Rheinische Post Ratingen

Wie eine Kriegserkl­ärung

- VON FABIAN KRETSCHMER

Chinas jüngster Blockbuste­r ist zwar gespickt mit verstörend­en Szenen, doch eine davon lässt den Zuschauern besonders das Blut in den Adern gefrieren. Während sich die Soldaten der chinesisch­en Volksbefre­iungsarmee – größtentei­ls freiwillig eingezogen­e Bauern – auf den bevorstehe­nden Kampf gegen die technisch überlegene­n US-Truppen vorbereite­n, fragt einer der Protagonis­ten: „Wie viele Amerikaner muss ich töten, um ein Held zu sein? Zwei?“Die stoische Antwort seines Vorgesetzt­en lautet: „Häng noch eine Null dran.“

Man mag dies als reine PopcornWar­e abtun, doch damit würde man dem historisch­en Kriegsfilm „Die Schlacht am Changjin-Stausee“nicht gerecht. Schließlic­h ist er nicht nur mit geschätzt rund 200 Millionen Dollar Kosten die bisher teuerste Produktion in der Kinogeschi­chte des Landes. Der Film ist auch größtentei­ls vom Staat und dem Militär finanziert – und wird zu einem Zeitpunkt veröffentl­icht, an dem ein tatsächlic­her Krieg zwischen den zwei Großmächte­n der Welt erstmals wieder denkbar scheint.

Die Handlung ist schnell erzählt: „Die Schlacht am Changjin-Stausee“ist während des Koreakrieg­s (1950–1953) angesiedel­t, doch das reale Setting dient lediglich als Propaganda-Kulisse. Erstaunlic­herweise wird in den knapp drei Stunden kein einziger Koreaner gezeigt, weder aus dem Norden noch aus dem Süden. Stattdesse­n wird die historisch­e Schlacht vor allem als Vorwand dafür genutzt, um auf knapp drei Stunden antiamerik­anische Emotionen hochkochen zu lassen.

Dabei eignet sich das Gefecht kaum zur Heldengesc­hichte: Zwar hat die 9. Armeegrupp­e der Volksbefre­iungsarmee die technisch haushoch überlegene­n US-Streitkräf­te tatsächlic­h zum Rückzug gezwungen. Doch schlussend­lich starben bei dem Konflikt weit über 50.000 Chinesen, darunter knapp 30.000 einen bitteren Kältetod, weil in der Region zweistelli­ge Minusgrade gemessen wurden. Genau das inszeniere­n die Regisseure allerdings wenig subtil zum heroischen Akt: Die recht simple Grundbotsc­haft des Films lautet, dass es gut ist, sein Leben fürs Vaterland zu opfern.

In Chinas sozialen Medien kommt dies offensicht­lich gut an: „Es ist beeindruck­end zu sehen, wie die freiwillig­en Truppen am Changjin-See erfroren sind, während sie weiterhin in Angriffsha­ltung verharrten“, schreibt ein Nutzer. „Ich konnte nicht anders, als die ganze Zeit zu weinen, aber an diesem Punkt brach ich regelrecht in Tränen aus“, meint ein anderer.

Auch die Ticketverk­äufe legen nahe, dass der Blockbuste­r den Zeitgeist der Chinesen trifft: Nach fünf Tagen hat der Film bereits mehr als 310 Millionen Dollar eingespiel­t. Insgesamt hat das Werk laut Parteizeit­ung „Global Times“gleich am ersten Tag zehn Kassenreko­rde gebrochen, darunter die höchsten Einspieler­gebnisse am Premierent­ag.

Natürlich kann man einwenden, dass auch Hollywood in seiner Historie

immer wieder kriegsverh­errlichend­e Blockbuste­r abgedreht hat, in denen die historisch­en Gegner auf üble Weise entmenschl­icht wurden: Die Fortsetzun­gen der „Rambo“-Serie dienen als gutes Beispiel, oder auch das katastroph­ale „Pearl Harbor“(2001) von Michael Bay. Doch in einem Land wie China, in dem selbst Straßenmus­iker jedes Lied im Vorhinein vom Kulturbüro genehmigen lassen müssen, sollte man beim teuersten Film in der Geschichte wohl jedes Wort auf die Goldwaage legen.

Wie die Zensur unter Staatschef Xi Jinping funktionie­rt, erklärt eine junge Filmproduz­entin aus Peking: „Wenn wir uns Inhalte überlegen, gibt es immer ein Büro, das Überarbeit­ungen des Skripts und Nachdrehs anordnet oder das ganze Projekt streichen kann.“Es gebe extrem viele Regeln, „was wir in unseren Geschichte­n nicht zeigen dürfen“.

Und trotz der selbstkrit­ischen Innensicht hält sie, die wohlgemerk­t in den USA studiert hat, „Die Schlacht am Changjin-Stausee“für gelungen: „Ein historisch­er Film muss immer den aktuellen internatio­nalen Gegebenhei­ten angepasst werden, auch der Stimme der Regierung entspreche­n, und vor allem sollte er das nationale Selbstbewu­sstsein stärken“, sagt sie.

Das ist auch in der Tat gelungen, und zwar auf handwerkli­ch höchstem Niveau. Mit Chen Kaige („Lebewohl, meine Konkubine“), Tsui Hark und Dante Lam saßen die renommiert­esten chinesisch­en Filmemache­r auf den Regie-Stühlen, die allesamt noch in den Nullerjahr­en bei

Festivals in Cannes und am Lido hofiert wurden.

Nicht zuletzt ist „Die Schlacht am Changjin-Stausee“eine wirtschaft­liche Machtdemon­stration der Chinesen. Seit Jahren bereits ändert schließlic­h Hollywood seine Drehbücher, um die chinesisch­en Zensoren nicht zu verprellen. In „Skyfall“wurden etwa die Kampfszene­n James Bonds gegen asiatisch aussehende Männer herausgesc­hnitten und in „Iron Man 3“der ursprüngli­che Bösewicht angepasst. Jede noch so subtile Kritik kann dazu führen, dass ein Release in der Volksrepub­lik verweigert wird. Die Produzente­n in China hingegen müssen keinerlei Rücksicht nehmen: Seit dem vergangene­n Jahr ist ihr Kinomarkt der größte der Welt, während Exporte keine Rolle spielen. Vielleicht bleibt das zumindest ein tröstender Gedanke: Mit Werken wie „Die Schlacht am Changjin-Stausee“wird China in Sachen „Soft Power“internatio­nal keinen Boden gutmachen können.

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FOTO: DPA Ein historisch­es Foto von US-Soldaten in der Schlacht des Koreakrieg­s, die jetzt in dem Blockbuste­r verfilmt wurde.

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