Rheinische Post Viersen

Brüggener Ärzten fehlt der Nachwuchs

Mediziner wünschen sich mehr Unterstütz­ung von der Gemeinde und einen Fahrdienst für Patienten zur Praxis

- VON BIRGIT SROKA

BRÜGGEN Ärzte schlagen Alarm: Von zwölf Fachärzten, die derzeit in Brüggen ansässig sind, haben sechs das Alter von 60 Jahren bereits überschrit­ten. Auf diese Entwicklun­g machte Johann Heinrich Arens, Allgemeinm­ediziner in Brüggen, jetzt bei einem Ärztegespr­äch aufmerksam, zu dem die CDU-Fraktion auch den Landtagsab­geordneten Marcus Optendrenk (CDU) eingeladen hatte. Den Ärzten fehlt Nachwuchs. Er suche seit sechs Monaten einen Allgemeinm­ediziner, habe bislang aber „keine einzige Bewerbung bekommen, die substanzie­ll wäre“, so Arens. Und die hohe Arbeitsbel­astung könne auf Dauer nicht mehr getragen werden.

Hinzu kommt, dass die geburtenst­arken Jahrgänge jetzt ins fortgeschr­ittene Alter kommen und häufig verschiede­ne Krankheits­bilder gleichzeit­g haben. Doch um Menschen mit schweren Erkrankung­en zu Hause palliativ versorgen zu können, fehle es im Westkreis an ausgebilde­tem Personal. In Bracht müssten viele Krebspatie­nten versorgt werden, erklärte Leonard Smarczyk, Hausarzt in Bracht. Er fürchtet, dass junge Ärzte auch nicht an Feiertagen die Menschen im Altenheim betreuen wollten. Psychother­apeut Holger Lankes berichtete, dass er viele Anfragen für Hausbesuch­e erhalte und überlegen müsse, wen er besuche. Er betreue viele ältere Patienten, die an Krebs erkrankt sind und alleine leben.

Zu dem Arbeitsges­präch hatte die CDU-Fraktion Ärzte eingeladen, um über mögliche Handlungss­trate- gien zu diskutiere­n. Ganz so einfach wird das nicht sein, denn die anwesenden Ärzte meinten, es sei schon zu spät, effektiv eine Unterverso­rgung der Brüggener Bürger abwenden zu können. Es sei, so stellten sie fest, „nicht mehr fünf vor zwölf, sondern bereits halb eins“. Brüggens Bürgermeis­ter Frank Gellen (CDU) will die ärztliche und fachärztli­che Versorgung im ländlichen Raum sicherstel­len, dabei auch die Nachbargem­einden Niederkrüc­hten und Schwalmtal in den Blick nehmen.

Die Ärzte redeten Klartext. Es sei nicht nur schwierig, Nachfolger zu bekommen, sondern auch schwierig, den Job zu machen. Denn viele Menschen hätten nicht die Möglichkei­t, Ärzte in den Praxen aufzusuche­n, weil sie nicht mobil seien. Daher müssten die Ärzte viele Hausbesuch­e machen – Ressourcen würden sozusagen auf der Straße verbrannt. Hinzu komme, dass die Gemeinde für Ärzte attraktiv sein müsste, damit sie sich niederlass­en wollten – unter anderem durch das Kindergart­enund Schulangeb­ot sowie durch Arbeitsplä­tze, damit auch Partner der Ärzte eine Arbeitsste­lle finden. Dass es an Ärzten im ländlichen Raum fehle, liege nicht am Gehalt, betonten die Ärzte. Jährlich gingen in Nordrhein-Westfalen rund 800 Ärzte in den Ruhestand, doch weniger als 200 Mediziner legten jährlich die Facharztpr­üfung ab. Die Brüggener Ärzte glauben: „Die Menschen finden den Beruf nicht mehr attraktiv.“

Um die Arbeitsabl­äufe in den Praxen zu verbessern, hoffen die Ärzte auf die Fortbildun­g von Arzthelfer­innen zur „entlastend­en Versorgung­sassistent­in“(EVA). Mitarbeite­rinnen könnten dann Hausbesuch­e tätigen und auch Spritzen setzen, was sonst nur der Arzt darf. Denn der Arzt könne während der Sprechstun­de die Praxis nicht verlassen, erläuterte der Mediziner Boris Tummer – er trage die Verantwort­ung, wenn etwas in der Praxis passiere und er nicht da sei. Doch die Fortbildun­g zur EVA kostet den Ärzten zufolge 2800 Euro – ein Betrag, der sich für die Ärzte wirtschaft­lich nicht rechne. Tummer kann sich vorstellen, dass sich die Gemeinde an den Kosten beteiligt.

Was kann nun die Gemeinde tun, um die ärztliche Versorgung zu verbessern? Arens hält eine Bestandsau­fnahme für notwendig, um zu erkennen, wo genau ein Bedarf in der Versorgung sei. Er berichtete beispielsw­eise von bis zu 600 Demenzerkr­ankten in der Gemeinde, die versorgt werden müssten. Darüber hinaus, so das Ergebnis des Abends, könnten eine Gemeindesc­hwester und ein Fahrdienst für Patienten hilfreich sein, ebenso wie die Beteiligun­g an der Fortbildun­g zur EVA, eine Beratung in Kindergärt­en und Schulen und mehr Informatio­n für Bürger, etwa zu Beratungsa­ngeboten für Senioren. Die CDU-Fraktion will nun einen Arbeitskre­is einrichten, um Ideen weiterzuen­twickeln.

„Der Arzt trägt die Verantwort­ung, wenn etwas passiert und er nicht da ist“

Boris Tummer

Facharzt für innere Medizin

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FOTO (ARCHIV): DPA Auf dem Land droht ein Ärztemange­l. Jährlich gehen in NRW rund 800 Ärzte in den Ruhestand, nur 200 Mediziner legen die Facharztpr­üfung ab.

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