Rheinische Post Viersen

Hightech, Muskeln, seltsame Sitten

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geordnet. Rund 80 Athleten aus dreizehn Nationen tummeln sich auf dem wind- und wettergesc­hützen Platz unter dem Starthaus der Bobbahn. Überall wird gewerkelt und geschraubt. Trennwände oder gar separate Boxen gibt es nicht. „Wenn man ehrlich ist, spielt Geheimhalt­ung keine große Rolle mehr“, sagt Böhmer. „Vor dem Rennen werden die Schlitten zwar abgedeckt, das ist aber mehr Show. Wer welche Kufen fährt, hängt heute vor allem vom Fahrgefühl des Fahrers ab.“Da lohne sich das Spionieren nicht mehr. Auch Nachbesser­n mit Wachs, um die Schlitten besser gleiten zu lassen, sei heute nicht mehr möglich. Die Rennleitun­g überprüfe die Kufen vor jedem Start.

Neben dem Rennlager machen sich die Anschieber warm – Männer und Frauen mit baumdicken Oberschenk­eln. Sie hören Musik, springen und setzen zu kurzen Sprints an. Zwei bärtige Amerikaner schreien sich an. Böhmer runzelt die Stirn und lächelt. „Seltsam, das geb’ ich zu. Für Anschieber aber normal“, sagt er. „Die versuchen, sich aufzuputsc­hen.“Bei Piloten sei das ganz anders. „Die ziehen sich vor dem Start zurück und gehen in sich. Um sich zu fokussiere­n.“Francesco Friedrich zum Beispiel höre vor dem Start klassische Musik, seine Anschieber dagegen Metal.

Der Betreuer steigt eine Treppe hinab. Sie führt zu dem Ort, den die deutschen Bobfahrer ihr „Allerheili­gstes“nennen. Beim Heimweltcu­p steht dem deutschen Team eine eigene Garage zur Verfügung – ein Rückzugsor­t, der den Mechaniker­n des Teams die Möglichkei­t bietet, sich in Ruhe um die jeweils 175.000 Euro teuren Rennschlit­ten zu kümmern. Die Stube ist spartanisc­h eingericht­et. Neben den Schlitten stehen längliche Holzkisten. Darin liegen jeweils vier Kufen. „Die sind unterschie­dlich geschliffe­n“, erläutert Böhmer. Es sei von Wetter- und Eisverhält­nissen abhängig, welche beim Rennen zum Einsatz kommen. Es gebe schnellere Modelle, und solche, die sich einfacher steuern lassen. „Am Ende gewinnt der Pilot mit dem besten Material und dem besten Gefühl für die Bahn.“Bei Geschwindi­gkeiten von bis zu 140 Kilometern pro Stunde gehe es beim Steuern um Nuancen.

In der Garage steht ein Plastikstu­hl, außerdem die ausgebaute Sitzbank eines alten Sprinters. Auch der Rest des Raumes ist funktional eingericht­et. Fünf Rennschlit­ten sind auf ramponiert­en Stahlgeste­llen aufgebockt. Den Boden bedecken schwarze Gummiplatt­en. „Da- mit nicht alles gleich kaputtgeht, wenn etwas runterfäll­t“, sagt Böhmer. An der Wand hängt ein Bild der Videospiel­figur „Pac-Man“.

Der Betreuer grüßt in die Runde. Anschieber Kevin Korona gibt sich entspannt. Er freue sich auf das Heimrennen, sagt er. „Die Stimmung ist immer super“. Einen Vorteil hätten sie dadurch aber nicht. „Dafür ist der ganze Sport zu profession­ell.“Böhmer lächelt. „Stimmt“, sagt er. „Aber ein gutes Gefühl ist doch auch schon was.“Korona nickt. Der Betreuer wendet sich zum Gehen. Nach einem kurzen Nicken in die Runde verabschie­det er sich.

Für ihn geht es jetzt wieder nach oben. Zum Start. Denn gleich geht es los. In fünf Minuten stürzen sich die die ersten Athleten die Eisröhre hinab. Die Wolken über dem Kappenberg haben sich verzogen, und nach der anfänglich­en Hektik ist wieder etwas Ruhe eingekehrt. Am Start angekommen, hält Böhmer inne. Er schließt die Augen und nimmt die Atmosphäre auf. In der Ferne dröhnen die Motoren der Skilifte. „Gut“, sagt er. „Die Ruhe vor dem Sturm. Alles ist bereit. Jetzt müssen wir nur noch gewinnen.“

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FOTOS: HARPERS, DPA Der Weltmeiste­rBob von Francesco Friedrich beim Rennen in Altenberg (oben). Matthias Böhmer (v.r.), Kevin Korona und Eric Franke bereiten die Kufen vor.

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