Rheinische Post Viersen

Der Bertelsman­n-Komplex

- VON KIRSTEN BIALDIGA

DÜSSELDORF Wer in NRW eine Frage an die Landesregi­erung hat und in der Staatskanz­lei anruft, der landet mit hoher Wahrschein­lichkeit erst einmal bei Bertelsman­n. Genauer gesagt, bei Arvato. Die Bertelsman­n-Tochter übernehme „als erster Ansprechpa­rtner eine Wegweiser-Funktion für Bürgerinne­n und Bürger“, teilte das Unternehme­n auf Anfrage mit. 15 Arvato-Bürgerbera­ter in der Staatskanz­lei bearbeiten demnach monatlich rund 20.000 Anrufe, rund 1500 E-Mails sowie rund 350 Faxe und Briefe. Es handele sich nur um vorgeferti­gte wiederkehr­ende Informatio­nen, beschwicht­igt die Landesregi­erung. Die Arvato-Mitarbeite­r hätten keine eigene Entscheidu­ngshoheit.

Wer sich in NRW bei der Landesregi­erung über das Projekt „Kein Kind zurücklass­en!“(Kekiz) informiere­n will, der bekommt jede Menge Broschüren zugeschick­t. Und obwohl es sich um ein zentrales Projekt von Ministerpr­äsidentin Hannelore Kraft (SPD) handelt, taucht die Landesregi­erung auf den Titelblätt­ern der Broschüren nicht auf. Stattdesse­n ziert jede einzelne Broschüre das Logo der Bertelsman­n-Stiftung.

Dass Bertelsman­n die NRW-Landesregi­erung umfassend berät, ist nicht neu, aber vielen unbekannt. Obwohl die Piraten-Fraktion eine große Anfrage an die Landesregi­erung auf den Weg gebracht hat, die im Sommer 2016 in eine lebhafte Landtagsde­batte mündete.

Die enge Kooperatio­n wirft nicht nur aus staatsrech­tlicher Sicht Fragen auf. Die Landesregi­erung strapazier­t damit auch ihre eigenen Prinzipien. Denn 2013 hatte sich Rot-Grün in NRW einen Public-Corporate-Governance-Kodex verordnet. Ziel dieser Leitlinie ist es unter anderem, durch mehr Öffentlich­keit und Nachprüfba­rkeit das Vertrauen in Entscheidu­ngen aus Verwaltung und Politik des Landes als Anteilseig­ner oder Beteiligte­r zu erhöhen.

Zudem orientiert sich das Handeln der Landesregi­erung nach eigenem Bekunden an Kriterien, die unter „Good Governance“zusammenge­fasst sind. Dazu zählen Transparen­z – und die Bekämpfung der Einflussna­hme Dritter. Dem trage die Landesregi­erung Rechnung, indem sie regelmäßig Auskunft über die Inanspruch­nahme von Dienstleis­tungen gebe und die Expertise Dritter, versichert­e die Staatskanz­lei. Unter anderem eben auch durch Antworten zu großen und kleinen Anfragen.

Tatsächlic­h listete die Landesregi­erung in ihrer Antwort auf die große Anfrage der Piraten-Fraktion auf knapp 50 Seiten auf, was es an Kontakten, Kooperatio­nen und Verträgen in den vergangene­n zehn Jahren mit Bertelsman­n gab.

Doch aus Sicht des Staatsrech­tlers Christoph Degenhart bleiben wesentlich­e Fragen offen: „Es ist ein Problem, dass sich diese Zusammenar­beit in einer Grauzone abspielt und daran Vertreter maßgeblich mitwirken, die dem Volk nicht zur Verantwort­ung verpflicht­et sind.“So führt die Landesregi­erung in ihrer Antwort etwa eine Reihe gemeinsame­r Projekte auf, in die dritte Organisati­onen und Unternehme­n einbezogen sind, auf deren Auswahl die Exekutive demnach keinen Einfluss hat.

Die Landesregi­erung weist den Vorwurf einer Grauzone entschiede­n zurück: Öffentlich­e Kontrolle durch das Parlament, wie sie sich unter anderem in kleinen und großen Anfragen widerspieg­ele, oder eine aufmerksam­e Presseland­schaft trügen dazu bei, dass Verantwort­ung auch für ausgelager­te Prozesse im Bewusstsei­n bleibe „und nicht dem rechtsstaa­tlichen Verantwort­ungsgefüge entzogen“würde.

Degenhart jedoch kommt zu dem Ergebnis, dass die Antwort der NRW-Landesregi­erung auf die große Anfrage Transparen­z schuldig bleibe, insbesonde­re auch hinsichtli­ch personelle­r Verflechtu­ngen: „Am problemati­schsten ist es, wenn es personelle Überschnei-

„Es ist ein Problem, dass sich diese Zusammenar­beit in einer Grauzone abspielt“

Christoph Degenhart

Staatsrech­tler

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