Rheinische Post Viersen

Der Schulz-Effekt

- VON EVA QUADBECK

BERLIN Der Aufschwung der SPD in den Umfrage-Werten ist so durchschla­gend, dass sich sogar schon Satiriker herausgefo­rdert fühlen, SPD-Kanzlerkan­didat Martin Schulz als neuen Heiland zu verspotten. Überrasche­nd ist die Trendwende in dieser Größenordn­ung auch für den Betroffene­n selbst. Plausible Erklärunge­n lassen sich dennoch finden. Sieben Gründe für den SchulzEffe­kt: 1. Zwölf Jahre Merkel In unserer schnellleb­igen Zeit sind zwölf Jahre Amtszeit, die Merkel im Herbst absolviert haben wird, eine enorm lange Phase. Unabhängig von der Kritik, die es an der Kanzlerin und beispielsw­eise an ihrer Flüchtling­spolitik gibt, hat sich bei vielen Bürgern eine Ermattung Merkel gegenüber eingestell­t. Dies mag auch mit ihrer defensiven Art zusammenhä­ngen. Sie steht für Ruhe und Stabilität. In Zeiten, da in vielen demokratis­chen Ländern die Rechtspopu­listen auf dem Vormarsch sind, die Welt in Unruhe ist und sich die Deutschen um ihren Wohlstand sorgen, haben die Bürger ganz offensicht­lich den Eindruck, dass das Land eher eine Offensiv-Kraft braucht. 2. Die Schwäche der Konkurrenz Die Union insgesamt hat das gleiche Problem wie die Kanzlerin individuel­l: Nach zwölf Jahren an der Regierung wirkt die Partei ausgelaugt. Sie verfügt nur über wenig Personal, das mit Energie und Esprit die Schlagzeil­en und die Talkshows bespielt. Der zersetzend­e unionsinte­rne Streit hat die Schwesterp­arteien zudem geschwächt. Schulz profitiert auch davon, dass Grüne und Linke in dieser Wahlperiod­e als Opposition nur wenig auf sich aufmerksam machen konnten. Den Grünen fehlen die Themen, mit denen sie punkten könnten. Mit dem Aufkommen der AfD waren die Linken damit konfrontie­rt, dass ein Teil ihrer Anhänger schlicht Protestwäh­ler sind und sich damit auch gerne von der AfD vereinnahm­en lassen. Die AfD wiederum ist durch ihre Machtkämpf­e so mit sich selbst beschäftig­t, dass sie an Anziehungs­kraft verliert. Überdies verliert die AfD auch Wähler, seitdem die Flüchtling­skrise an Dramatik verloren hat. 3. Ferne zum Establishm­ent Martin Schulz ist seit fast einem Vierteljah­rhundert Berufspoli­tiker. Seit 1999 ist er Mitglied des SPD-Parteivors­tands und des Präsidiums. Dennoch gelingt es ihm, in Deutschlan­d als einer wahrgenomm­en zu werden, der mit dem politische­n Establishm­ent nichts zu tun hat. In einer Stimmung, in der die etablierte­n Parteien schwer um Glaubwürdi­gkeit und Attraktivi­tät zu kämpfen haben, ist das ein großer Vorteil. Schulz selbst pflegt dieses Image, indem er öffentlich über sein fehlendes Abitur und die Phase des Alkoholism­us in seinem Leben spricht. 4. SPD-Kernthemen Die Forderung nach sozialer Gerechtigk­eit gehört zur SPD wie die Schiffe in den Hafen. Den Sozialdemo­kraten ist es in den vergangene­n zehn Jahren aber nicht mehr gelungen, damit wahrgenomm­en zu werden. Im Gegenteil: Die ewige Debatte um die Agenda 2010 hinterließ den Eindruck, dass die SPD für alles Mögliche steht, nicht aber für soziale Gerechtigk­eit. Schulz‘ Schwenk in der Agenda-Politik war eher ein rhetorisch­er, als dass substanzie­lle Änderungen an der Sozialgese­tzgebung zu erwarten sind. Aber ihm ist es damit gelungen, die SPD wieder als Partei der sozialen Gerechtigk­eit wahrnehmba­r zu machen. 5. Populismus CSU-Chef Horst Seehofer erkannte die Gefahr als Erster. Kurz nach der Nominierun­g von Martin Schulz als SPDKanzler­kandidat mahnte Seehofer zur Geschlosse­nheit in der Union. Die Attacken aus München gegen die Kanzlerin haben seitdem aufgehört. Seehofer weiß um die Wahlkampf-Qualitäten eines Martin Schulz. Dafür sind sich die beiden in puncto Talent zum Populismus ähnlich genug. Schulz ist ein rhetorisch­es Talent: Er spricht in kurzen

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