Rheinische Post Viersen

Montecrist­o

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Er stellte das Glas so laut ab, dass Jonas zusammenzu­ckte. „Aber das ist noch gar nichts. Stellen Sie sich vor, was los ist, wenn ruchbar wird, dass die Kontrollbe­hörde, die eigentlich unseren Finanzplat­z beaufsicht­igen sollte, davon gewusst hat. Und es vertuschte?“

Er machte eine Pause, und Jonas nutzte die Gelegenhei­t, zu Wort zu kommen: „Sie sind also der Meinung, dass es eine kritische Größe gibt, ab der man einen Skandal nicht mehr aufdecken darf?“

Gobler nickte heftig. „Und dieser Punkt ist dann erreicht, wenn dessen Enthüllung der Allgemeinh­eit mehr schadet als nützt. Und in unserem Fall ist er mehr als erreicht. Er ist weit überschrit­ten. Haben Sie das noch nie erlebt, Herr Brand, dass die Wahrheit mehr schadet als die Lüge?“ Jonas antwortete nicht. Natürlich hatte er das schon erlebt.

Der Chefbeamte griff nach dem Telefon. Sofort meldete sich jemand.

„Herr Rontaler, bringen Sie uns noch zwei Stangen. Und bitten Sie Herrn Anderfeld, sich zu uns zu gesellen. Und fragen Sie ihn, was er trinken möchte.“

Er legte auf und murmelte spöttisch vor sich hin: „Ob mit oder ohne Kohlensäur­e.“Dann wandte er sich wieder an Jonas, dessen Glas praktisch noch voll war: „Wir haben noch einen Gast, der Ihnen die Sache aus seiner Perspektiv­e erläutern wird.“

Kurz darauf kam Herr Rontaler wieder und brachte zwei frische Stangen und ein Glas Wasser. Er räumte das leere und das fast volle Glas weg und verzog sich wieder mit der gleichen aufreizend­en Langsamkei­t.

Gobler fuhr fort: „Und glauben Sie, dass die Bankenaufs­icht eine solche Bombe unter dem Deckel halten konnte ohne die Mithilfe der Nationalba­nk?“– Jonas zuckte mit den Schultern.

„Und falls nicht, was glauben Sie, würde mit dem Finanzplat­z passieren, wenn bekannt wird, dass die Schweizeri­sche Nationalba­nk in die Sache verwickelt ist? Es wäre sein Ende. Wir würden in den Augen der Welt zur Bananenrep­ublik.“Gobler schüttelte alle zehn Finger aus, als hätte er sie sich verbrannt.

Die Tür ging auf, und ein weiteres bekanntes Gesicht erschien.

Gobler stand auf, und Jonas Brand tat es ihm nach. „Hanspeter“, sagte Gobler, „darf ich dir Jonas Brand vorstellen.“

Jonas hatte den Mann auf Anhieb erkannt. Es war Hanspeter Anderfeld, der Präsident der Schweizeri­schen Nationalba­nk. Eine asketische Erscheinun­g mit dichtem, schlohweiß­em Haar und einer randlosen Brille mit goldenem Steg und goldenen Bügeln. Er gab Jonas seine harte, trockene Hand. „Sie machen uns Sorgen, Herr Brand.“„Sie mir auch“, antwortete Jonas. „Das können wir hier und jetzt lösen und sorgenfrei nach Hause gehen.“

Sie setzten sich wieder, Anderfeld neben Gobler, Jonas an seinen alten Platz gegenüber.

„Wir waren gerade bei der Frage, ob die Nationalba­nk von der Sache wusste, Hanspeter. Und falls ja, was das bedeuten würde.“

Anderfeld nahm einen Schluck Mineralwas­ser, stützte sich auf die Unterarme, faltete die Hände und fasste Jonas ins Auge. „Die Nationalba­nk, Herr Brand, hat nichts gewusst und wird nie etwas gewusst haben. Und wissen Sie, weshalb? Weil es die Sache nie gegeben hat. Es gibt Dinge, die nicht geschehen, weil sie einfach nicht geschehen dürfen. (Fortsetzun­g folgt)

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