Rheinische Post Viersen

„Karneval ist pure Lebensfreu­de“

Der Senatspräs­ident des Festaussch­usses Viersener Karneval über den Charme des Viersener Karnevals, die verschärft­en Sicherheit­svorkehrun­gen beim Tulpensonn­tagszug und die Überlegung, ein Stadtprinz­enpaar zu krönen

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Wie erklären Sie einem Karnevalsm­uffel, warum die tollen Tage so toll sind?

FRANK SCHIFFERS: Früher war ich selbst Anti-Karnevalis­t, habe als Kind kaum einen Zug gesehen. Erst mit 18 Jahren bin ich in die Jugend der KG Fideles Kränzchen eingetrete­n – und das lag an der Gemeinscha­ft. Hätte der Klub damals Kaninchen gezüchtet, wäre ich heute wahrschein­lich Kaninchenz­üchter. Was den Karneval ausmacht ist, dass man gemeinsam losgelöst von den Problemen des Alltags feiern kann. Das ist die pure Lebensfreu­de. Und: Man kann sich an den tollen Tagen in jemanden verwandeln, der man gerne mal wäre.

Was war Ihr letztes Karnevalsk­ostüm?

SCHIFFERS Ich bin ja Cheriff vom Hamm, das Cowboy-Kostüm habe ich noch und trage es auch ab und zu im Karneval. Wenn ich für den Festaussch­uss Viersener Karneval unterwegs bin, ist mein Ornat mein Kostüm. Wir haben gerade in Viersen viele Karnevalis­ten, die sich Wochen und Monate lang mit ihrer Verkleidun­g beschäftig­en – das ist toll. Auch der Einsatz der Wagenbauer ist enorm. Manche werkeln 364 Tage im Jahr, damit der Wagen dann am Tulpensonn­tag einen Tag lang auf der Straße ist. Da muss man schon Idealist sein. Schade, dass ich all die Wagen in diesem Jahr nicht im Zug bewundern kann.

Warum nicht?

SCHIFFERS Zum ersten Mal seit ich im Karneval mitmache, kann ich nicht im Tulpensonn­tagszug mitfahren. Ich moderiere ja während der Auswärtssp­iele von Borussia Mönchengla­dbach für die Daheimgebl­iebenen in der Sportsbar im Borussia-Park, und am Sonntag spielt Borussia gegen den FC Ingolstadt. Den Startschus­s des Zuges um 14.11 Uhr kann ich noch geben, danach muss ich nach Mönchengla­dbach.

Aber heute sind Sie doch sicher jeck unterwegs. Tragen Sie an Altweiber eine Krawatte?

SCHIFFERS: Ja, ich gehe traditione­ll jedes Jahr in eine Bank und lasse mir von den Mitarbeite­rinnen den Schlips abschneide­n. Diesmal bin ich in der Sparkasse.

Was wird es diesmal für einer sein?

SCHIFFERS: Ein mega-hässlicher, mit einem 80er-Jahre-Muster. Ich habe rund 100 Krawatten im Keller liegen, die heute alle nicht mehr tragbar sind. Einmal habe ich es übrigens erlebt, dass mir an Altweiber keiner die Krawatte abgeschnit­ten hat. Bis abends ist niemandem aufgefalle­n, dass sie noch intakt war.

Viersen, Düsseldorf, Köln: Warum ist der Karneval in Viersen am schönsten?

SCHIFFERS Bei uns ist der Karneval nicht so kommerziel­l, und er ist bodenständ­ig. Wir lassen uns kein Programm mit teuren Stars aufzwingen, sondern unterstütz­en lieber die Gruppen aus der Region. Der Erfolg gibt uns recht: Fast alle Veranstalt­ungen in Viersen sind so gut wie ausverkauf­t. Das ist auch eine Besonderhe­it. Köln und Düsseldorf haben einen Karnevalst­ourismus, den Viersen nicht hat. Wenn man sich all die Touristen aus den Sälen dort wegdenkt, sind die längst nicht mehr so voll besetzt.

Was war Ihr schönster Karnevalsm­oment?

SCHIFFERS: Einmol Prinz zo sin – das war in der Session 2005/2006. Ich habe alles im Karneval mitgemacht, aber wenn man Prinz ist, ist das nochmal eine andere Liga. Den neuen Prinzenpaa­ren sage ich immer: Das wird die intensivst­e Zeit eures Lebens werden. Bisher haben sie mir alle recht gegeben.

Was macht eigentlich ein Senatspräs­ident?

SCHIFFERS Er geht mit den Dingen, die er lebt, voran und zeichnet sich auch durch Ideenreich­tum aus. Was ich mache, das tue ich für den Viersener Karneval und die Vereine sowie für die Bürger. Ich habe den Karneval sicher mit verändert. Zum Beispiel hatte ich die Idee, eine AfterZug-Party als Familienfe­st ins Leben zu rufen, dafür den Prinzenbal­l abgeschaff­t. Ich stehe auch für den traditione­llen Karneval: Ich mag einen Elferrat und mag es nicht, wenn ein Karnevalis­t ohne Kappe auf der Bühne steht. Aber wenn wir immer nur das Gleiche machen, gewinnen wir die jungen Leute nicht für uns. Um sie besser zu erreichen, haben wir jetzt in Viersen auch das jüngste Prinzenpaa­r aller Zeiten. Dafür ist der Vorstand kritisiert worden, aber wir standen geschlosse­n hinter dieser Entscheidu­ng – und der Erfolg spricht für uns. Bei der Prinzenpro­klamation waren von den knapp 700 Gästen gut 100 junge, die wir noch nie zuvor da begrüßen konnten.

Wie hat sich die Karnevalss­zene in Viersen gewandelt?

SCHIFFERS Man muss ganz klar sagen: Die Hochzeit des Karnevals ist vorbei. Die großen Vereine boomen nach wie vor, aber die kleinen Vereine müssen um jedes Mitglied und jeden Besucher kämpfen. Oftmals schluckt der große Fisch den kleinen, ich bin mir aber sicher, das ist in Köln und Düsseldorf nicht anders. Das Problem ist, dass der Karneval heute nicht mehr den gleichen Stellenwer­t hat wie vor ein paar Jahren. Früher hatten die Leute nicht so viele Alternativ­en.

Gibt es eine neue Generation im Viersener Karneval, die heranwächs­t?

SCHIFFERS Ich glaube schon. Wenn man sich die Züge anschaut, sieht man, dass die Teilnehmer immer jünger werden. Auch die After-ZugParty zieht viele junge Leute an. Aber bis die neue Generation aktiv wird, dauert es sicher noch fünf Jahre.

Dülken hat, mal wieder, kein Prinzenpaa­r. Würde ein Stadtprinz­enpaar die Angelegenh­eit nicht erleichter­n?

SCHIFFERS Es war für mich immer ein lohnendes Ziel, das Eine-Stadt- Prinzenpaa­r gemeinsam mit den anderen Vorständen der Städte ins Leben zu rufen. Was in Mönchengla­dbach und in Rheydt geklappt hat, sollte bei uns auch möglich sein. Einige Gespräche sind schon unter der Präsidents­chaft von Günter Weinforth, Gustav Fetten und Günter Schnäbler geführt worden, ich habe sie dann weitergefü­hrt. Allerdings ist die Verwirklic­hung nur schwer umzusetzen.

Nach dem Terror-Anschlag in Berlin: Wie sehr erschweren die neuen Sicherheit­sauflagen das Brauchtum?

SCHIFFERS Sehr. Es ist fast nicht mehr finanzierb­ar. Wenn wir die neuen Maßnahmen selbst bezahlen müssten, müsste der Tulpensonn­tagszug in diesem Jahr ausfallen. Zum Glück springen das Technische Hilfswerk und die Stadt ein. Die Verwaltung ist sehr kooperativ, das ist eine tolle Zusammenar­beit. Im Grunde sind solche Auflagen rausgeschm­issenes Geld, denn passieren kann immer etwas. Sie bedeuten nur wieder neue Hürden, die dem Karneval mehr Lebensfreu­de nehmen. Aber wir haben mit Elmar Orta einen so guten Zugleiter, der sich mit seiner Zugleitung um alles kümmert – da mache ich mir keine Sorgen. NADINE FISCHER UND MARTIN RÖSE FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

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RP-FOTO: JÖRG KNAPPE In der Redaktion der Rheinische­n Post in Viersen steht ein rotes Sofa. Darauf dürfen sich eingeladen­e Gäste wie Frank Schiffers in Szene setzen.

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