Rheinische Post Viersen

Schulz macht Dampf, und die CDU badet lau

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Die CDU wurde von einem Phänomen kalt erwischt, das dereinst als MartinSchu­lz-EffektPoli­tikwissens­chaftler beschäftig­en wird. Und die Sozialdemo­kraten sind auf einmal heiß. Bevor ihr Platzhirsc­h Martin mit dem nicht bloß gespielten Herausford­erer-Habitus auf die Lichtung trat, schienen viele selig schlummern­de Christdemo­kraten fest davon überzeugt zu sein, dass es „Mutti“Merkel schon wieder richten, dass man nach der Bundestags­wahl im September Kanzlerinn­en-Partei bleiben werde und dass sogar bei der nordrhein-westfälisc­hen Landtagswa­hl im Mai Siegchance­n bestünden. Für die CDU in NRW wird die Zeit knapp, weil der MartinSchu­lz-Zug weiter rollt und unter aufgekratz­ten, sich wie wachgeküss­t fühlenden Passagiere­n sogar die schlechte Leistung der Regierung Kraft vergessen macht.

Sie fragen: Wie kann so etwas sein? Antwort: Das ist Politik, auf

Der neue Hoffnungst­räger der SPD macht der CDU Angst – besonders in NRW, wo in Kürze gewählt wird. In der Not entdecken die Christdemo­kraten ihre Konservati­ven.

Emotionen kommt es mehr an als auf Landesbila­nzen. Wer in dem glückliche­n Gefühl auf den brausenden Martin-Schulz-Zug aufspringt, nun beginne eine herrliche Fahrt ins Blaue, lässt sich ungern von roten Zahlen die Laune verderben.

Die CDU in NRW darf wohl am Ende froh sein, wenn sie nach der Wahl am 14. Mai eine Anstellung als Zugbegleit­erin für den Regionalzu­g Aachen-Bielefeld bekommt. Der Lokführers­tand wird ihr höchstwahr­scheinlich versperrt bleiben.

Die Not scheint so groß zu sein, dass Spitzenkan­didat Armin Laschet plötzlich den überall aus dem Boden sprießende­n „Konservati­ven Kreisen“in der CDU die Ehre seiner Zuwendung und seines Interesses erweist. Laschet, der die Achsenvers­chiebung der Partei unter Angela Merkel über Jahre hinweg als besonders treuer Knappe begleitet hat, korrigiert seine Fehler anscheinen­d, aber wohl kaum aus tiefer Überzeugun­g. Wenn der Berliner Publizist Hugo Müller-Vogg über den leider im Herbst von der aktiven Politik Abschied nehmenden AusnahmeCh­ristdemokr­aten Wolfgang Bosbach aus dem Rheinisch-Bergischen schreibt, dieser sei enttäuscht, dass seine Partei Konservati­ve wie ihn eher dulde als stolz in ihren Reihen habe, trifft Müller-Vogg einen Nerv.

Während Schulz kampfeslus­tig und geschickt dabei ist, abseits stehende Menschen jeden Alters zurückzuge­winnen, die von der Sozialdemo­kratie enttäuscht waren, sind vergleichb­are Versuche der CDUBundesv­orsitzende­n nicht erkennbar und beim CDU-Landeschef halbherzig. Warum nur fällt einem bei dem einen oder anderen Christdemo­kraten der legendäre Verriss Herbert Wehners 1973 über den müde gewordenen Willy Brandt ein: „Der Herr badet gern lau“? Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

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