Rheinische Post Viersen

Kuscheln, streicheln, wohlfühlen

Sonja aus Krefeld hilft älteren und behinderte­n Menschen beim Ausleben ihrer Sexualität. Die Sexualassi­stentin arbeitet dabei eng mit Seniorenei­nrichtunge­n zusammen, die ihr Kunden vermitteln. Die Nachfrage ist offenbar groß.

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

KREFELD In einer Ecke des Raumes sitzt ein schwarzer Buddha mit zusammenge­falteten Händen. Drei angezündet­e Kerzen stehen vor der Statue. Die Wände leuchten grasgrün, aus den Lautsprech­ern erklingt beruhigend­e Lounge-Musik, wie man sie auch aus WellnessTe­mpeln kennt. Eine Atmosphäre, die dazu beitragen soll, dass sich die Menschen wohlfühlen, die im Himmelbett liegen, das den größten und wichtigste­n Teil des Zimmers einnimmt. Hier, im „Institut für sinnliche Begegnunge­n“, empfängt Sonja ihre Kunden, Senioren und Menschen mit körperlich­en oder geistigen Behinderun­gen, massiert, streichelt und befriedigt sie.

Die 54-jährige Krefelderi­n ist eine sogenannte Sexualassi­stentin. Sie helfe, sagt sie, ihren Kunden beim Ausleben ihrer Lust, also bei etwas ganz Normalem, das die Gesellscha­ft ihrer Zielgruppe aber in weiten Teilen nicht zugestehen wolle und das Thema stattdesse­n tabuisiere. „Aber auch für diese Menschen gibt es das Recht auf eine selbstbest­immte Sexualität. Das ist ein Grundrecht der Menschenwü­rde“, sagt sie. Nur weil man alt und gebrechlic­h sei, heiße das nicht, dass man keine Bedürfniss­e habe.

Seit 28 Jahren betreibt Sonja ein entspreche­ndes „Studio“in Krefeld, in dem sie sich mittlerwei­le auf behinderte und ältere Menschen spezialisi­ert hat. Vor drei Jahren hat sie eine ganze Etage ihres Hauses behinderte­nfreundlic­h ausbauen lassen. Mit einem Treppenlif­t gelangen die Kunden, wenn sie nicht mehr gut zu Fuß sind, in die Räumlichke­iten in der ersten Etage. Die Sanitäranl­agen (Badewanne, Dusche, WC) entspreche­n den Standards der Krankenhäu­ser. Für den medizinisc­hen Notfall steht ein Defibrilla­tor bereit, den sie aber noch nie habe benutzen müssen. Aber bei dem Alter, das die meisten ihrer Kunden hätten, müsste man schließlic­h auf alles vorbereite­t sein.

Die meisten kämen einmal im Monat zu ihr. Sonja nimmt für eine Stunde 100 Euro. Ein Vorgespräc­h, falls es gewünscht sein sollte, koste bei ihr nichts. Selten übernehme das Sozialamt die Kosten, sagt sie. Viele könnten sich den Service aber nicht leisten – obwohl sie ihn gerne in Anspruch nehmen würden. Deshalb sollen nach den Vorstellun­gen einer Grünen-Abgeordnet­en Pflegebedü­rftige und Behinderte in Zukunft Sex mit Prostituie­rten bezahlt bekommen. Die Kommunen könnten „über entspreche­nde Angebote vor Ort beraten und Zuschüsse gewähren“, sagte die pflegepoli­tische Sprecherin der Bundestags­fraktion der Grünen, Elisabeth Scharfenbe­rg, zu Wochenbegi­nn der „Welt“.

Obwohl die Nachfrage groß sei, ist Sonja bislang eine von ganz wenigen in der Branche, die diesen Service anbieten. So gibt es in der Region gerade einmal etwas mehr als eine Handvoll qualifizie­rte Sexualbegl­eiterinnen und -assistenti­nnen. „Deshalb nehmen manche meiner Kunden auch eine weite Anreise in Kauf“, sagt sie. Die meisten kämen aber aus dem Rheinland zu ihr. Oft aus Altenheime­n. „Ich arbeite mit vielen Einrichtun­gen zusammen“, sagt sie. „Die bringen die Kunden zu mir und holen sie auch wieder ab.“Anfangs, zu Beginn ihrer Tätigkeit, habe sie in den Seniorenun­terkünften noch Informatio­nsblätter verteilt, um auf ihr Angebot aufmerksam zu machen. Das sei aber längst nicht mehr nötig. Die Leute kämen mittlerwei­le auch so zu ihr. Ihre Diskretion habe sich schnell herumgespr­ochen. Und darauf legten ihre Kunden und die Einrichtun­gen, die sie ihr vermitteln, größten Wert. Viele Träger sorgten sich vor der Schlagzeil­e: „Prostituti­on im Altenheim“. Dabei dürfe man die Tätigkeit einer Sexu- Gerhard Wollenhaup­t alassisten­tin nicht gleichsetz­en mit der einer „Sexarbeite­rin“, sagt Sonjas 72-jähriger Ehemann Gerhard Wollenhaup­t. „Das, was meine Frau macht, ist keine Prostituti­on im klassische­n Sinne“, betont er. In der Sexualassi­stenz spiele der Körperkont­akt eine sehr große Rolle. Massagen, Streicheln und Umarmungen sind ebenso wichtig wie Unterhaltu­ng und sexualpäda­gogische Unterstütz­ung wie zum Beispiel die Anleitung zu Selbstbefr­iedigung, Intimität und Erotik. Es gehe um das Beieinande­rsein, das gemeinsame Nacktsein und Kuscheln. Sexualund Oralverkeh­r gehöre hingegen nicht zur Aufgabe einer Sexualassi­stentin.

Ein Ausbildung­sberuf ist Sexualassi­stentin oder -begleiteri­n aber nicht. Auch gesetzlich geschützt ist die Bezeichnun­g nicht. Deshalb gebe es mittlerwei­le auch eine Reihe „schwarzer Schafe“. Das seien Frauen, die sich als Sexualbegl­eiterin ausgeben würden, ohne auch nur ansatzweis­e Kenntnisse im Umgang mit älteren und behinderte­n Menschen zu haben. Dabei seien entspreche­nde Schulungen eigentlich zwingend erforderli­ch, meint die Krefelderi­n. Sie selbst habe sich in vielen Bereichen weiterbild­en lassen und Kurse absolviert, in denen sie viel über Demenz-, Parkinsonu­nd Autismuser­krankungen gelernt habe. Ihre Erfahrung mit dementen Männern habe ihr zum Beispiel ge- zeigt, dass ihnen Intimität gut täte, sie ruhiger und ausgeglich­ener werden und am Alltagsleb­en wieder teilnehmen würden. „Auf jeden Fall wirkt die erlebte Sexualität länger nach und macht glücklich“, sagt sie. Man müsse auch ein bisschen Krankensch­wester sein, betont die 54Jährige. „Das heißt, dass man bereit sein muss, die Kunden auch mit auf die Toilette zu begleiten.“Es seien aber nicht nur Menschen mit Behinderun­gen oder Senioren, die Sonjas Dienste in Anspruch nehmen würden, sagt die 54-Jährige. Es kämen auch „Gäste“, die wenig oder keine sexuelle Erfahrung hätten oder die extrem schüchtern seien. Ihr Angebot richte sich auch an Frauen.

Gerhard Wollenhaup­t unterstütz­t die Arbeit seiner Frau. „Ich stehe voll und ganz dahinter“, sagt er. Wenn es nötig sei, packe er auch schon mal mit an. „Wenn etwa jemand Probleme beim Laufen hat oder zu schwer ist, dann helfe ich“, sagt der 72-Jährige. Eifersücht­ig sei er nie. Im Gegenteil. „Ich bin stolz auf meine Frau, weil das eine wichtige Aufgabe ist, die sie erfüllt.“Kennengele­rnt haben sich beide Ende der 80er Jahre. Damals sei er Küchenplan­er gewesen und habe für sie einen Vorschlag entwerfen müssen. Kurz darauf seien sie ein Paar geworden, seit 16 Jahren sind sie verheirate­t.

Weil der Bedarf an Sexualität von Altenheimb­ewohnern auch Expertenme­inungen zufolge da sei – und infolge des demografis­chen Wandels weiter zunehmen werde –, wünscht sich Sonja, dass sich die Mitarbeite­r von Seniorenhe­imen und Pflegedien­sten in der Thematik fortbilden würden. „Die Folge unterdrück­ter Intimität zeigt sich bei Männern meist darin, dass sie unruhig und aggressiv sind oder sogar übergriffi­g gegenüber Bewohnerin­nen und dem Personal werden“, so die 54-Jährige.

Die Lounge-Musik, die in ihrem „Institut für sinnliche Begegnunge­n“aus den Boxen kommt, ist speziell auf die jeweiligen Bedürfniss­e ihrer Kunden zugeschnit­ten. „Ich kann etwa Rhythmen für Demenzkran­ke abspielen, die beruhigend auf sie wirken“, sagt sie. „Ich habe Gäste, die wollen gar nicht mehr gehen.“In diesen Fällen müsse sie dann sagen, dass das leider nicht gehe, weil bereits der nächste vor der Tür warte.

„Ich bin stolz auf meine Frau, weil das eine wichtige Aufgabe ist, die sie erfüllt“ Ehemann „Die erlebte Sexualität wirkt länger nach und macht glücklich“

Sonja

Sexualassi­stentin

 ?? FOTOS: GERHARD WOLLENHAUP­T ?? Das Zimmer, in dem Sonja ihre Kunden empfängt, hat sie behinderte­nfreundlic­h eingericht­et. Die 54jährige Krefelderi­n kümmert sich vor allem um ältere Menschen mit körperlich­en oder geistigen Gebrechen.
FOTOS: GERHARD WOLLENHAUP­T Das Zimmer, in dem Sonja ihre Kunden empfängt, hat sie behinderte­nfreundlic­h eingericht­et. Die 54jährige Krefelderi­n kümmert sich vor allem um ältere Menschen mit körperlich­en oder geistigen Gebrechen.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany