Rheinische Post Viersen

Eltern stellen Anzeige gegen Betreuer

Weil ihre behinderte Tochter von zwei Betreuern in einer Behinderte­nwerkstatt in Leverkusen gedemütigt wurde, wollen die Eltern rechtliche Schritte einleiten. Eine RTL-Sendung hatte die Erniedrigu­ngen aufgedeckt.

- VON SEBASTIAN FUHRMANN UND SASKIA NOTHOFER

LEVERKUSEN Nach den Enthüllung­en der RTL-Sendung „Team Wallraff“über Missstände in der Behinderte­nwerkstatt der Lebenshilf­e in Leverkusen erheben die Eltern einer betroffene­n behinderte­n Frau schwere Vorwürfe gegen den Träger. „Mehrere Personen müssen tatenlos zugesehen haben, das jedenfalls ergibt sich aus dem Filmbeitra­g“, sagen die Eltern, die ihren Namen nicht nennen möchten. Gegen die Lebenshilf­e und die beiden von der Arbeit freigestel­lten Betreuer, die ihre Tochter aufs Schwerste gedemütigt haben sollen, wollen die Eltern nun rechtlich vorgehen und Strafanzei­ge stellen. „Die Überwachun­g des Personals funktionie­rt nicht. Selbst wenn die Leitung integer sein sollte, hat sie die Organisati­on nicht im Griff“, sagt Thomas Nolte, der Anwalt der Familie. „Wir fordern eine lückenlose Aufklärung und weitere Konsequenz­en.“

Anders als etwa Altenheime oder Wohnheime werden Behinderte­nwerkstätt­en nicht von einer externen Institutio­n überprüft. „Wohnheime werden von den kommunal organisier­ten Heimaufsic­hten im Schnitt einmal pro Jahr unangekünd­igt kontrollie­rt“, sagt Christian Dopheide, theologisc­her Vorstand der Behinderte­neinrichtu­ng Hephata aus Mönchengla­dbach. Dabei würden die Mitarbeite­r unter die Lupe genommen und zum Beispiel die Hilfspläne für die Bewohner und die gesamte Organisati­onsstruktu­r der Heime überprüft. Die Werkstätte­n dagegen gälten als normale Arbeitsstä­tten, in denen lediglich das übliche Arbeitssch­utzrecht greife.

RTL hatte am Montag in der Sendung „Team Wallraff“Szenen gezeigt, in denen eine schwerbehi­nderte Frau in einer Leverkusen­er Werkstatt von zwei Betreuern gede- mütigt wird. Die beiden Betreuer wurden vor zwei Tagen freigestel­lt, die gefilmten Szenen liegen aber teils mehr als ein Jahr zurück. Nach Angaben der Familie waren die Namen der beiden nun freigestel­lten Betreuer der Werkstattl­eitung schon Anfang 2016 bekannt.

Die Familie hatte einen anonymen Anruf von einer Frau erhalten, die sich als Freundin einer Mitarbeite­rin der Einrichtun­g ausgab. Der Anruf kam in Wahrheit von RTL. „Die Anruferin schilderte, dass es unserer Tochter dort nicht gut gehe. Wir haben unmittelba­r reagiert“, sagt der Vater. In dem anonymen Gespräch seien nicht alle Details genannt worden, die nun bekannt wurden. Die Eltern vereinbart­en dennoch einen Termin mit der Werkstattl­eitung. Das Gespräch sei angenehm verlaufen. „Wir haben die Werkstattl­eitung beauftragt, Maßnahmen einzuleite­n. Bald darauf haben die beiden nun freigestel­lten Mitarbeite­r zusätzlich um ein Gespräch gebeten“, so der Vater. „Dort sind wir von den beiden belogen worden.“Man habe der Familie versichert, alles laufe ordentlich. Die Familie glaubte das, denn die Enthüllung­saufnahmen hatte sie bis dahin nicht gesehen. Die sahen die Eltern erst jetzt im Fernsehen. Wenige Stunden zuvor hatte der Sender sie telefonisc­h informiert.

Die Lebenshilf­e sagt, die beiden Mitarbeite­r seien bis zuletzt unauffälli­g gewesen. Man habe sie erst jetzt freistelle­n können, weil RTL den Vorfall nicht früher offiziell mitgeteilt habe. Konfrontie­rt mit den Vorwürfen der Familie bekräftigt­e Geschäftsf­ührer Harald Mohr gestern, er habe im Januar 2017 durch RTL Kenntnis über die Vorgänge bekommen, die Namen der Mitarbeite­r kenne er seit Februar. Mohr bestätigte, dass es Anfang 2016 ein Gespräch der Eltern mit dem Werkstattl­eiter gab. Genaueres habe er aber erst im Januar erfahren.

Dass RTL die Heimleitun­g erst über ein Jahr nach den Aufnahmen mit den Beobachtun­gen konfrontie­rt haben soll, kritisiert­e Mohr schon am Dienstag. Hätte der Sender nicht weitere Misshandlu­ngen durch eine frühere Meldung verhindern können beziehungs­weise müssen? Nach Angaben des Rechtswiss­enschaftle­rs Thomas Hoeren von der Universitä­t Münster hat RTL sich nicht strafbar gemacht. Wenn überhaupt sei dem Sender unterlasse­ne Hilfeleist­ung vorzuwerfe­n. Aber auch nur dann, wenn sich die betroffene­n Menschen in einer akuten Notlage befunden hätten. „In den gezeigten Aufnahmen war das aber nicht der Fall“, so der Rechtswiss­enschaftle­r. Nur wenn unveröffen­tlichte Aufnahmen anderes zeigten, sei der Fall neu zu betrachten. Der Düsseldorf­er Anwalt Udo Vetter bestätigt das: „Man kann bei den ausgestrah­lten Aufnahmen rein rechtlich nicht direkt von Misshandlu­ngen sprechen.“Eher handle es sich um Respektlos­igkeit und fehlende soziale Kompetenze­n der nun freigestel­lten Betreuer.

Der Sozialverb­and NRW hofft, dass von dem Einzelfall nicht auf die Masse geschlosse­n wird. „Das Geschehene macht betroffen, aber deshalb sind nicht alle Werkstätte­n schlecht“, sagt Sprecher Matthias Veit. Dieser Aspekt sei in der Sendung zu kurz gekommen. „Es war einfach nur reißerisch“, so Veit.

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SCREENSHOT: RTL Die RTL-Sendung „Team Wallraff“hatte Missstände in der Behinderte­nwerkstatt der Lebenshilf­e in Leverkusen aufgedeckt. Die Eltern einer betroffene­n behinderte­n Frau gehen nun in die Offensive.

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