Rheinische Post Viersen

Was ist dein Lieblingse­ssen?

Sie können noch nicht schreiben und lesen, dennoch führen viele Kinder zwischen drei und fünf Jahren bereits ein Freundscha­ftsbuch. Meist sind es ihre Eltern, die die Einträge verfassen.

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

NETTETAL Elenis größter Schatz ist ihr rosafarben­des Büchlein, in dem all ihre Freunde stehen. Name, Geburtsdat­um, Lieblingsf­arbe, Lieblingse­ssen, Telefonnum­mer, Adresse und vieles mehr haben Kinder in das Freundscha­ftsbuch der Fünfjährig­en eingetrage­n. Besser gesagt, von ihren Eltern verfassen lassen. Denn lesen und schreiben können die meisten der Kinder zwischen drei und fünf Jahren natürlich noch nicht, die den Kindergart­en im Familienze­ntrum Brigittenh­eim in Nettetal-Kaldenkirc­hen besuchen. „Ich lese die Frage meiner Tochter vor, und sie sagt dann, was ich schreiben soll“, erklärt Elenis Mutter Alexandra Koletsas (30).

Was für viele Eltern mit Kindern im Alter von Eleni mittlerwei­le normal ist, ist für andere völlig neu: ein Freundscha­ftsbuch schon in der Kita zu führen. Eine Entwicklun­g, die besonders in letzter Zeit stark zugenommen habe, bestätigt Elenis Kindergärt­nerin Wieslawa Szpak. „Die Kleinen sind verrückt danach. Jeder hat ein solches Buch“, sagt sie. Und das gelte nicht nur für die Mädchen, sondern auch für die Jungs, deren Bücher aber anders gestaltet sind – in Blau und mit Piraten statt in Rosa mit Prinzessin­nen.

Früher fing man mit solchen Freundscha­ftsbüchern erst in der Grundschul­e an. Es gilt unter Kindern als Vertrauens- und Freundscha­ftsbeweis, sich eintragen zu dürfen. Neben den Freundscha­ftsbüchern gab und gibt es die Poesiealbe­n, in die man Verse, Widmun-

gen und Sprüche schreibt und die teils verschloss­en werden könnten.

Dass Kinder nun immer früher damit anfangen, werten Pädagogen als durchaus positives Zeichen. „Das zeigt, dass sie sich für ihre Freunde interessie­ren, sie ihnen sehr wichtig sind“, erklärt die Erzieherin. „Sie bauen dadurch früh eine emotionale Bindung zu anderen auf.“Dass sie weder schreiben noch lesen können, spiele keine Rolle, sagt Szpak. „Darauf kommt es wirklich nicht an.“Stefanie Holzum, deren Tochter Greta (3) in Duisburg in den Kindergart­en geht, führt auch ein Freundscha­ftsbuch. „Ich fülle das für Greta aus, aber ohne sie zu fragen. Sie ist einfach noch zu klein, versteht das zum Teil noch nicht. Aber ich weiß ja, was meine Tochter mag“, sagt sie. „Ich mache das, weil das alle in dem Kindergart­en machen. Und meine Tochter soll da nicht hinterherh­ängen.“Nicht alle Eltern wissen immer, was sie eintragen müssen. Deshalb haben sich im Internet bereits Foren gebildet, in denen Tipps und Hinweise gegeben werden. Zu jedem Eintrag gehört auch ein Foto. „Wir machen deshalb zu Beginn jedes Kindergart­enjahres eigens für die Freundscha­ftsbücher Passbilder von allen Kindern zum Einkleben“, sagt Szpak.

Gelegentli­ch sorgen die Freundscha­ftsbücher auch für Unruhe und etwas Zwist, meist dann, wenn sie zu spät zurückgege­ben oder beschädigt beziehungs­weise „vollge- kritzelt“werden, was vorkommt; letzteres sogar häufiger, berichten Eltern. Was aber nicht schlimm, sondern normal in dem Alter sei. „Die ganz Kleinen kritzeln irgendwas da rein. Und wenn man sie fragt, was der Strich mit dem Kreis darstellen soll, gucken sie einen verwundert an und sagen zum Beispiel, das sei doch ganz klar ein Ritter“, sagt Szpak. „Sie sehen die Welt mit ganz anderen Augen.“Aber auch ganze Bücher sind schon verschwund­en. Das sei natürlich besonders ärgerlich. „Solche Momente sind traurig. Man führt ein Buch über mehrere Jahre, und dann ist es plötzlich weg – mit all den Erinnerung­en“, sagt Alexandra Koletsas. Deshalb werden in vielen Kindergärt­en mittlerwei­le Ausleihlis­ten geführt, damit die Kinder und Eltern immer wissen, wer welches Buch gerade zu Hause hat. Und die Bücher dürfen nicht länger als eine Woche festgehalt­en werden. „Schließlic­h wollen auch andere dareinschr­eiben“, betont Koletsas. Es sind allerdings nicht nur die Kinder, die die Freundscha­ftsbücher mögen. Die Eltern freuen sich darüber, dass ihr Nachwuchs schon so früh damit beginnt. „Es macht Freude, darin herumzublä­ttern. Besonders, wenn die Einträge schon etwas älter sind. Da kann man gut sehen, wie sich das Kind verändert hat“, sagt Alexandra Koletsas. So war Elinas Lieblingse­ssen vor zwei Jahren noch ein ganz anderes als heute. „Ein Buch zu haben, in denen diese Veränderun­gen stehen, ist doch was Schönes.“

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Eine von Elenis besten Freundinne­n: die vierjährig­e Anastasia.
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FOTOS: BAUER Alexandra Koletsas mit ihren Kindern Niko (4) und Eleni (6).

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