Rheinische Post Viersen

Thyssenkru­pps Ende mit Schrecken in Brasilien

Der Essener Industriek­onzern verkauft sein Stahlwerk in Santa Cruz für 1,5 Milliarden Euro an den Luxemburge­r Konzern Ternium.

- VON MAXIMILIAN PLÜCK

ESSEN Der gestrige Tag markiert das Ende des Amerika-Abenteuers, unter dessen Folgen Thyssenkru­pp noch mehrere Jahre ächzen wird. Das Stahlwerk in Rio de Janeiros Stadtteil Santa Cruz, 70 Kilometer von der Copacabana entfernt, wird rückwirken­d zum September 2016 an den Stahlkonze­rn Ternium verkauft. Der Preis beträgt nach Angaben von Vorstandsc­hef Heinrich Hiesinger 1,5 Milliarden Euro – deutlich weniger, als für das Werk noch in den Büchern steht. Der Konzern muss deshalb 900 Millionen Euro abschreibe­n – eine immense Belastung für das Ergebnis und das bedenklich geschrumpf­te Eigenkapit­al.

Die Hoffnungen, die die Thyssenkru­pp-Führung im Jahr 2004 an das Projekt knüpfte, waren immens: Bis zu 30 Euro je Tonne sollten dank der niedrigere­n brasiliani­schen Löhne eingespart werden. 1,3 Milliarden Euro veranschla­gte das Management für den Bau, Produktion­sstart sollte Mitte 2008 sein, die Kapazität sollte fünf Millionen Tonnen pro Jahr betragen. Flankiert wurde das Mega-Projekt durch den 2006 verkündete­n Bau eines Stahlwerks im US-Bundesstaa­t Alabama.

Doch die Südamerika-Fantasien wurden zum Albtraum: explodiere­nde Kosten, Verzögerun­g beim Bau, anziehende Löhne, sowie ein Einbruch der Stahlnachf­rage während der Weltwirtsc­haftskrise. Insgesamt verbrannte der Konzern acht Milliarden Euro mit Steel Americas. Als Thyssenkru­pp-Chef Ekkehard Schulz die Geschäfte 2011 an Hiesinger übergab, frohlockte der Neue zwar noch, die amerikanis­che Stahlspart­e sei „kurz- und mittelfris­tig der größte Werttreibe­r für Thyssenkru­pp“. Doch schon wenig später stellte er Steel Americas auf den Prüfstand. 2014 verkaufte er das Alabama-Werk an ArcelorMit­tal und Nippon Steel, das ungeliebte Brasilien-Projekt CSA wurde er aber wegen langfristi­ger Verbindung­en zum Miteigner Vale nicht los. Erst im vergangene­n Jahr kauften die Essener die Brasiliane­r für einen symbolisch­en Dollar aus CSA heraus.

Trotz des nun drohenden Verlustes zeigten sich Anleger und Analysten erleichter­t: „Das Timing für den Verkauf ist sehr gut“, sagte David Varga, Stahl-Analyst beim Bankhaus Metzler. Thyssenkru­pp profitiere von dem verbessert­en Marktumfel­d und habe sehr viel mehr erzielen können, als noch vor einem Jahr möglich gewesen wäre. „Zudem hätte CSA im zweiten und dritten Quartal aufgrund der niedrigere­n Differenz zwischen den für CSA relevanten Warmbandpr­eisen in den USA und den Rohstoffko­sten wohl deutlich weniger verdient als im starken ersten Quartal“, so Varga.

Die Thyssenkru­pp-Führung hatte aus ihrem Wunsch, CSA zu verkaufen, schon lange kein Hehl mehr gemacht. Auch deshalb hielt sich der Schock wegen der drohenden Belastunge­n in Grenzen. „Es bestand zuletzt lediglich die Frage, wie hoch die Abschreibu­ngen ausfallen würden“, sagte Varga. „Durch den ordentlich­en Verkaufser­lös sind die Abschreibu­ngen deutlich niedriger als erwartet.“Die Eigenkapit­alquote werde kurzfristi­g unter Druck geraten, allerdings reduzierte­n die frei gewordenen Mittel die Nettoversc­huldung. „Dem bisherigen Ausblick des Management­s zufolge könnte diese bis zum Ende des laufenden Geschäftsj­ahres von derzeit 5,4 Milliarden Euro um mehr als drei Milliarden Euro reduziert werden“, vermutet der Analyst. Das verschaffe Spielraum für Sondertilg­ungen oder weitere Investitio­nen ins Industrieg­ütergeschä­ft. „Und da ist die Stoßrichtu­ng klar: Weg vom volatilen Stahlgesch­äft, hin zu den besser planbaren und weniger kapitalbin­denden Industrieg­ütern. Das ist ohnehin ein Spielfeld, auf dem der frühere Siemens-Manager Hiesinger seine Expertise ausspielen kann.“Der Standort Duisburg könnte Varga zufolge übrigens leicht vom CSA-Verkauf profitiere­n, weil nach Bedarf die Produktion etwas höher gefahren werden könne.

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FOTO: THYSSENKRU­PP Die Abkürzung CSA steht für Companhia Siderúrgic­a do Atlântico. Das Werk liegt in der Bucht von Rio.

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