamen hatte sich Bernhard-Viktor von Bülow die französische Übersetzung des Vogels Pirol angeeignet, des Wappentiers seiner Familie, einem alten Adelsgeschlecht aus dem Mecklenburgischen. Und so zeichnete der Erfinder des legendären Knollennasenmännchens fortan als LORIOT für die Zeitschrift Stern und andere, übernahm Aufträge in der Werbung und verdiente sein Geld als Schauspieler. Er moderierte für den Süddeutschen Rundfunk die Fernsehsendung Cartoon, schrieb Sketche, in denen er selbst, gern mit falschen Zähnen als absurder Verkleidung, die Hauptrolle spielte. Hauchte dem tierischen Duo Wum und Wendelin Leben ein, nahm für Radio Bremen auf dem grünen Sofa Platz und präsentierte von dort Zeichentrickfilme wie gespielte Szenen, in denen der Umgang des Bürgers mit den einfachen Dingen des Alltags gern grotesk überzeichnet wurde. Und der begnadete Schreiber, Zeichner, Bühnenund Kostümbildner hatte noch eine ganze Reihe weiterer Talente, mit deren Unterstützung er die Berliner Philharmoniker bei einem „humoristischen Festkonzert“dirigierte oder als Regisseur die Komödien Ödipussi und Pappa ante Portas auf die Kinoleinwand brachte.
Nach wechselnden Lebensstationen in Berlin, Stuttgart, Hamburg und anderswo endete Loriots Erfolgsgeschichte 2011 mit seinem Tod im bayerischen Ammerland. Ihren Anfang nahm sie am entgegengesetzten Ende unserer Republik,
Loriot Deutscher Humorist nämlich hier in Brandenburg an der Havel, wo am 12. November 1923 dem Polizeileutnant von Bülow und seiner Frau Charlotte zu vorgerückter Stunde ein Stammhalter geboren wurde – ein strammer Sechsdreiviertelpfünder, den man künftig, der Einfachheit halber, beim Namen Vicco rief. Auch wenn dieser mit dem kleinen Bruder seinem
Zuhause an der Havel bereits 1927 den Rücken kehrte, um zur Oma ins nahe Berlin zu ziehen, blieb Loriot dem Ort seiner Geburt auch im reifen Alter verbunden.
1993 gründete er hier eine Stiftung zur Förderung mildtätiger Zwecke und zum Erhalt historisch wichtiger Kulturgüter in der Stadt. Und zum 85. Geburtstag des Humoristen revanchierten sich die Brandenburger ihrerseits für den sozialen Einsatz ihres Ehrenbürgers und renovierten mit Spenden seine Taufkapelle in der Kirche St. Gotthardt.
Auf der Wiese neben der dreischiffigen Hallenkirche, einem von mehreren schönen Beispielen der Backsteingotik, wo neben der reichen Ausstattung eine Loriot-Ausstellung ins Innere lockt, steht ein weiterer ringelschwänziger Waldmops. Mit platter Nase im faltigen, gramvollen Gesicht und einem etwas kümmerlichen Geweih auf dem schlappohrigen Kopf. Dabei zugewandt und durchaus freundlich gestimmt.
Geschaffen hat diese wundersamen Geschöpfe, von denen sich inzwischen – stehend, sitzend, liegend, Männchen machend, umherschnüffelnd und das Bein hebend – ein eindrucksvolles Rudel im Stadtzentrum herumtreibt, die Künstlerin Clara Danke. „Anlass war die Eröffnung zur Bundesgartenschau 2015 in Brandenburg an der Havel als einem von fünf Standorten in der Havelregion“, sagt Dirk Forberger von der Stadtmarketing- und Tourismusgesellschaft. Wobei „die Vorlage Loriot selbst in seinem berühmten Sketch ‚Der wilde Waldmops’ lieferte.“
Mit etwas Glück und Aufmerksamkeit kommt es an zahlreichen Orten der Stadt zu einer Begegnung zwischen Tier und Mensch: Am achteckigen Mühlentorturm, 29 Meter hohes Relikt der einstigen Stadtbefestigung, lugt einer der Waldmöpse neugierig über einen schweren Mühlstein; an der Ecke Domkietz/St. Petri, wo sich der Turm des Doms bereits wegweisend über die Dächer seiner Nachbarschaft erhebt, hält ein anderer die Schnauze in den nassen Guss einer Wasserpumpe, während sich ein paar Meter entfernt Meeresgotttochter Galatea mit vier nackten, kraftstrotzenden Tritonen als Skulpturengruppe im Blätterschatten einer Kastanie lümmelt.
Und nur ein kurzes Wegstück, bevor der Stadtrundgang die St. Johanniskirche erreicht – an der rund um den Loriot-Gedenkstein die ersten Exemplare ausgewildert wurden und der geneigte Betrachter auf einer hölzernen Plattform erfährt, warum „ein Leben ohne Mops möglich, aber sinnlos“ist – , hat sich einer der possierlichen Burschen einen besonders schönen Platz ausgesucht. Mit den Vorderbeinen auf dem Brunnenrand am Altstädtischen Markt abgestützt, blickt er in soldatisch strammer Haltung auf den gestaffelten Schaugiebel des backsteinroten Rathauses und die über fünf Meter hohe Rolandstatue davor.
Am Rand des Platzes hockt derweil, umgeben von hübschen Hausfassaden, ein Knollennasenmann aus Holz auf einer Bank – als weitere Erinnerung an Loriot, diesen gewitzten, verschmitzten, überaus großartigen Brandenburger, der uns als letzten Gruß im Gästebuch seiner Heimatstadt folgende unmissverständliche Botschaft hinterließ: „Die Ente bleibt draußen.“
„Ein Leben ohne Mops ist möglich – aber sinnlos“