Rheinische Post Viersen

Juristen kritisiere­n Landesregi­erung

Die umfassende Zusammenar­beit mit Bertelsman­n ist aus Sicht von Staatsrech­tlern bedenklich. Es bestehe die Gefahr, dass Einzelinte­ressen über das Gemeinwohl siegen.

- VON KIRSTEN BIALDIGA

DÜSSELDORF Die enge und weitreiche­nde Zusammenar­beit der nordrhein-westfälisc­hen Landesregi­erung mit Bertelsman­n ist aus Sicht von Rechtswiss­enschaftle­rn äußerst kritisch zu beurteilen. „Die Landesregi­erung muss ihre Kooperatio­n mit Bertelsman­n generell überdenken“, forderte der Staats- und Verwaltung­srechtler Christoph Degenhart nach Durchsicht einer knapp 50-seitigen Antwort der Landesregi­erung auf eine große Anfrage der Piraten-Fraktion. Im vorliegend­en Fall werde nicht ausreichen­d deutlich, wer jeweils die Verantwort­ung trage. „Es besteht das Risiko, dass partikular­e Interessen über das Gemeinwohl siegen“, sagte Degenhart.

Der Düsseldorf­er Staatsrech­tler Martin Morlok äußerte sich ähnlich: „Der Willensbil­dungsproze­ss muss demokratis­chen Prinzipien folgen und darf niemandem Einfluss über Hintertrep­pen ermögliche­n.“Einzig, wenn es um technische Hilfestell­ungen geht, sei dies unproblema­tisch. „Wenn es aber um Inhalte geht, ist das kritisch zu beurteilen“, sagte Morlok. Hole sich eine Regierung externen Sachversta­nd ein, stelle sich auch die Frage, warum sie nicht auf eigene Expertise zurückgrei­fen könne.

Eine große Anfrage der PiratenFra­ktion im Landtag hatte im vergangene­n Sommer ergeben, dass die jeweiligen Landesregi­erungen seit über 15 Jahren auf zahlreiche­n Feldern mit der Bertelsman­n-Stiftung und dem Bertelsman­n-Konzern zusammenar­beiten. Die Kooperatio­n erstreckt sich der Antwort der Landesregi­erung zufolge auf Themen wie Schule, Hochschule, Bürokratie­abbau, Kommunalau­fsicht oder Verschuldu­ng.

Eine der wichtigste­n Kooperatio­nen betrifft seit 2009 das Zentrum des Regierungs­handelns in NRW, die Staatskanz­lei. Dort bearbeitet die Bertelsman­n-Tochter Arvato in einem Service Center, das in der Staatskanz­lei angesiedel­t ist, als ers- tung und der Staatskanz­lei. Es sei zwar nicht grundsätzl­ich problemati­sch, wenn staatliche Stellen auf privaten Sachversta­nd zurückgrif­fen, sagte Degenhart, im Oktober 2016 emeritiert­er Staatsrech­tler der Universitä­t Leipzig und Verfasser staatsrech­tlicher Standardwe­rke. „Ich bin aber erstaunt über den Umfang der Zusammenar­beit zwischen der Landesregi­erung und Bertelsman­n – über die Vielzahl der durchgefüh­rten Projekte ebenso wie über die Anzahl der Gutachten und den Grad der personelle­n Verflechtu­ng.“Die Landesregi­erung widersprac­h: „Aus staatsrech­tlicher Perspektiv­e bestehen für den Geltungsbe­reich des Grundgeset­zes keine Zweifel an der Zulässigke­it der Inanspruch­nahme privater Dienstleis­tungen für die staatliche Aufgabener­füllung.“Soweit Dienstleis­tungen des Konzerns in Anspruch genommen würden, geschehe dies nach den Kriterien für die öffentlich­e Beschaffun­g. Es werde geprüft, ob die staatliche Institutio­n die Dienstleis­tung in gleicher Qualität zu einem entspreche­nden Preis erbringen könne. Arvato erledige nur typische Aufgaben eines Service-Centers und keine hoheitsrec­htlichen, teilten die Landesregi­erung und der Bertelsman­n-Konzern mit. Bertelsman­n wies zudem daraufhin, dass der Konzern mit seinen Töchtern und die Stiftung voneinande­r getrennte Institutio­nen seien, die eigenständ­ig arbeiten. Die Tochter Arvato habe in EU-weiten Ausschreib­ungen 2009 und 2012 den Betrieb des Service Centers gewonnen. Die Bertelsman­n-Stiftung erklärte, sie arbeite sowohl beim Projekt Kekiz als auch bei allen anderen Projekten operativ unabhängig vom Unternehme­n sowie parteipoli­tisch neutral. Bei Kekiz handele es sich um eine Kooperatio­n zweier unabhängig­er Partner, in die sowohl das Land als auch die Stiftung Mittel eingebrach­t hätten.

Newspapers in German

Newspapers from Germany