Rheinische Post Viersen

Kommunen gegen Gratis-Kitas

Die NRW-SPD plant, die Kinderbetr­euung 30 Stunden in der Woche beitragsfr­ei anzubieten. Doch Kommunen und Träger lehnen das ab, weil sie Mehrkosten und Qualitätsv­erluste befürchten.

- VON KIRSTEN BIALDIGA UND MARLEN KESS

DÜSSELDORF Der SPD-Vorschlag beitragsfr­eier Kitas in Kernzeiten stößt in den Städten und Gemeinden des Landes auf Ablehnung, selbst wenn das Land die Kosten dafür tragen würde. „Es besteht keine Notwendigk­eit, auf Elternbeit­räge zu verzichten“, sagte ein Sprecher des Städte- und Gemeindebu­ndes NRW. Was die Eltern zahlen müssten, sei ohnehin entspreche­nd der Einkommens­höhe gestaffelt. Bedürftige Familien seien auch jetzt schon weitgehend freigestel­lt. Die Eltern selbst würden die Kita-Beiträge auch gar nicht infrage stellen. „Warum verzichten wir ohne Not auf einen dreistelli­gen Millionenb­etrag für das System der Kita-Finanzieru­ng?“, ergänzte der Sprecher.

Die NRW-SPD hatte am vergangene­n Wochenende ihr Wahlprogra­mm vorgelegt und angekündig­t, dass für eine Kern-Betreuungs­zeit von 30 Stunden künftig keine KitaBeiträ­ge mehr gezahlt werden müssen. Alle darüber hinausgehe­nden Gebühren sollen landesweit vereinheit­licht werden. Die Kosten für die Kita-Reform beziffern die Sozialdemo­kraten auf über eine Milliarde Euro. Auf dem Parteitag der NRWSPD hatte Spitzenkan­didatin Hannelore Kraft für Gratis-Kitas damit geworben, dass dies die Familien mehr als jede Steuerrefo­rm der vergangene­n 20 Jahre entlaste.

Auch aus den Kommunen selbst kommt Kritik. „Es gibt Eltern, die die Beiträge ohne Probleme zahlen können – und wollen“, sagte Sonja Leidemann, Bürgermeis­terin der 100.000-Einwohner-Stadt Witten. Sozialleis­tungen mit der Gießkanne auszuschüt­ten, sei keine Lösung, sagte Leidemann, die selbst SPDMitglie­d ist. „Außerdem bringt es nicht viel, wenn nur 30 Stunden beitragsfr­ei sind“, erklärte der Bürgermeis­ter der Stadt Erkrath, Christoph Schultz (CDU): „Der Vorschlag ist schlecht durchdacht, schließlic­h wollen viele Eltern ihre Kinder 35 bis 45 Stunden betreut wissen.“

Leidemann rechnet vor, dass die Elternbeit­räge in ihrer Stadt nur durchschni­ttlich elf Prozent der tatsächlic­hen Kosten eines Kita-Platzes decken. Dabei seien die Plätze für unter Dreijährig­e doppelt so teuer wie die Plätze für Drei- bis Sechs- jährige. Ein solcher U-3-Platz koste 11.465 Euro im Jahr, 36 Prozent davon übernimmt das Land.

Der Städte- und Gemeindebu­nd NRW befürchtet, dass finanziell schwache Kommunen auch mit der neuen Regelung nicht auf ihre Kosten kämen. „Ich sehe nur Vorteile, es beim alten System zu belassen“, sagte der Verbandssp­recher. Zumal die Eltern nach der neuen Regelung als Steuerzahl­er ja auch zur Finan- zierung der Kitas herangezog­en werden. „Das ist das Prinzip: linke Tasche, rechte Tasche.“

Viele Kitaträger befürchten zudem, dass mit dem Wegfall der Beiträge die Qualität der Betreuung nachlassen könnte. „Wenn mehr Geld in Kitas fließen soll, dann sollte das für die Qualitätsv­erbesserun­g eingesetzt werden“, sagte Jürgen Otto, Geschäftsf­ührer der Arbeiterwo­hlfahrt NRW, die über 700 Kitas im Land betreibt. Klaus Eberl, Oberkirche­nrat der Evangelisc­hen Kirche im Rheinland, Träger von 802 Kitas mit über 45.000 Plätzen, wies zudem darauf hin, dass die Beitragsfr­eiheit auf Kosten der Träger gehen könnte: „Wir haben jetzt schon Probleme, die Betreuungs­qualität aufrechtzu­erhalten.“

Wenn Kitas wie Schulen gebührenfr­ei wären, könnte das auch der erste Schritt zu einer Kita-Pflicht sein, meinte der Sprecher des NRWStädte- und Gemeindebu­nds. „Alle zahlen Steuern für Schulen – und alle müssen hingehen.“Bei den Kitas aber gebe es Wahlfreihe­it, obwohl alle zahlten. „Das passt nicht zusammen.“

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