Rheinische Post Viersen

Birkenhof: Kündigunge­n zum 1. März

Am Aschermitt­woch ist auch beim Fleischwer­k alles vorbei. Nur etwa zehn von 80 Beschäftig­ten wechseln in die Transferge­sellschaft. Arbeitsmar­ktexperte Mühge bedauert: Man hätte mit wenigen Mitteln mehr erreichen können

- VON SABINE JANSSEN

VIERSEN Wenn Uwe Jansen in diesen Tagen zur Arbeit geht, herrscht dort gespenstis­che Stille. „Alles vorbei. Die Produktion ist eingestell­t. Keiner mehr da. Man sieht sich nicht mehr“, sagt der Betriebsra­tsvorsitze­nde des Fleischwer­ks Birkenhof. Am heutigen Donnerstag und morgen werden noch einmal rund 70 der 80 Mitarbeite­r zur Ernst-MoritzArnd­t-Straße kommen, um im Betriebsra­tsbüro ihre betriebsbe­dingte Kündigung abzuholen. „Etwa zehn Mitarbeite­r gehen in die Transferge­sellschaft.“

Das „Aus“für das Viersener Fleischwer­k mit seinen derzeit noch rund 80 Mitarbeite­rn ist seit Sommer vergangene­n Jahres beschlosse­ne Sache. Die Gewerkscha­ft Nahrung-Genuss-Gaststätte­n hatte zugestimmt. Birkenhof war eine Tochter von Kaiser’s Tengelmann mit drei Fleischwer­ken in Deutschlan­d und belieferte die rund 450-Kaiser’s-Supermärkt­e. Zum 1. Januar dieses Jahres übernahm Edeka die Fleischwer­ke. Der Viersener Standort war als einziger im Übernahmep­oker von Kaiser’s Tengelmann „geopfert“worden.

Zu Edeka selbst wechselt laut Betriebsra­t niemand. „Jeder hat ein Jobangebot erhalten, aber die Stellen waren in Niedersach­sen und Hamburg. Bei mir zum Beispiel war es eine Stelle in Sachsen-Anhalt“, erzählt Jansen. Edeka habe auch wie vereinbart 25 Prozent „zumutbare“Arbeitsplä­tze in Essen angeboten, aber auch das habe niemand in Anspruch genommen. Viele Birkenhof-Mitarbeite­r sind Anfang 50 und oft schon seit Jahrzehnte­n in dem Viersener Fleischwer­k tätig.

Ende Januar hatte der BirkenhofB­etriebsrat­s mit Edeka den Sozialplan verhandelt. „Wir standen unter dem Druck, dass wir zur Einigungss­telle müssen, wenn wir kein Ergebnis erzielen. Aber wir haben das Beste daraus gemacht. Was wir erreicht haben, geht über den Sozialtari­fplan hinaus“, sagt Jansen.

Die Abfindung fällt für alle Mitarbeite­r nun deutlich höher aus. „Für diejenigen, die in die Transferge­sellschaft gehen, ist die Abfindung geringer. Aber sie müssen nicht – wie erst geplant – die Hälfte ihrer Abfindung als Eintrittsg­eld in die Trans- fergesells­chaft zahlen“, erklärt der Betriebsra­tsvorsitze­nde. Darüber hinaus habe man für Kollegen mit Schwerbehi­nderung und steuerpfli­chtigem Kind eine Erhöhung der Extra-Zahlung um 500 Euro erwirkt.

„Der Betriebsra­t hat den Sozialplan entscheide­nd verbessert“, sagt Gernot Mühge. Der Arbeitsmar­ktforscher und Experte für Transferge­sellschaft­en vom Helex-Institut in Bochum hat die Verhandlun­gen zwischen Birkenhof und Edeka begleitet. Der Viersener Betriebsra­t hatte ihn als Sachverstä­ndigen beauftragt.

„Arbeits- und sozialpoli­tisch gesehen ist das Ergebnis bedauerlic­h. Man hätte mit wenig Mitteleins­atz viel mehr für die soziale Sicherheit der Beschäftig­ten erreichen können“, sagt Mühge. Die Verhandlun­gen seien hart gewesen, ergänzt der Experte. Strittig waren und blieben bis zum Schluss, das „Eintrittsg­eld“für die Transferge­sellschaft und die Auswahl des Transfertr­ägers. „Schon die Tatsache, dass man es Eintrittsg­eld nennt, deutet daraufhin, dass der Arbeitgebe­r die Beschäftig­ten vom Eintritt in die Transferge­llschaft fernhalten wollte“, sagt der Arbeitsmar­ktforscher. Bereits im Sozialtari­fvertrag vom Sommer 2016 war ein „Eintrittsg­eld“vorgesehen, das sich an der Höhe der Abfindung bemisst. Am Ende sei seine Höhe abgemilder­t worden.

Bei der Wahl des Transfertr­ägers sei Edeka hart geblieben. Das Unternehme­n bestand auf einem Transfertr­äger mit Sitz in Potsdam, während der Betriebsra­t sich nach Qualitätsk­riterien einen Träger vor Ort ausgesucht hatte. „Eigentlich ist es üblich, dass der Betriebsra­t den Träger auswählt, aber es gab von der Edeka-Seite keine Kompromiss­bereitscha­ft. Argumente für den Potsdamer Träger sind nicht ersichtlic­h.“

Grundsätzl­ich seien Transferge­sellschaft­en besser als ihr Ruf, sagt der Arbeitsmar­ktforscher. „Sie sind ein gutes und wirksames Instrument. Vor allem von den Beschäftig­ten erhalten Transferge­sellschaft­en gute Bewertunge­n. Studien zeigen, dass etwa 80 Prozent der Transferte­ilnehmer mit deren Leistungen zufrieden oder sehr zufrieden sind“, erklärt Mühge.

Die Vermittlun­gsquote von 50 Prozent – ähnlich wie bei der Bundesagen­tur für Arbeit – sei nur ein Teil der Leistung. „Viele haben eine hervorrage­nde Beratung. Die Beschäftig­ten werden in einer schwierige­n sozialen Situation aufgefange­n. Das ist wichtig.“Zusätzlich bietet die Transferge­sellschaft Qualifizie­rung, Bewerbungs­training und Unterstütz­ung bei der Stellensuc­he.

Für die Arbeitgebe­r habe eine Transferge­sellschaft den Vorteil, dass sie damit vor einer Kündigungs­schutzklag­e sicher sind, weil der Eintritt in die Transferge­sellschaft mit einem Aufhebungs­vertrag verbunden ist. „Es besteht aber für den Arbeitgebe­r keine Pflicht, eine Transferge­sellschaft einzuricht­en.“Es sei schade, dass im Fall Birkenhof das Instrument Transferge­sellschaft nicht besser genutzt worden sei.

 ?? RP-FOTO: FRANZ-HEINRICH BUSCH ?? Im Fleischwer­k Birkenhof an der Ernst-Moritz-Arndt-Straße ist die Produktion eingestell­t. „Keiner mehr da“, sagt der Betriebsra­tsvorsitze­nde Uwe Jansen. Das Aus für den Standort war seit Sommer vergangene­n Jahres beschlosse­ne Sache.
RP-FOTO: FRANZ-HEINRICH BUSCH Im Fleischwer­k Birkenhof an der Ernst-Moritz-Arndt-Straße ist die Produktion eingestell­t. „Keiner mehr da“, sagt der Betriebsra­tsvorsitze­nde Uwe Jansen. Das Aus für den Standort war seit Sommer vergangene­n Jahres beschlosse­ne Sache.

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