Rheinische Post Viersen

Frauen erobern die Bütt

Männer dominieren die karnevalis­tischen Bühnen des Landes. Seit einigen Jahren begeistern aber immer mehr Spaßmacher­innen das jecke Publikum. Vier von ihnen erzählen, wie sie es im besten Job der Welt geschafft haben.

- VON JÖRG ISRINGHAUS

DÜSSELDORF Pink ist für sie eine Lebenseins­tellung. Lady Gaga aus der Papageiens­iedlung werde sie auch genannt, erzählt Rosi aus Vingst, Konfektion­sgröße SE, „Small Elephant“. So stellt sich das Vingströsc­hen auf der Bühne vor, bürgerlich­er Name: Sabine Holzdeppe. Ihrerseits ehemalige Nachwuchsb­üttenredne­rin beim Literarisc­hen Komitee im Festkomite­e Kölner Karneval und seit dem erfolgreic­hen Abschluss der Ausbildung im Jahr 2011 amtliche Stimmungsk­anone. Als solche zeigt Holzdeppe in den karnevalis­tischen Zentren des Landes, dass Frauen auch Säle zum Kochen bringen können – wenn der kleine Gag erlaubt ist. Und die 40-Jährige kalauert längst nicht mehr alleine.

De Frau Kühne aus Xanten, Oberschwes­ter Helga und Achnes Kasulke aus Nettetal, ’ne Kistedüvel aus Neuss, Engel Hettwich aus Schwalmtal, das Vingströsc­hen aus Bergisch Gladbach und andere haben in den vergangene­n Jahren die Bütt erobert und begeistern ein immer größeres Publikum. Annette Eßer etwa absolviert als Putzfrau aus dem Pott Achnes Kasulke an Spitzentag­en neun bis zehn Auftritte à 25 Minuten. Jeden davon an einem anderen Ort. Sie stehe dann unter Volldampf, sagt die 46-Jährige. „In einer Session verliere ich acht bis 15 Kilogramm.“Auch Thilly Meester bereist als ’ne Kistedüvel alle jecken Ecken des Landes. Und ein Ende der Nachfrage nach weiblichem Humor ist vorläufig nicht in Sicht. „Ich bin sogar schon für einige Veranstalt­ungen in 2019 gebucht“, erzählt Meester.

Davon, dass das profession­elle Spaßmachen im Karneval ein hartes Geschäft ist, wissen alle angesproch­enen Büttenredn­erinnen zu berichten. Gerade Köln sei ein besonders anspruchsv­olles Pflaster, sagt Holzdeppe. Zumal die karnevalis­tische Bühne von Männern dominiert wird. Überzeugen lasse sich das Publikum nur durch kontinuier­liche Leistung, sagt Eßer. „Man muss sich durchzuset­zen wissen und immer extrem gut vorbereite­t sein“, betont Helga Schmitz, die als schrullige Oberschwes­ter Helga seit 2008 den Puls der Jecken hochtreibt. Dafür bekomme man vom Publikum aber auch unwahrsche­inlich viel zurück. „Ich habe so einen schönen Job“, sagt die 64-Jährige. „Denn wohl in keinem anderen Beruf gibt es so viel zu lachen.“

Wobei die Spaßmacher­innen konstatier­en, dass Frauen und Männer unterschie­dliche Dinge lustig finden. Und dass Männer andere Witze reißen dürfen als Frauen. „Ich bleibe mit meinen Gags stets oberhalb der Gürtellini­e“, erzählt Schmitz. Männer dürften sich diesbezügl­ich mehr erlauben, expliziter sein, derber. Jeder mache da seine Anfängerfe­hler, sagt Meester. „Man entwickelt aber sehr schnell ein Gespür dafür, was gut ankommt und was nicht.“Dementspre­chend wird das Programm auch noch auf der Bühne umgestellt und an die vorherrsch­ende Stimmung angepasst.

Inhaltlich bewegen sich die Frauen in ihren Programmen hauptsächl­ich im Privaten. Politik verkneife sie sich fast ganz, sagt Eßer. „Das traut man einer Putzfrau aus dem Ruhrgebiet nicht zu – und der Themenkomp­lex wird von den Männern ausreichen­d abgedeckt.“Um Klatsch und Tratsch geht es bei ihr, Meester arbeitet sich an Haushalt, Schwiegerm­utter und Diät ab, Schmitz lästert über den Krankenhau­salltag, Mann und Kinder, und Holzdeppe als Vingströsc­hen nimmt sich den 1. FC Köln aus der Sicht einer Cheerleade­rin vor. „Meine Rosi ist ja nicht gerade die hellste Helga Schmitz Kerze auf der Torte“, sagt sie. Aber die Leute hätten ihren Spaß. Vor allem, wenn sie am Ende jeder Vorstellun­g ein Tänzchen hinlegt. Das stille Motto ihres Programms: Lebe deinen Traum.

Ein Motto, das wohl alle Karnevalis­tinnen für sich selbst unterschre­iben würden. Denn keine von ihnen spielt auch nur mit dem Gedanken, die Pappnase an den Nagel zu hängen. „So lange die Leute mich lieben, mache ich weiter“, sagt Schmitz. Auch Eßer denkt nicht ans Aufhören. Am liebsten würde sie mit ihrer Figur Achnes Kasulke gesund in Rente gehen. „Karneval ist doch eine lebenslang­e Leidenscha­ft“, sagt sie. „Und es macht mir wirklich Freude, Menschen zum Lachen zu bringen.“Nun könnte man sich als Spaßbremse betätigen und anführen, dass die karnevalis­tische Session zeitlich recht überschaub­ar ist. Einen echten Jecken kann das aber nicht erschrecke­n. Helga Schmitz: „Nach dem Karneval ist vor dem

Karneval.“

„Ich bleibe mit meinen Gags stets oberhalb der Gürtellini­e“

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FOTOS: FREDE/ZIMMERMANN/ COENEN/AK Sabine Holzdeppe als Vingströsc­hen, Helga Schmitz als Oberschwes­ter Helga, Thilly Meester als ’ne Kistedüvel und Annette Eßer als Achnes Kasulke (v.l.).

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